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Interview
Dieter Kosslick: Alles beginnt und endet mit den Menschenrechten

v. l. n. r.: Klára Arpa (Goethe-Institut), Nikolaj Nikitin (Febiofest), Angelika Ridder (Leiterin der Region Mittelosteuropa, Goethe-Institut), Dieter Kosslik, Martin Farkas, Kameramann des Filmes Schönheit und Vergänglichkeit, Marcel Maïga (German Films)
v. l. n. r.: Klára Arpa (Goethe-Institut), Nikolaj Nikitin (Febiofest), Angelika Ridder (Leiterin der Region Mittelosteuropa, Goethe-Institut), Dieter Kosslik, Martin Farkas, Kameramann des Filmes Schönheit und Vergänglichkeit, Marcel Maïga (German Films) | © Das Filmfest

Nach 18 Jahren verlässt Dieter Kosslick sein Amt als Direktor der Berlinale - der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Der Mann, der in den 18 Jahren seiner Ära mit der Berlinale das größte Zuschauerfestival der Welt erschaffen hat, verabschiedete sich in diesem Jahr zu Tränen gerührt von dieser.

Von Šárka Hellerová

Im Oktober war er zu Gast auf dem deutschsprachigen Das Filmffest in Prag, wo er in einem Interview sagte, dass es ihm gelungen sei, all seine Visionen zu erfüllen.

Die diesjährige Berlinale war Ihre letzte in der Rolle des Direktors. Wie haben Sie diese erlebt?

Es war nicht nur mein letztes von 18 Jahren, während welcher ich auf der Berlinale gearbeitet habe, aber auch die Vollendung meiner 35 Jahre im Filmgeschäft zu Hause in Deutschland sowie in Europa. Es war für mich also ein besonderer Moment. Deshalb habe ich mich sehr darüber gefreut, dass wir in diesem Jahr das Glück hatten, sehr gute Filme im Rennen zu haben und an der Spitze einer fantastischen Jury zudem auch noch die großartige Juliette Binoche mitwirkte.

Die gesamte Veranstaltung fand in einer wunderbaren Atmosphäre statt. Alle, auch ich, waren ein wenig sentimental, da ich die Berlinale eine lange Zeit geleitet habe. Besonders unser Publikum war erstaunlich. Ich möchte nicht unbescheiden sein, aber während meiner Wirkung als Direktor habe ich ziemlich viele Unterstützer gewonnen, dank derer ich die Berlinale als eine große Abschiedsfeier empfunden habe.

Es war ein sehr gelungener Abend voller Emotionen. Mit mir haben sich auch weitere Mitglieder des Teams verabschiedet, was den Eindruck verstärkte, dass es sich tatsächlich um das Ende einer Ära handelt. Es gab Tränen.

Wie war Ihrer Meinung nach diese Ära?

Das sollen die Leute in 20 oder 30 Jahren entscheiden. Die Berlinale hatte seit Anbeginn ihrer Entstehung im Jahr 1951 nur vier Direktoren und einer von ihnen verblieb in seiner Funktion lediglich 2 Jahre. Dementsprechend haben wir uns an der Spitze des Festivals ziemlich lange bewährt. Mit Ausnahme des bereits erwähnten Direktors habe ich eigentlich die kürzeste Zeit in dieser Position gewirkt. Jeder von uns hatte einen anderen Ansatz.

Während meiner Zeit haben wir viel Neues eingeführt. Zum Beispiel haben wir begonnen, ein jährliches Treffen junger Talente zu organisieren, Filmmusik zu würdigen oder uns auf die Kinematographie der Länder der Dritten Welt zu konzentrieren und sie zu unterstützen. Ich denke, wir haben 25 verschiedene neue Initiativen geschaffen. Wir boten dem Publikum ein Programm, das verschiedene Bereiche umfasst.

