Erdschiffe
Das Haus aus Müll

Hynek Opolecký auf dem Earthship
Hynek Opolecký auf dem Earthship | © Foto: Tatyana Synková

800 abgefahrene Reifen, jede Menge Blechdosen, Lehm, Stroh, Kies, etwas Zement und eine Menge Engagement sind die Zutaten für den Grundbau eines Erdschiffs mitten im Prager Zentrum in der Nähe von der U-Bahnstation Anděl. Eine Vision, die den Hausbau revolutionieren könnte. 

Auch die Treppen des Garten sind aus alten Reifen Auch die Treppen des Garten sind aus alten Reifen | © Foto: Tatyana Synková „Alternativ und unkonventionell bauen“ lautete die Devise und so pachtete der Montessouri-Kindergärtner Hynek Opolecký im Sommer 2012 ein Grundstück in der Schrebergartensiedlung in der Nähe vom Eisstadion Nikolajka in Prag Smíchov. Eigentlich wollte er sich nur einen Ort für autarke Stunden schaffen, doch mit zwei Freunden entstand dann die Idee, den ersten Prototypen eines Erdschiffs im Zentrum einer Stadt zu bauen. Auch die sonst eher ungünstig am Hang gelegene Lage des Grundstückes eignete sich gut für den Bau eines Erdschiffs und so fuhren Míša Pospíšilová und Honza Pospíšil zu einem 6-monatigen Workshop des Earthship-Erfinders Michael Reynolds in die USA.

Garbage warrior – der Müllkrieger

Das Konzept des Earthships hatte Reynolds schon in den 1970er-Jahren entworfen, es dauerte aber einige Jahrzehnte bis es sich in den USA verbreitete. Spätestens durch den 2007 über Reynolds gedrehten Dokumentarfilm Garbage warrior erhielt er weltweit Aufmerksamkeit. Der Film begleitet ihn auf seinem utopischen Kampf, in einem Land voller Baugesetze ein unkonformes, von der Zivilisation unabhängiges Wohnprinzip durchzusetzen, das erst durch die Umsetzung in armen Ländern und Katastrophengebieten Anerkennung und Legalität erhielt. 

Reynolds Earthship Visitor Center in Taos New Mexico Reynolds Earthship Visitor Center in Taos New Mexico | © Foto: RONg, Flickr pod licencí CC BY-ND 2.0 Sinn dieses „Schiffes“ ist es, einen Wohnraum zu schaffen, der völlig autark überleben kann und zum größten Teil aus Abfällen der Zivilisation, natürlichen Baustoffen und wiederverwerteten Materialien besteht: Reifen, Plastik, Dosen, Glas. Eine dicke Wand aus Autoreifen wird mit gepresster Erde aufgefüllt und ersetzt die Ziegelaußenwand. Danach wird sie mit meist selbstgestampftem Lehm ausgefüllt und  Die Nordwand mit eingebauten Heizungsrohren Die Nordwand mit eingebauten Heizungsrohren | © Foto: Tatyana Synková verputzt. Die nach Norden gelegene Reifenwand dient nicht nur als tragendes Element des Hauses sondern auch als isolierender Thermospeicher, der sich bei Sonneneinstrahlung aufheizt. Die Südseite ist meist vollständig verglast und bildet dank einer Art Wintergarten eine Temperaturpufferzone, die Wärme speichert und sich durch ihr Klima gut als Gewächshaus eignet.

Auch Wasser-, Strom- und Kanalisationsanbindung benötigt das Erdschiff nicht, dafür sorgen eingebaute Regenwasserzisternen und -filter als auch Windräder und Solarzellen. Jeder Handgriff beim Bau ist durchdacht und dient zum Zwecke der Eigenständigkeit des Hauses. So eignen sich Earthships auch besonders gut in Wüstenregionen oder Orten, die nicht gut angebunden sind.

Ort des Lernens

Und einen weiteren großen Vorteil hat das Erdschiff noch. Es ist für fast jedermann erschwinglich und kann mit etwas Geduld und Courage auch von jedem gelernt werden. Denn ein Erdschiffbau sei nicht so schwierig, beteuert Pavel Příhoda, eine Art Pressesprecher der paar Dutzend Freiwilligen, die sich diesen Sommer zur Aufgabe gemacht haben ein Erdschiff in Prag zu bauen: „Angefangen hat das Projekt zu viert, mittlerweile sind es fast 40 Leute, die immer mal wieder vorbeikommen, ihre Freizeit opfern um mitzuhelfen und in Workshops zu lernen, wie man ein Erdschiff baut.“

 © Foto: Tatyana Synková Learning by doing heißt es auf der Baustelle, vor der noch viel Arbeit liegt. Die Reifenwand steht und wird gerade verputzt, auch die ersten Anzeichen von Zisternen und der Kompostheizung sind erkennbar. Aber eilig hat es hier keiner. Es geht um den Spaß an der Sache. „Wir wollen zeigen, dass so was machbar ist und das sogar im Zentrum Prags. Je Arbeit, Arbeit, Arbeit Arbeit, Arbeit, Arbeit | © Foto: Tatyana Synková mehr Menschen hier lernen, desto mehr Bewusstsein entsteht dafür, welche alternativen Materialen zum Hausbau verwendet werden können. Vielleicht ändert sich dann auch der Blick auf Müll und zukunftsorientierte Bauvisionen.“

Die Reifen bekamen die vier Visionäre umsonst von benachbarten Autowerkstätten, die froh waren, sie loszuwerden. Die Blechdosen sammelten Hynek und Pavel hauptsächlich auf dem Prague Pride Festival zusammen. Ob das Haus je wirklich bewohnbar wird, kann man noch nicht sagen, auch soll es eher ein Ort des Lernens, Besichtigens und des Ökotourismus werden. Geplant ist die Vollendung für Ende nächsten Jahres. Und auch wenn das „Schiff“ noch nicht schwimmt, so hat das Grundstück schon jetzt einiges zu bieten, denn der Gemüsegarten wurde schon bepflanzt und als Beweis gibt einem Pavel nach der Besichtigungstour auch gerne ein paar frischgepflückte Tomaten mit.
   © Foto: Tatyana Synková