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Aktuelle deutsche Kinder- und Jugendliteratur – eine tschechische Rezeption

Aktuelle deutsche Kinder- und Jugendliteratur
© Pixabay.com

Wie wird deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur in Tschechien wahrgenommen? Handelt es sich dabei um eine Randerscheinung oder hat das rege Interesse seitens der Übersetzer gar zu einer Übersättigung geführt? Antworten von Radek Malý.

Von Radek Malý

Eine Antwort auf die Frage nach der Wahrnehmung deutschsprachiger Kinder- und Jugendliteratur in Tschechien – allerdings mit Fokus auf die Vergangenheit – bot 2013 die Enzyklopädie 2 × 101 knih pro děti a mládež (2 x 101 Kinder- und Jugendbücher) an, die vom Albatros Verlag herausgegeben wurde. Sie listete bei einer Gesamtanzahl von 202 Werken insgesamt 17 Titel aus der deutschsprachigen, also von deutschen, österreichischen und schweizerischen Autorinnen und Autoren auf Deutsch verfasste Literatur. Das ist keine besonders beeindruckende Zahl, aber stellte dennoch eine repräsentative Stichprobe „kanonisierter“ Literatur zusammen.
 
Bei der Enzyklopädie handelt es sich um ein popularisierendes Buch mit der Ambition, vor allem für Eltern und Lehrer als Orientierungshilfe zu dienen und in zweiter Linie auch den Verlegern, die auf einige bisher nicht ins Tschechische übersetzte, aber aus globaler Sicht  bedeutsame Titel aufmerksam gemacht werden können.
 
Bei der Auswahl der deutschsprachigen Bücher wurden in allen Fällen Titel ausgewählt, die bereits in Tschechische übersetzt worden sind. In einigen Fällen hat dieser Gesichtspunkt die finale Auswahl der Titel stark beeinflusst: Von Ursula Wölfel beispielsweise wurde das Buch Feuerschuh und Windsandale ausgesucht, weil es sich um den einzigen ins Tschechische übersetzten Titel dieser wichtigen deutschen Autorin der 1960er-Jahre handelt. Auf ihre anderen, viel wichtigeren Bücher und auf die Thematik ihres Gesamtwerks konnte nur im Kontext dieses Buchs aufmerksam gemacht werden. In anderen Fällen haben die Buchauswahl die sogenannten „tschechischen Fußstapfen“ mitentschieden: also irgendeine, oft nicht mit Literatur in Verbindung stehende Verknüpfung des jeweiligen Werks mit dem tschechischen Umfeld. So geschah es, dass in die Enzyklopädie das Buch Rosa Riedl Schutzgespenst der Österreicherin Christine Nöstlinger aufgenommen wurde, weil das Buch in den 1990er-Jahren in Tschechien verfilmt worden ist – mit einer Verschiebung der Handlung von Wien nach Prag. Von anderen Büchern der Autorin, obgleich genauso wichtig, hört man wieder nur im Kontext des ausgewählten Buchs. In dem Nachschlagewerk finden sich ebenso weltbekannte Autoren wie Michael Ende und Otfried Preußler wie Titel, deren Autor/innen doch nicht ganz so bekannt sind wie Heidis Lehr- und Wanderjahre von Johanna Spyri und Die Biene Maja und ihre Abenteuer von Waldemar Bonsels.
 
Seit der Herausgabe dieser Enzyklopädie sind allerdings schon einige Jahre vergangen. Wie geht es der deutschen Kinderbuchliteratur in tschechischer Übersetzung also heute?
 
Dass tschechisch Verleger sich überhaupt auf das dünne Eis begeben, übersetzte, ökonomisch kostspielige Kinderbücher mit farbigen Illustrationen herauszugeben, ist anerkennenswert – und die Editionspläne 2019 deuten auf noch bessere Zeiten hin.

