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Beethoven 250
Das verschollene Bildnis einer vergessenen Begegnung

Schicht-Epos: Karlsbader Begegnung zwischen Goethe und Beethoven
Schicht-Epos: Karlsbader Begegnung zwischen Goethe und Beethoven | Bild: Museum der Stadt Ústí nad Labem (Ausschnitt)

Der sich servil verneigende Goethe und der gebieterisch davonschreitende Beethoven – so präsentierte das Gemälde Der Vorfall von Teplitz 1812 von Carl Röhling aus dem Jahr 1887 der Weltöffentlichkeit die legendäre Begegnung dieser beiden deutschen Größen in Böhmen. Es gibt jedoch noch ein anderes Bild mit denselben Akteuren, welches die bekannte Abbildung in Teilen abweichend darstellt. Das Schicksal vergönnte ihm jedoch leider nicht, größere Bekanntheit zu erlangen, auch wenn es das Potential dazu durchaus hatte. Heute wird es als verschollen betrachtet - nicht einmal die Identität des Künstlers ist übermittelt.

Von Martin Krsek

Die Begegnung zwischen dem Dichter Johann Wolfgang von Goethe und dem Komponisten Ludwig van Beethoven, zu der es am 19. Juli 1812 im nordböhmischen Kurort Teplitz kam, gilt als die erste und einzige zwischen den beiden. Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch die Teplitzer Kolonnaden trafen sie auf die österreichische Kaiserin Maria Ludovika. Während Goethe angeblich stehenblieb und sich vor der erlauchten Gesellschaft verneigte, bahnte sich Beethoven eigensinnig seinen Weg durch die Massen. Goethe empörte sich dabei über Beethovens Unhöflichkeit und Arroganz; Beethoven wiederum war es zuwider, wie sich der bewunderte Dichter bei den Regenten anbiederte. Der „Vorfall von Teplitz“ sollte so das definitive Zerwürfnis dieser beiden großen Männer bedeuten.

„Goethe behagt die Hofluft zu sehr, mehr als es einem Dichter ziemt.“

Beethoven im Brief am 9. 8. 1812

Wahrheit oder Gerücht?

Eine detaillierte Beschreibung dieses Geschehnisses präsentierte Bettina von Armin, die vertraute Freundin beider Männer bis über deren Tod hinaus, der Welt erst nach Goethes Tod. Die Historiker glauben heute, dass der Geschichte zwar eine wahre Begebenheit zugrunde liegt, für ihre Interpretation jedoch zweifellos die persönlichen Interessen der Autorin eine Rolle spielen. Es lässt sich beispielsweise nachweisen, dass das Vorkommnis möglicherweise die gegenseitigen Erwartungen der beteiligten Akteure enttäuschte, es dadurch zwischen ihnen aber nicht zu einem fatalen Bruch kam. Beethoven hat auch in der späteren Zeit erklärt, dass er Goethe als größten deutschen Dichter erachte. Goethe brauchte zwar länger, um das Verhalten des Komponisten zu verdauen, dennoch trafen sich die beiden noch mindestens vier weitere Male. Interessant ist hierbei, dass dies jedes Mal wieder in Böhmen geschah. Aus Goethes sehr detailreichem Tagebuch erfahren wir, dass weitere drei Treffen noch während ihres gemeinsamen Aufenthaltes im Kurort Teplitz stattgefunden haben. Gleich am Folgetag nach dem angeblich fatalen Spaziergang durch die Kolonnaden seien Goethe und Beethoven zusammen in einer Kutsche in den nicht weit entfernten Kurort Bilin gefahren. Am nächsten Tag, also am 21. Juli, besuchte Goethe Beethoven, um sich dessen Klavierspiel anzuhören. In sein Tagebuch schrieb er: „Er spielte köstlich“. Auch am darauffolgenden Tag verbrachten sie Zeit miteinander.
 
Die letzte Gelegenheit für eine Begegnung bot sich ihnen am 8. September desselben Jahres. Im Verlauf einer Heilkur kreuzten sich Goethes und Beethovens Wege in Karlsbad. Sie aßen zusammen zu Mittag, wonach sie das Panorama am Aussichtspunkt des Friedrich Wilhelms-Platzes genossen – ungefähr an der Stelle, wo heute die Alte Prager Straße entlang führt. Und gerade diese Szene wurde zum Motiv für das in der Einleitung erwähnte Gemälde. Georg Schicht, der Besitzer der bekannten Fabrik für die Seife mit dem Hirsch und Ceres-Fett in Aussig, ließ es ungefähr 1927 malen.
  • Carl Röhling: Der Vorfall von Teplitz, 1812 Bild: Gemeinfrei
    Carl Röhling: Der Vorfall von Teplitz, 1812
  • Karlsbad: Blick vom ehemaligen Kaiser Friedrich Wilhelm Platz um 1898 Postkarte: Brück & Sohn Kunstverlag
    Karlsbad: Blick vom ehemaligen Kaiser Friedrich Wilhelm Platz um 1898