Gleichzeitig wurde Berlin während unseres Schaffens zum Ort, an dem wir die größten Stars der Welt auf dem roten Teppich begrüßen dürfen. Während dieser 18 Jahre besuchten uns die meisten von ihnen mit ihren Filmen. Ich persönlich betrachte meine Arbeit daher als erfolgreich und bin zufrieden. Außerdem haben wir in der ganzen Zeit die Berlinale niemals mit einem Defizit abgeschlossen.

Sie haben die Berlinale von einer Veranstaltung in nicht allzu guter Verfassung zu einem erstklassigen, internationalen Festival angehoben. Was war für Sie dabei die größte Herausforderung?

Als ich 2001 als Direktor anfing, stagnierten Filmfestspiele. Ein roter Teppich war nicht genug – es war notwendig, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Da es damals kurz vor dem Krieg im Irak stand, hatte alles einen politischen Unterton. Und so hatte ich mir das auch gewünscht. Ich wollte, dass unsere Filmfestspiele politisch seien. Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun – es ging mir darum, dass Stellung zum aktuellen Geschehen in der Welt bezogen wird. Und das funktionierte. Es funktionierte mit George Clooney, Richard Ger und anderen, die mit uns über wesentliche Dinge sprachen. Ich erinnere mich, dass Richard Gere sagte, er sei gerade deshalb gekommen, weil er wusste, dass er mit uns die ganze Zeit auf dem roten Teppich über Dinge sprechen konnte, die ihm wichtig waren. Für Richard sind das zum Beispiel der Buddhismus und die Situation in Tibet.

Wir mussten auch dringend das Publikum zurückgewinnen. Die Berlinale wurde als Festival aller Filmfans gegründet, nicht nur für Filmkritiker. Ursprünglich war das Ziel, das Berlin der Nachkriegszeit wieder für Menschen zugänglich zu machen. Kultur war dabei der beste Weg, das zu erreichen.

Sie ist übrigens immer noch der beste Weg, eine Stadt wiederzubeleben – egal, ob es sich um Film, Theater oder Musik handelt. Ich wollte junge Menschen anlocken. Und das Heimpublikum. Im Jahr 2001 stürzten sich weder Filmemacher, noch Zuschauer aus Deutschland auf Berlin. Das hat sich alles geändert.

Es war aber auch nicht nur zu Beginn eine intensive Arbeit. Jedes Jahr kamen wir mit mindestens einer neuen Initiative und in den letzten Jahren mussten wir auch auf große Veränderungen in der Filmindustrie reagieren. Mit Streaming-Angeboten wie unter anderem Netflix und Amazon hat sich die Situation auf dem Markt komplett verändert.

Es herrscht regelrecht ein Duell zwischen den traditionellen Filmproduktionsfirmen und den neuen Akteuren. Selbst in den letzten sechs Monaten, seit dem ich nicht mehr dabei bin, hat sich vieles verändert. Auf dem roten Teppich protestierten einige Menschen gegen die Ausstrahlung von Netflix-Filmen.

Es war absolut verrückt, denn ähnliche Unternehmen sind heute bewährte Filmproduzenten. Einige der traditionellen Kinos schließen und wenn die zunächst belächelten Newcomer diese nicht kaufen, werden bald keine mehr existieren. So sieht die heutige Realität aus.

Die Art und Weise Ihrer Leitung des Festivals traf vorwiegend auf Zustimmung. Was würden Sie aber denjenigen sagen, die sie nicht verstanden? Warum war der politische Zugang für Sie so wesentlich?

Viele dieser Kritiker gab es nicht, aber auf ein paar sind wir natürlich schon gestoßen. Die Betonung der Politik war mir wichtig, denn alles andere wäre lächerlich. Ein Festival, das sich anders verhält, ist eine Veranstaltung nur für Filmkritiker, von denen es in etwa fünfzig gibt und die Artikel schreiben, welche niemand lesen will.