Die Übersetzer halten die Fahne hoch

In hohem Maß helfen den Verlegern die Übersetzerinnen und Übersetzer, die die Initiative ergreifen und beachtenswerte Titel der Gegenwartsliteratur zur Herausgabe anbieten. Dank der guten Organisation der deutschen Kinderbuch-Branche kann ein tschechischer Übersetzer, der aus dem Deutschen übersetzt, in Vergleich zu anderen Sprachen das existierende System von Auszeichnungen und Förderung durch Stipendien zumindest in Hinblick auf die Titelauswahl als Grundlage nutzen. Erwähnenswert ist hier auch der Workshop „Kein Kinderspiel“ des Arbeitskreises für Jugendliteratur, der 2019 sein zehntes Jubiläum feiert und bei dem jährlich Übersetzer deutscher Kinderbücher aus der ganzen Welt zusammenkommen.
 
Es gibt zwar keine tschechischen Verlage, die sich vorrangig der deutschen Kinderbuchliteratur widmen. Klassische Werke werden allerdings vom Prager Verlag Albatros herausgegeben. In der – im positiven Sinne – konservativen Edition Knihovna pro děti 21. století (Eine Bibliothek für Kinder des 21. Jahrhunderts) erschienen dort 2017 der Roman Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen von James Krüss, 2018 Emil und die Detektive mit ungewöhnlichen Illustrationen von Galina Miklínová und 2019 ist die Erstausgabe des Kinderliteraturklassikers Eine Woche voller Samstage von Paul Maar geplant. Eine ausgezeichnete Ergänzung der Edition sind die sachkundigen Epiloge für Kinder aber auch für Erwachsene.

Verlage, die sich engagieren

Der Argo Verlag widmet sich ebenfalls immer wieder deutschen Kinder- und Jugendbüchern. Als hervorragende (und zu Recht ausgezeichnete) Übersetzung von Michaela Škultéty erschien dort bereits 2012 der Roman Tschick von Wolfgang Herrndorf, der in Deutschland die Altersgrenze seiner Rezipienten verschwimmen ließ: als Jugendroman entstanden, machten erwachsene Leser das untypische „Roadmovie“ zum Bestseller. Im Argo Verlag erschien auch das Bilderbuch Zehn grüne Heringe (2017) von Wolf Erlbruch, einem der wichtigsten Kinderbuch-Illustratoren aus Deutschland.
 
Von den Veröffentlichungen des Verlags Mladá fronta ist der von Hana Linhartová übersetzte Roman Rico, Oskar und die Tieferschatten von Andreas Steinhöfel nennenswert, der 2012 herausgegeben wurde. Der Held darin ist ein wirklicher Außenseiter: der langsam abwägende, im Grunde genommen Junge Rico, der mit seiner speziellen Art zur Hauptfigur einer Detektivgeschichte in einer heutigen Großstadt wird. Auf dem Editionsplan des Mladá fronta Verlags findet sich auch das Bilderbuch Borst vom Forst von der deutschen Autorin Yvonne Hergane – die Geschichte steht ganz im Einklang mit den aktuellen Trends, das heißt ein Minimum an Text, niedliche Bilder und eine tiefsinnige Botschaft.
 
Von den Veröffentlichungen anderer Verlage sind zumindest noch zwei Titel erwähnenswert. Kateřina Klabanová hat einen Preis für die Übersetzung der Trilogie Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt von Autor Finn-Ole Heinrich (Verlag Práh) schon für ihren meisterhaften tschechischen Titel verdient und wurde 2019 für den Preis Zlatá stuha (Goldenes Band) nominiert. Und der Mini-Verlag LePress gab 2017 das Buch Das Zebra unterm Bett des Gegenwartsautors Markus Orths heraus. Es handelt sich um ein Buch mit einer unauffälligen, aber dennoch klaren Botschaft: Wenn unter dem Bett eines Mädchens ein sprechendes Zebra auftaucht, warum kann es dann nicht auch zwei Väter haben?
 
Eines ist sicher: auch in der Tschechischen Republik gibt es Vermittler der deutschen Kinderliteratur, die darum bemüht sind, dieser wenigstens ab und an Gehör zu verschaffen. Und es ist eine großartige Nachricht, dass in der letzten Zeit auch schon Kinderbücher in die andere Richtung übersetzt werden: also aus dem Tschechischen ins Deutsche.
 

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