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Kunst und Identitäten
Toni Ebel: Deutsche Malerin und trans Pionierin

Toni Ebel: Wald. Tusche auf Papier, 1950er Jahre
Toni Ebel: Wald. Tusche auf Papier, 1950er Jahre | © Gesellschaft für queeres Gedächtnis

Toni Ebel, geboren am 10. November 1881 in Berlin als Arno Ebel, war eine deutsche Malerin und eine der ersten trans Frauen weltweit, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog. Ihre Lebensgeschichte ist ein Zeugnis von Mut, Entschlossenheit und schöpferischer Kraft im Schatten der dramatischen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Eine bedeutende Episode dieses außergewöhnlichen Lebens spielte sich in der Vorkriegs-Tschechoslowakei und im besetzten Protektorat Böhmen und Mähren ab.

Von Ladislav Jackson

Die „Lizenz zum Frausein“

Schon in ihrer Jugend fiel Toni durch ihr „mädchenhaftes“ Wesen auf. Als Erwachsene arbeitete sie als Künstlerin und engagierte sich politisch in der SPD und USPD. Ihr Privatleben war von Konflikten und Leid geprägt – eine unglückliche Ehe und mehrere Suizidversuche mündeten schließlich in der Versöhnung mit ihrer eigenen Identität. 1929 unterzog sie sich am Institut für Sexualwissenschaft von Dr. Magnus Hirschfeld in Berlin einem der ersten chirurgischen Eingriffe im Rahmen einer Geschlechtsangleichung. Sie erhielt eine sogenannte „Transvestitenerlaubnis“, die es ihr erlaubte, in der Öffentlichkeit als Frau aufzutreten – eine im damaligen Deutschland einzigartige Genehmigung. Auf dieser Grundlage bezog sie zudem eine anteilige Erwerbsunfähigkeitsrente.

In dieser Zeit lernte sie Charlotte Charlaque kennen, eine trans Frau und Rezeptionistin am Institut. Aus ihrer Freundschaft wurde eine Lebenspartnerschaft, die auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 Bestand hatte. Toni und Charlotte waren zunehmend bedroht – nicht nur wegen ihrer Identität, sondern auch wegen Charlottes jüdischer Herkunft. Im Mai 1934 flohen sie in die damalige Tschechoslowakei.

Flucht in die Tschechoslowakei

Erste Stationen waren die Kurorte von Karlsbad, wo Toni für Kurgäste malte und Charlotte Sprachunterricht gab. Dank niedrigerer Lebenshaltungskosten und der Rente aus Deutschland lebten sie eine Zeit lang relativ sorglos. Später zogen sie für kurze Zeit nach Prag und dann nach Brünn, wo sie Kontakt zu sozialdemokratischen Emigrant*innen aus Deutschland aufnahmen. Doch gerade in Brünn gerieten sie zunehmend unter Druck der tschechoslowakischen Behörden – sie mussten sich regelmäßig bei der Polizei melden, ihre Wohnungen wurden durchsucht, und Toni wurde als „unerwünschte Ausländerin“ eingestuft.

Nach der Besetzung der tschechischen Länder durch Nazi-Deutschland zogen sie erneut nach Prag, wo sie versuchten, in der Anonymität der Großstadt unterzutauchen. Toni malte weiter, Charlotte unterstützte andere Geflüchtete bei Behördengängen und Sprachkursen. In dieser Zeit versteckten sie angeblich auch zwei jüdische Schauspieler.

Im März 1942 wurde Charlotte verhaftet, und es drohte ihre Deportation nach Theresienstadt. Dank der Intervention des Schweizer Konsuls, der im Namen der US-amerikanischen Botschaft handelte, wurde sie über eine Internierung in Deutschland schließlich nach Portugal und weiter in die USA gebracht. Ihre Rettung hatte jedoch einen hohen Preis: Ihr wurde verboten, irgendjemandem Details über den Aufenthalt im „Dritten Reich“ mitzuteilen – andernfalls drohte Toni die Hinrichtung. Charlotte erreichte New York im Juli 1942, sah Toni jedoch nie wieder.

Toni blieb im besetzten Protektorat. Eine Ausreisegenehmigung wurde ihr verweigert, mehrfach wurde sie vom NS-Geheimdienst verhört. 1945 wurde sie als deutsche Staatsbürgerin interniert, aus Prag deportiert und zwangsweise ausgesiedelt. Ihre Werke aus dieser Zeit gelten als verschollen. Nach dem Krieg wanderte sie zu Fuß über hundert Kilometer zurück nach Berlin – krank, mittellos, allein.

Ein drittes Leben in der DDR

Trotz aller Rückschläge gelang es ihr, sich in der DDR ein neues Leben und eine künstlerische Existenz aufzubauen. Sie wurde als Opfer des Faschismus anerkannt, trat der SED bei und stellte ihre Werke regelmäßig aus. 1956 wurde anlässlich ihres 75. Geburtstages eine Retrospektive im Ausstellungssaal Alter Marstall in Berlin veranstaltet. Auch wenn sich ihr künstlerisches Werk nicht explizit mit Geschlechterfragen befasste, verleiht ihre Biografie ihren Bildern eine tiefere Dimension.

Toni Ebel starb am 9. Juni 1961 in Berlin. Ihr Name geriet lange in Vergessenheit – und doch verdient er es, erinnert zu werden: als Name einer Malerin, aber auch einer Frau, die sich gegen Unterdrückung behauptete und dank unglaublicher Widerstandskraft überlebte. Die Tschechoslowakei war für sie Zuflucht und Falle zugleich – und ein zentraler Ort ihres existenziellen Ringens um Identität und Leben.

Basierend auf Recherchen von Raimund Wolfert und Esra Paul Afken. Bearbeitet von Ladislav Jackson.
Toni Ebel: Näherin und Junge. Vor 1930. Signiert Arno Ebel

Toni Ebel: Näherin und Junge. Vor 1930. Signiert Arno Ebel | © Gesellschaft für queeres Gedächtnis


 

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