Die Philosophie, die im Hintergrund meiner gesamten Tätigkeit steht, beruht auf dem Glauben, dass das Einzige, was die Welt zum Besseren verändern kann, die Kultur ist. Außer Greta natürlich. Es ist nicht möglich, dass dies aufgrund der Wirtschaft geschieht. Es ist die Kultur, die Brücken baut und bei der Kommunikation zwischen Menschen auf der ganzen Welt hilft.

Einige Kritiker werfen uns vor, dass die Berlinale jetzt zu groß sei. Selbstverständlich ist sie für sie zu groß, denn sie können nicht in einem Saal sitzen und alle zwanzig vorgeführten Filme kritisieren. Zumal es mittlerweile um die 400 Filme gibt. Ein großes und abwechslungsreiches Angebot.

Zudem haben wir weltweit die größte Summe an zahlenden Besuchern. Wir veranstalten kein Elite-Event, bei dem normale Leute nicht ins Kino gelassen werden. Über Kritik an meinem Handeln mache ich mir daher keine allzu großen Sorgen. Ich habe das Gefühl, dass die meisten Menschen, darunter auch eine Reihe von Journalisten, meine Vision geteilt haben.

Ist es Ihnen gelungen, alles zu realisieren, was Sie sich für die Berlinale gewünscht haben?

Ja, auf meine Weise habe ich es geschafft, alles zu erfüllen, was ich geplant hatte. Am Anfang hatte ich einen Plan im Kopf, der auf den vorherigen zwanzig Jahren Erfahrung in der Filmindustrie beruhte. Das heißt aber nicht, dass ich, wenn ich meine Rolle weitergeführt hätte, nichts Neues getan hätte. Diese Arbeit hört nie auf.

Was ist für Sie eine besondere Herzensangelegenheit?

Am Ende waren und werden es immer Menschenrechte sein. Mit ihnen beginnt und endet alles. Wir haben viele Filme gezeigt, die sich damit beschäftigt haben. Darüber bin ich sehr froh. Ich wurde mir dessen in Prag bei Das Filmfest bewusst, wo der ostdeutsche Film Coming Out aus dem Jahr 1989 von Regisseur Heinz Carow gezeigt wurde. Wir haben ihn auch schon früher bei der Berlinale gezeigt, wo er relativ revolutionär war.

Heute werden weitere neue und wichtige Themen angesprochen. Diese betreffen zum Beispiel Lebensmittel. Menschen beginnen zu begreifen, dass es ein Problem ist, wenn Regenwälder wegen der Viehproduktion verbrannt werden, um dort Sojabohnen zu ernten, die wir an Rinder verfüttern, um anschließend Burger billig kaufen zu können.

Also ja, Menschenrechte. Die sind am wichtigsten. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Moment, als wir zur Filmvorführung von Weg nach Guantánamo am Freitagabend um 19:30 Uhr zur meist besuchten Zeit des  Festivals Männer auf den roten Teppich einluden, die auf Guantánamo inhaftiert waren. Es stellte sich heraus, dass sie nichts mit Terrorismus zu tun hatten. Solche Momente waren für mich besonders stark.

Was werden Sie sich nun widmen?

Eigentlich beabsichtige ich, dasselbe zu tun, dem ich mich bisher gewidmet habe und was ich schon mein ganzes Leben lang liebe – nur auf einer ganz anderen Ebene. Aber wenn man ein so großes Gefährt steuert wie die Berlinale, ist man richtig beschäftigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich hier letztes Jahr zur gleichen Uhrzeit auch so ruhig gesessen und mich mit Ihnen fast eine Stunde unbeschwert unterhalten hätte. Ich hätte an die nächste Berlinale gedacht und an Tausende von Dingen, die damit zusammenhängen und wäre zu Tode erschrocken. Ehrlich gesagt ist es eine herausfordernde und stressige Aufgabe.

Ich bin froh, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss. Ich beschloss, zurückzutreten, weil ich 72 Jahre alt bin und nicht möchte, dass mein Leben mit 73 zu Ende ist. Das würde keinen Spaß machen. Ich möchte noch Zeit für mein Saxophon haben und ein wenig glücklich sein.
 

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