Ausstellung
Gerhard Richters erste Prager Retrospektive

Gerhard Richter in Prag
Foto: Pavlína Jáchimová © Goethe-Institut

Die Nationalgalerie in Prag präsentiert die erste tschechische Retrospektive Gerhard Richters, eines der bedeutendsten Maler der Gegenwart. Das Konzept der Ausstellung, die einen Querschnitt durch das fast sechzigjähriger Schaffen des Künstlers darstellt, stützt sich auf die Arbeit der Kuratoren Jiří Fajt und Milena Kalinovská in Zusammenarbeit mit dem Künstler selbst und seinem Studio. Durch die Prager Ausstellung wird der Besucher von einer schmalen grauen Linie begleitet, die ihm Richters Werk in allen seinen Kontrasten und seiner Veränderlichkeit nahebringt.

Gerhard Richter widmet sich in erster Linie der Malerei. Er lotet deren Möglichkeiten in allen nur denkbaren Richtungen aus und tastet sich bis in Sphären vor, in die sich viele seiner Kollegen nicht vorwagen. Der Besucher wird vielleicht überrascht sein, dass alle Werke von ein und demselben Maler signiert sind, d.h. von einem Künstler, der in der Lage ist, im selben Jahr ein fotorealistisches Gemälde und ein rein abstraktes Bild zu schaffen. Unverändert jedoch ist seine Handschrift sowohl auf dem Bild eines Schädels, der sich genauso gut auf einer Leinwand alter Meister ausnehmen würde, als auch auf Bildern, die Alltagsgegenstände wie einen Stuhl oder Toilettenpapier darstellen, zu erkennen. Der durch die ganze Ausstellung führende Leitfaden hat die Farbe Grau. Diese Farbe, die Richter zufolge, „die ideale Farbe für Gleichgültigkeit, Stille, Verzweiflung“ ist, zeigt sich in ihrer Variabilität von einfarbigen Leinwandbildern bis hin zu intimen Porträts. Gesicht der Ausstellung ist Richters Tochter Betty, die sowohl auf dem Titelbild von 1977, als auch auf Richters ikonischem Werk von 1988, auf dem das Mädchen dem Betrachter den Rücken zuwendet und in Richtung der grauen Bildleinwand schaut, anwesend.

Blick in die Vergangenheit

In manchen Fällen ist der kühne künstlerische Ansatz Richters auch auf Unverständnis und Kritik gestoßen, wie zum Beispiel bei seinem Bild Onkel Rudi, das noch immer fast ausschließlich im Depositorium unter Verschluss ist. Das einzige Original Richters, das sich in der Tschechischen Republik befindet, hatte der Künstler der Gedenkstätte von Lidice gewidmet. Das Bild des Nazi-Soldaten stieß jedoch auf den Widerstand der Besucher. Für Richter selbst handelte es sich dabei jedoch um ein ganz wesentliches Moment der Aufarbeitung seiner eigenen Familiengeschichte. Während sein Vater und sein Onkel bei der Wehrmacht dienten, wurde Richters an Schizophrenie leidende Tante Marianne Opfer der nazistischen Rassenhygiene. Das Bild Herr Heyde zeigt verschwommen das Gesicht des Psychiaters, der wesentlich an der Planung der systematischen Ermordung unschuldiger Menschen beteiligt gewesen war und dessen wahre Identität erst 1959 aufgedeckt wurde.

Die Atmosphäre des durch den Krieg verwüsteten Deutschlands wird nicht nur durch Bilder mit klarer Kriegsthematik vermittelt (Schwarzweißmalereien von Kampfflugzeugen, Luftbilder deutscher Städte oder Bilder, die – wie bereits erwähnt – mit der Familiengeschichte Richters im Zusammenhang stehen), sondern auch durch die die Ausstellung einleitende Werkgruppe Richters 48 Porträts, die 48 Persönlichkeiten darstellt, die die Moderne beeinflusst haben, und dem Besucher beim Betreten des Kinsky-Palais mit ernsten Gesichtern entgegenblicken. Obgleich die getroffene Auswahl der porträtierten Persönlichkeiten nicht auf Jedermanns Einverständnis treffen muss, zeigt sie doch, welche männlichen Vorbilder für die damalige Nachkriegsgeneration richtungsweisend waren.
 


