Rechtsruck in der Politik
„Das Ende eines gemeinsamen Europas“

Rechts oder links? Extreme Positionen gehen auf Kosten der etablierten Parteien.
Rechts oder links? Extreme Positionen gehen auf Kosten der etablierten Parteien. | Foto (Ausschnitt): © Fotolia/Coloures-pic

Was geschieht, wenn die Rechtspopulisten in der Europäischen Union noch stärker werden? Über Gründe und Folgen des Rechtsdrifts und mögliche Gegenstrategien spricht Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Extremismus an der Hochschule Düsseldorf.

Herr Häusler, quer durch Europa sind Rechtspopulisten politisch auf dem Vormarsch. In Deutschland ist die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Frühjahr 2016 in Meinungsumfragen zur drittstärksten Kraft im Bund aufgestiegen. Was sind die Gründe für die Erfolge der rechten Parteien?

Die Eurokrise ist ein Grund. Dazu kommt, dass die Zahlen von Flüchtlingen seit Sommer 2015 stetig gestiegen sind und die europäischen Staaten sich als unfähig erwiesen haben, eine vernünftige gesamteuropäische Lösung zu finden. Hinter den Erfolgen der rechten Parteien steht aber auch eine schwere Krise politischer Repräsentation, die es rechtspopulistischen Kräften ermöglicht, nationalistische Antworten auf die Krise des europäischen Modells zu geben.

Was unterscheidet diese Rechtspopulisten von Rechtsextremisten und Neonazis?

Wir haben in Europa rechtsextreme Parteien, die rechtspopulistisch auftreten, ebenso wie rechtspopulistische Parteien, die nicht aus der extremen Rechten kommen. Die gefährlichste Partei in Westeuropa ist der Front National in Frankreich, der spätestens seit dem Führungswechsel von Vater Jean-Marie Le Pen zu Tochter Marine Le Pen eine deutlich rechtspopulistische Ausrichtung hat. Auf der anderen Seite haben wir die Schweizerische Volkspartei, die stärkste rechtspopulistische Partei in ganz Europa, die ursprünglich aus einer bäuerlichen Bewegung stammt. Dieses weite Spektrum sieht man auch im Europaparlament.

Rechte wie linke Kräfte profitieren von der Krise des europäischen Modells

Einige Funktionäre der AfD in Deutschland vertreten rechtsextreme, völkische Positionen. Sind die Übergänge fließend?

Ja, bis zu einem gewissen Grad. Die AfD ist ein parteipolitisches Dach für unterschiedliche Milieus rechts der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Partei von Kanzlerin Angela Merkel. Zur Zeit der Gründung 2013 dominierte in der AfD das wirtschaftsliberale Milieu unter Parteigründer Bernd Lucke. Nicht erst seit dem Wechsel an der Parteispitze 2015 gehören auch nationalkonservative enttäuschte ehemalige CDU- und CSU-Anhänger und ein völkisch-nationalistisches, extrem rechtes Milieu zur AfD. Diese unterschiedlichen Gruppierungen vereinen sich nicht konfliktfrei unter einem Dach. Das Spektrum reicht von Konservativen, die sich selbst nicht als rechtsextrem betrachten, bis hin zu knallharten Neonazis. Die AfD ist im Mai 2016 in acht Landtagen vertreten und muss beweisen, dass sie realpolitisch handlungsfähig ist. Daran wird sich zeigen, ob sie überlebensfähig ist, oder ob ihr das gleiche Schicksal bevorsteht wie anderen rechten Gruppierungen, die wieder verschwunden sind. 

In einigen europäischen Ländern gibt es starke linkspopulistische Parteien: Syriza in Griechenland beispielsweise, die Partei von Ministerpräsident Alexis Tsipras, oder die Partei Podemos in Spanien, die 2014 aus einer politischen Bewegung hervorgegangen ist. Wie kommt es dazu?

Die Motive sind sehr unterschiedlich. Bei Rechtspopulismus speist sich die Motivation aus der exklusiven Idee eines ethnisch bestimmten Volkes und richtet sich gegen Zuwanderer und Fremde. Die Linkspopulisten wollen hingegen das ganze Volk vertreten, im Zentrum steht die soziale Gerechtigkeit. Die Krise der politischen Repräsentation hat dazu geführt, dass sowohl auf der rechten wie auf der linken Seite neue Kräfte erstarkt sind. Solange in der Europäischen Union entsprechende politische Reglements fehlen, wird sich daran wenig ändern.

Auseinandersetzung statt Dämonisierung

Der Erfolg der Rechtspopulisten geht zu Lasten der etablierten Parteien. Erleben wir gerade eine Implosion des europäischen Parteiensystems?

Dieses System ist in einigen Ländern schon vor Jahren erodiert. Das, was sich in Frankreich, Österreich oder den Niederlanden schon seit Längerem zeigt, kann auch in Deutschland geschehen: ein Schrumpfen und ein Bedeutungsverlust der Volksparteien wie etwa in Italien. Ich bin nicht sicher, dass die großen Parteien in Deutschland im Jahr 2016 schon begriffen haben, was uns möglicherweise bevorsteht. Rechtspopulisten leben davon, sich als Verfolgte einer linksliberalen politischen Elite darzustellen, die angeblich die Meinung des Volkes unterdrückt, als dessen Anwälte sie auftreten. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn etablierte Parteien sich weigern, mit ihnen zu sprechen. Es wäre sinnvoller, sich in Deutschland in eine konfrontative Auseinandersetzung mit der AfD zu begeben und zu zeigen, welche Konsequenzen nationaler Egoismus und Rassismus für Deutschland und Europa hätten.

In Österreich ist die FPÖ im Jahr 2016 bereits stärkste Kraft. In Frankreich macht sich Marine Le Pen Hoffnungen, im Jahr 2017 Präsidentin zu werden. Werden rechte Politiker die Macht in Europa übernehmen?

Das haben sie ja zum Teil schon. Das Vorbild aller Rechtspopulisten ist Viktor Orbán in Ungarn. Sollten in weiteren Ländern rechte Kräfte an die Staats- oder Regierungsspitze kommen, wäre es das Ende des gemeinsamen Europa.