Film
Oscar für Toni?

Toni Erdmann (Peter Simonischek)
Toni Erdmann (Peter Simonischek) | ©Komplizen Film

Der Beginn einer neuen Ära für das deutsche Kino – so bezeichneten einige deutsche Medien den dritten Spielfilm der Regisseurin Maren Ade „Toni Erdmann“. Als Publikums- und Kritikerliebling in Cannes weckt er hohe Erwartungen beim deutschen Publikum. Was macht den Film so besonders und hat er sogar Chancen auf einen Oscar?

Die traurige Vergangenheit Deutschlands dominiert. Das gilt jedenfalls für die deutschen Filme, die Jahr für Jahr ins Rennen um den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film geschickt werden: Nazis, Stasi, Teilung in Ost und West. Auch in diesem Jahr sah es nicht viel anders aus: die Hitler-Satire Er ist wieder da, das Euthanasie-Drama Nebel im August oder die Neuverfilmung von Das Tagebuch der Anne Frank standen zur Auswahl. Das Rennen machte aber letztlich ein Film, der komplett aus dieser Reihe tanzt: Toni Erdmann.

Toni Erdmann ist Business Consultant und deutscher Botschafter. Aber eigentlich ist er Musiklehrer, heißt Winfried Conradi und hat einen sehr derben Humor, der nicht immer Anklang findet. Er besucht seine vielbeschäftigte Tochter Ines überraschend in Bukarest, wo sie als Unternehmensberaterin arbeitet und gerade ein Outsourcing-Projekt betreut. Das ist sehr wichtig für ihre Karriere, entsprechend überrumpelt ist sie auch vom Besuch ihres Vaters. Denn der bringt sie immer wieder versehentlich oder beabsichtigt in unangenehme Situationen. Nachdem sie sich nach einem verkrampften Wochenende verabschieden, steht er kurze Zeit später mit Perücke und falschen Zähnen als Toni Erdmann vor ihr. Mit dieser unglaubhaften Verkleidung, seinem brachialen Englisch und der Souveränität, die er dabei behält, bringt er frischen Wind in die gezwungene Welt des Business und seiner Tochter.

VIEL ZEIT FÜR VIELE DETAILS

Bis die Figur Toni Erdmann wirklich auftritt, ist schon eine Stunde des Films vergangen, es folgen weitere anderthalb. Wer sich als Zuschauer diese Zeit und Ruhe für den Film nimmt, dem wird auf ganz subtile Art und Weise eine Geschichte zwischen Vater und Tochter erzählt, eine Geschichte der Gegensätze zwischen einer neoliberalen und grünen Gesinnung. Die feinen Dialoge verraten die Verhältnisse zwischen den Figuren, ohne aufgesetzt zu wirken. Das facettenreiche und authentische Minenspiel der Schauspielerin Sandra Hüller lässt den Zuschauer mitfühlen und mitschämen für einen Vater, der so untragbar wirkt. Schließlich geht es für Ines um ihre harterarbeitete Karriere, die ihr wichtiger zu sein scheint als Familie oder echte Freunde. Nicht nur die ungewöhnliche Länge macht den Film an einigen Stellen etwas zäh, auch diese peinlichen Situationen scheinen manchmal unendlich – wie im wahren Leben.

  • Kukeri und Ines (Sandra Hüller) ©Komplizen Film
    Kukeri und Ines (Sandra Hüller)
  • Ines (Sandra Hüller) und Tim (Trystan Pütter) ©Komplizen Film
    Ines (Sandra Hüller) und Tim (Trystan Pütter)
  •  Ines (Sandra Hüller) ©Komplizen Film
    Ines (Sandra Hüller)
  •  Ines (Sandra Hüller) ©Komplizen Film
    Ines (Sandra Hüller)
  • Internationale Filmfestspiele Cannes 2016: Peter Simonischek Foto: Kurt Krieger, © NFP marketing & Distribution
    Internationale Filmfestspiele Cannes 2016: Peter Simonischek
  • Cannes 2016: Toni Erdmann Team Foto: Kurt Krieger, © NFP marketing & Distribution*
    Cannes 2016: Toni Erdmann Team
Im Kino kann man aber wenigstens darüber lachen. Am lautesten ist das Gelächter, wenn auch das Fremdschämen seinen Höhepunkt erreicht. Witzig kann also auch eine etwas seltsame und tragische Geschichte sein. Denn eine Komödie ist der Film eigentlich nicht, gerne wird er als Dramedy oder Dramatic Comedy beschrieben. Er erzählt, wie fremd man sich auch als engste Verwandte manchmal ist, zeigt eine sterile und emotionslose Welt der Wirtschaft und der Geschäftsleute. Diese kalte Atmosphäre schlägt einem etwa aus der Wohnung von Ines entgegen, die groß und leer wirkt, nicht wie ein zu Hause. Nur wenige Male scheint sie einladend warm, zum Beispiel als Ines versehentlich ausschläft und dadurch ein privates, aber dennoch wichtiges Treffen mit ihrem Geschäftskunden verpasst. Ihren Vater raunzt sie dafür an, dass er sie nicht geweckt hat. Dabei wollte er sie nur ruhig schlafen lassen. Denn natürlich merkt er, dass es seiner Tochter nicht so richtig gut geht. Ein Gespräch über das Leben, ihr Leben, würgt sie ab mit den Worten: „Spaß, Glück, Leben. Das sind ganz schön große Worte. Können wir das mal ein bisschen ausdünnen?“

FAST EIN HAPPY END

Dank der Kunstfigur Toni Erdmann können sich die beiden Protagonisten im Laufe des Films wieder annähern. Durch ihn gewinnt der Vater Winfried einen Einblick in die wirklich harte Arbeit, die seine Tochter Ines als Business Consultant leistet. Aber auch Ines scheint weniger versessen auf eine perfekte Performance für die unnahbaren Geschäftsmänner zu werden. Das Ende des Plots wird hier nicht verraten. Nur so viel: Für den sonst sehr subtilen Film wirkt es fast schon kitschig, trotzdem bleibt es realistisch.

Der dritte Spielfilm der deutschen Regisseurin Maren Ade wurde seit seiner Premiere auf den Filmfestspielen in Cannes von den Kritikern viel gelobt. Entsprechend hoch waren auch die Erwartungen der deutschen Kinobesucher, von denen einige als dramatische Komödien vielleicht nur noch lustige Filmchen in Schweighöfer-Manier erwarten und auf Filmbewertungsportalen mit harscher Kritik auf einen Film mit mehr Tiefgang reagieren. Ganz anders, nämlich mit Szenenapplaus und Standing Ovation, reagierte das Publikum bei den Filmfestspielen in Cannes. Einen Jury-Preis konnte der Film dort nicht gewinnen, dafür wurde er mit dem Preis der internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung FIPRESCI ausgezeichnet.

Ob sich Toni Erdmann auch Hoffnungen auf den Oscar 2017 machen darf, entscheidet sich, wenn die Academy im Dezember unter den eingereichten Filmen aus aller Welt eine Shortlist erstellt und wenn im Januar dann die fünf Nominierungen bekannt gegeben werden. Bisher hatten angeblich deutsche Filme mit deutscher Thematik die besten Chancen auf den Goldjungen: Nazis, Stasi, Teilung in Ost und West. Aber es wurde ja auch selten etwas anderes eingereicht. Es kommt also auf den Versuch mit Toni Erdmann an. Denn wenn es wirklich um die Qualität des Films geht, könnte der Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film zehn Jahre nach dem Stasi-Drama Das Leben der Anderen tatsächlich mal wieder nach Deutschland gehen.