Graffitispaziergang durch Leipzig
Von Kobolden, Füchsen und Madonnen
In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich in Leipzig eine sehr lebendige, in ihrem künstlerischen Anspruch äußerst vielseitige Graffiti-Szene entwickelt, die sich längst nicht mehr nur auf illegalem Terrain bewegt.
Die nach der Wende ungeklärten Eigentumsverhältnisse boten Leipziger Graffiti-Künstlern in den Neunzigerjahren viele, leicht zugängliche Betätigungsmöglichkeiten: Mauern und Fassaden stillgelegter Industrieanlagen, Fabrikhallen und riesige Plattenbausiedlungen wurden zu Leinwänden für Writings, Murals oder Roll-ons. Als Graffiti-Hotspots kristallisierten sich Teile der Leipziger Südvorstadt sowie der Stadtteil Connewitz, beides Zentren links-alternativer Sub- und Jugendkulturen, heraus.
Die Leipziger Szene bewegt sich zwischen Auftragsarbeiten und unerlaubtem Spraying, Writing oder Tagging. Während Graffiti-Crews wie die Radicals und ORG mit ihren „Bombing-Battles“ nach wie vor für öffentliches Aufsehen sorgen, tummeln sich viele Streetart-Künstler längst in Galerien oder gestalten zugewiesene Flächen.
Baustelle am Wilhelm-Leuschner-Platz
Wilhelm-Leuschner-Platz04107 Leipzig-Zentrum/Südvorstadt
N 51°335054“, O 12°374098“
Den Startpunkt des Leipziger Graffitispaziergangs bildet die Baustelle zum Neubau der Kirche der Propsteigemeinde St. Trinitatis, die auf einer Fläche von circa 2.000 Quadratmetern zwischen Martin-Luther-Ring, Peterssteinweg und Nonnenmühlgasse gegenüber dem Neuen Rathaus entsteht. Der das Areal eingrenzende Bauzaun aus Holz wurde vom Träger offiziell zur Gestaltung freigegeben. Verantwortlich für die Radler am Ring, darunter ein Storch, ein Fuchs und ein Bär, ist der Leipziger Künstler Flamat.
Madonna mit Kind
Karl-Liebknecht-Straße 704107 Leipzig-Südvorstadt
N 51°330853“, O 12°373846“
Das Anfang 2012 wiederentdeckte und im Mai 2013 restaurierte Schablonengraffito ist eines der ältesten und berühmtesten seiner Art. 1991 von dem französischen Künstler Xavier Prou alias Blek Le Rat gestaltet, fiel es exzessiver Plakatwerbung zum Opfer und geriet dadurch in Vergessenheit. Blek Le Rat selbst restaurierte in einem aufwendigen Prozess sein Werk, das von der Stadt Leipzig schließlich unter Denkmalschutz gestellt wurde und fortan von einer Glasscheibe geschützt wird.
Feinkost Leipzig eG
Karl-Liebknecht-Straße 3604107 Leipzig-Südvorstadt
N 51°326311“, O 12°373465“
Die Feinkost Leipzig eG ist ein Zusammenschluss alternativer Künstler, Gewerbetreibender und Dienstleister, die sich den Erhalt des ehemaligen Brauerei-Areals zum Ziel gesetzt haben. Den Prinzipien der Selbstverwaltung folgend, soll das Gelände kleinen Gewerbebetrieben, Handwerkern sowie Kunst- und Kulturschaffenden kostengünstig zur Verfügung stehen. Das Konzept gibt auch Graffiti-Kunst und Streetart Raum. Hier können Künstler ihre kreativen Ideen vielseitig gestalten. Im Innenhof gibt es ein großes Panorama mit Nickelodeon-Zeichentrickhelden wie Spongebob zu sehen, während sich am Eingang ein Grafitto über Touristen lustig macht, die hierher kommen, um zu fotografieren.
Unter Wasser
Brandvorwerkstraße 1–304107 Leipzig-Südvorstadt
N 51°325248“, O 12°368438“
Das Haus in der Brandvorwerkstraße liegt in einer ruhigen Wohngegend zwischen Wundtstraße und August-Bebel-Straße, in einem der am besten sanierten Teile der Leipziger Südvorstadt. Graffiti sind hier, wenn überhaupt, als Auftragsarbeiten zu finden – So wie jene die gesamte Häuserfront zierende Unterwasserwelt aus dem Jahr 2007. Für die Umsetzung verantwortlich zeichnet Kantdesign, ein Unternehmen, das sich unter anderem auf professionelle Fassaden- und Leinwandmalerei spezialisiert hat.