Seifen-Epos

Das große Ölgemälde, das die Karlsbader Begegnung zwischen Goethe und Beethoven abbildete, war Teil eines 22-teiligen Gemäldezyklus zur tschechischen Geschichte, das sog. Schicht-Epos. Der Fabrikant beabsichtigte damit unter der Bevölkerung der böhmischen Länder zur Verbreitung von Allgemeinwissen zur eigenen Geschichte beizutragen. So ließ er die Motive reproduzieren und schenkte die Abdrucke 1928 allen Schulen der Tschechoslowakei als Geschenk zum zehnjährigen Gründungsjubiläum der Republik. Diese außergewöhnliche Aktion wird durch die Tatsache, dass der Stifter eine der prominentesten Persönlichkeiten unter den deutschen Industriellen der Tschechoslowakei war, noch interessanter.
 
Das Epos lässt sich auch als Schichts Beitrag zur Befriedung des deutsch-tschechischen Konkurrenzkampfs in den böhmischen Ländern bezeichnen. Das betraf in jenen bedrohlichen Zeiten die stärker werdende Germanisierung während des ersten Weltkriegs und die darauffolgende Tschechisierung nach der Gründung der Tschechoslowakei. Tschechische und deutsche Schulen beschenkte der Mäzen jedoch mit unterschiedlichen Kollektionen, wobei er bei der Auswahl konfliktreiche Themen bewusst in den Hintergrund treten ließ. Für die tschechischen Schulen beispielsweise ließ er die Hussitenkriege mit der Abbildung Jan Žižka vor Prag 1424 illustrieren, in welchen sich der große Heerführer erweichen ließ und auf einen Angriff auf die Hauptstadt verzichtete. Der deutsche Teil des Epos präsentierte den Schülern den Beitrag der deutschsprachigen Helden zur Geschichte Böhmens. Die Entwicklung der Kurbäder wurde dabei durch die Begegnung zwischen Goethe und Beethoven repräsentiert. Der "Vorfall von Teplitz" eignete sich allerdings nicht für eine „friedenstiftende“ Konzeption des Epos. Georg Schicht wollte die weit verbreitete Version der Geschichte durch die Betonung der positiven Ebene der gegenseitigen Beziehung beider Männer zueinander modifizieren. Dieser Versuch bekam leider aufgrund der nachfolgenden geschichtlichen Wendungen nicht die Gelegenheit, einen größeren Erfolg vorweisen zu können.
 
Die tschechischen und deutschen Kinder haben im Unterricht auch tatsächlich Schichts schulische Schaubilder zum Lernen verwendet. Nach 1945 wurde der überwiegende Teil der „deutschen“ Ausgaben jedoch unbrauchbar, da ihr Inhalt nicht mehr zur damaligen Auslegung der böhmischen Geschichte passte und praktisch ausgeklammert wurde - einschließlich des Motivs aus Karlsbad. Die restlichen Bilder wurden, nachdem die deutschen Beschriftungen und Schichts Name überklebt wurden, in den Schulen weiter genutzt, oft bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Interessant ist dabei nicht nur die Geschichte der Reproduktionen, sondern auch der Originale. Die ursprünglichen Ölgemälde hingen lange im Verwaltungsgebäude der Schicht-Fabrik (später Setuza) in Aussig/Ústí nad Labem, im Laufe der Geschichte verschwand jedoch hier und da das ein oder andere von ihnen – ob nun wegen aktuell politisch unpassender Motive oder weil einfach jemand Gefallen daran gefunden hatte. Bis heute sind so von ursprünglich 22 Ölgemälden nur 15 erhalten geblieben. Unter den sieben verlorenen ist leider auch das von Goethe und Beethoven. Und weil auch die Reproduktionen dieses Motivs für die Schulen in Anbetracht ihres „Deutschtums“ größtenteils einfach „Pech“ hatten, ist es heutzutage nur von einer historischen Werbepostkarte bekannt. Das Museum von Ústí nad Labem, in deren Obhut sich der Restbestand des Epos befindet, ist intensiv auf der Suche nach dem Ölgemälde. Bisher leider vergeblich. Ludwig-van-Beethoven-Denkmal von Hugo Uher in Karlsbad (1929) Ludwig-van-Beethoven-Denkmal von Hugo Uher in Karlsbad (1929) | Foto: Boris Breytmann, Colourbox

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