Nach Ansicht von Jiří Fajt ist Gerhard Richter regelrecht besessen davon, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sei es mit seinen eigenen Erlebnissen oder mit Ereignissen, die einen starken Eindruck auf den Künstler ausgeübt haben (in den siebziger Jahren war er zum Beispiel fasziniert von der terroristischen Rote-Armee-Fraktion, was in seinem abstrakten Werk Gudrun zum Ausdruck kam). Richter selbst will mit seinen Werken nicht didaktisch wirken. Er betont vielmehr deren humanistische Botschaft. Der Tatsache, dass es Themen gibt, deren Bedeutung über die faktographische Erwähnung in Lehrbüchern hinausgeht, wird auch dadurch Rechnung getragen, dass ein Teil der Ausstellung im Agneskloster gezeigt wird. Hier sind vier abstrakte Gemälde zu sehen, die nach der Vorlage von Fotografien aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Březinka entstanden sind. Hier ist die realistische Darstellung unter einer Schicht der Abstraktion verdeckt, die nach Ansicht des Autors besser im Stande ist, die Bedrückung zu reflektieren, die die Dokumentation der verübten Gräuel beim Betrachter hervorrufen. Beeindruckend ist auch ein gläsernes Objekt, in dem sich die Architektur des Klosters widerspiegelt und das bei entsprechender Sonneneinstrahlung auch selbst Spiegelbilder in den Kirchenraum projiziert.

Abstrakte und realistische Gipfel

Der fließende Übergang zwischen realistischer Malerei und Abstraktion zeigt sich auch in Richters Landschaftsbildern. Den Worten des Malers zufolge sei letztendlich alles Abstraktion, wenn man die Dinge ganz aus der Nähe betrachte. Das Bild Berg ist die realistische Darstellung eines Berggipfels, das jedoch bei näherer Betrachtung abstraktere Motive freigibt. Das Bild Fels dagegen ist ein abstraktes Werk, in dem man mit ein bisschen Phantasie tatsächlich ein Felsmassiv entdecken kann. Gerade Richters Landschaftsmalerei hat in letzter Zeit die größte Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen. Richters Bild eines auf der Meeresoberfläche schwimmenden Eisberges, das für umgerechnet fast 552 Millionen Kronen versteigert wurde, wird ebenfalls auf Richters Prager Ausstellung zu sehen sein.

Geld und Verderb

Trotz der horrenden Summen, für die seine Bilder verkauft werden, ist Gerhard Richter kein besonderer Freund des Kunstmarktes. Die Beträge, die Sammler für seine Werke zu zahlen bereit sind, kommentiert er selbst mit unverhohlener Skepsis. Seiner Meinung nach werde der Markt dadurch dahingehend beeinträchtigt, dass er mit editierten und wieder reproduzierten Originalen arbeite. Einige der in der Nationalgalerie ausgestellten Bilder sind ebenfalls Editionen von Originalwerken. Richter ist ebenfalls bekannt dafür, dass er selbst absichtlich seine Bilder zerstört, die heute ansonsten einen riesigen Wert hätten. Das gleiche Schicksal sollte angeblich auch für sein ebenfalls in der Nationalgalerie ausgestelltes Bild September vorgesehen sein, dessen Thema die terroristischen Angriffe vom 11. September 2001 sind.

Die aktuelle Ausrichtung von Richters Werk zeigen kleine, rein abstrakte Gemälde, die am Ende der Ausstellung zu sehen sind, sowie im Digitaldruck entstandene Bilder mit Farbstreifen, die auf den Betrachter fast hypnotisch wirken. Die jüngsten Werke von Gerhard Richter sind gegenwärtig in Köln am Rhein zu sehen und werden im Mai nach Dresden, in die Geburtsstadt Richters, gebracht. Da der Frühling die Jahreszeit ist, die besonders zu Ausflügen einlädt, werden die Nationalgalerie Prag und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für Besucher, die Richters Werk in seiner ganzen Breite kennenlernen wollen, vergünstigte Eintrittspreise anbieten. In Prag haben die Kunstliebhaber außerdem noch Gelegenheit, das Schaffen Gerhard Richters und Eberhard Havekosts, dessen neueste Gemälde von der Galerie Rudolfinum unter dem Titel „Logik“ ausgestellt werden, im Vergleich kennenzulernen. Zuvor aber lassen Sie alle Logik beiseite und lassen Sie sich einfach nur ergreifen von der Zufälligkeit und Unvorhersehbarkeit Gerhard Richters und seiner Malerei.