Grau zu Bunt
Kochstraße 11704277 Leipzig-Connewitz
N 51°312515“, O 12°372172“
Das Wohnhaus in der Kochstraße 117 war bis vor wenigen Jahren wiederholt Ziel illegaler Graffiti-Aktivitäten. Jetzt ziert ein großflächiges legales Graffito die untere Fassade des Hauses. Auch die Stadtverwaltung erkennt das künstlerische Potenzial von Graffiti und Streetart und zeigt sich zunehmend offen, solche Arbeiten auch in urbane Gestaltungsprozesse einzubeziehen und ins Stadtbild zu integrieren. Auf der Hausfassade ist ein Panorama der Stadt Leipzig abgebildet. Und in der Durchfahrt sieht man Graffiti mit grauen Menschen vor knallbuntem Hintergrund.
Kobold
Scheffelstraße 33/ Ecke Kochstraße04277 Leipzig-Connewitz
N 51°311695“, O 12°37193“
Galt die Hauswand ursprünglich als das Medium, auf dem sich Graffiti- und Straßenkunst-Aktivisten mit ihren Werken und Botschaften primär verewigten, so erweiterte sich das Spektrum mit der Zeit um vielseitige Formen und als Ausdruck einer Aneignung des urbanen Raums. So taucht zwischen dem asphaltierten Straßengrau und den blassen Häuserfassaden in der Scheffelstraße, Ecke Kochstraße ganz plötzlich und unverhofft jener farbenfrohe Stromkasten mit Gesicht auf.
Hell Yeah
Windscheidstraße 5104277 Leipzig-Connewitz
N 51°309534“, O 12°369505“
Style-Writings, oder kurz Writings, zählten ursprünglich zu den wesentlichen Elementen der Hip-Hop-Kultur. Als die am meisten verbreitete Graffiti-Form werden sie von der Allgemeinheit am stärksten wahrgenommen, was eine nicht selten einseitige, undifferenzierte Auffassung von Graffiti und Streetart zur Folge hat. Die Crew um Hesky arbeitet inzwischen nur noch legal und sprayt entweder auf Bretter oder macht Auftragsarbeiten. Das Grafitto in der Windscheidstraße wird von einem großen Tag der Crew dominiert. Ein kleines Monster mit Rockabilly-Mähne hält ein anderes grünes Monster an der Leine und führt es buchstäblich an der Nase herum. Das grüne Monster am einen Ende schreit „Hell“, das blaue am anderen „Yeah“.
Werk 2, Kulturfabrik Leipzig e. V.
Kochstraße 13204277 Leipzig-Connewitz
N 51°310416“, O 12°372773“
Seit 1992 wird das ehemalige Gelände der VEB Werkstoffprüfmaschinen als Kulturfabrik für Theater-, Kunst- und Literaturfestivals, Konzerte sowie verschiedene kulturelle und gesellschaftspolitische Vereinsarbeiten genutzt. 2004 gab das Werk 2 die drei Außenwände der Hallen A und D als neue „Wall of Fame“ zur legalen Nutzung für Sprayer frei. Diese hatte sich zuvor am Karl-Heine-Kanal befunden, wurde aber wegen des massiven Drucks einer Bürgerinitiative durch die Stadt geschlossen. Heute kann man auf ihr Werke von Mad Flava Ink und den Radicals mit ihren teils aufwendigen Tags bewundern.
Graffiti im Park
Wolfgang-Heinze-Straße 5004277 Leipzig-Connewitz
N 51°304706“, O 12°374248“
Bereits von der Bushaltestelle Wolfgang-Heinze-Straße/Neudorfergasse sind die großen Graffiti in dem kleinen anliegenden Park zu erkennen. Über mehrere Jahre hinweg haben sich hier verschiedene, mitunter rivalisierende Leipziger Graffiti-Crews verewigt. Zu sehen sind die Signaturen von ORG, HOB, Beef, ET, TEX und vielen anderen. „Bilder“ sucht man hier vergebens – an dieser Station findet man fast ausschließlich gesprühte Tags.
Conne Island
Koburger Straße 304277 Leipzig-Connewitz
N 51°302394“, O 12°374575“
Das Conne Island ist eines der wichtigsten selbstverwalteten Zentren links-alternativer und gesellschaftskritischer Jugend-, Pop- und Subkulturen in Leipzig. Techno-, Punk-, Metal- oder Hip-Hop-Konzerte, offene Jugendarbeit, ein Jugendcafé und eine Bibliothek zählen unter anderem zum Zentrum. Ein riesiges Freigelände, inklusive Outdoor-Skatepark, wird für sportliche Aktivitäten ebenso genutzt wie für Graffiti-Workshops und Streetart-Wettbewerbe. Sprayer können sich hier ganz legal austoben. Im Innenhof ziert der Schriftzug „Conne Island“ den Eingang zu den Veranstaltungsräumen. Um die Ecke sieht man einen Fantasievogel, einen Seemann, ein großes Auge in einem Dreieck und mehrere bunte Schriftzüge als Elemente der durchgängigen Wandgestaltung.