Konsumforschung in Deutschland
Testen in der Provinz

Eine Art Generalprobe für neue Produkte
Eine Art Generalprobe für neue Produkte | Foto (Ausschnitt): © Niki Love - Fotolia.com

In einer Kleinstadt im Bundesland Rheinland-Pfalz testet das größte deutsche Marktforschungsinstitut neue Produkte. Der Ort gilt als repräsentativ für die deutsche Gesellschaft.

Auf den ersten Blick ist nichts Ungewöhnliches an Haßloch: ein Freizeitbad, drei Fußballvereine, ein Weinfest, ein Weihnachtsmarkt. Etwa 20.000 Menschen wohnen in der Gemeinde im Bundesland Rheinland-Pfalz im Südwesten Deutschlands: Alte, Junge, Singles, Familien, Zugezogene und Alteingesessene.

Doch manchmal tauchen in den Regalen der Haßlocher Supermärkte Produkte auf, die es sonst nirgendwo in Deutschland zu kaufen gibt. Dann legen die Kunden Waschmittel oder Süßigkeiten in ihre Einkaufswagen, die im restlichen Land noch gar nicht eingeführt sind.

Seit 1986 gibt es in Haßloch einen in der Bundesrepublik einzigartigen Testmarkt. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), das größte deutsche Marktforschungsinstitut, testet hier, ob neu entwickelte Produkte bei den Kundinnen und Kunden eine Chance haben. Insgesamt sieben Supermärkte sind beteiligt und „schmuggeln“ die Testartikel zwischen die regulären Produkte. „Es ist eine Art Generalprobe“, erklärt der verantwortliche Direktor Andreas Völtl. Die Unternehmen, die ihr neues Produkt auf den Markt bringen wollen, haben zuvor schon eigene Tests durchgeführt: Geschmack, Optik, Verpackung, Werbung. „Wir untersuchen, ob das Zusammenspiel der Komponenten klappt“, sagt Völtl.

Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft

Haßloch, glaubt die GfK, ist wie Deutschland. Und noch wichtiger: Deutschland ist wie Haßloch. Die meisten Menschen in Deutschland leben nicht in Metropolen wie Hamburg oder Berlin. Sie wohnen in kleineren Städten wie Haßloch: Die ländliche Lage ist typisch, ebenso die Altersverteilung, die Einwohnerstruktur, der Ausländeranteil. Deswegen hat sich die GfK für diesen Teststandort entschieden.

Etwa ein Drittel der Stadtbewohnerinnen und -bewohner, 3.400 Haushalte, sind an den Testaktionen beteiligt: Rentner, Singles, gut situierte Familien und Arbeitssuchende. Ein Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft.

Kontakt mit der GfK haben die Teilnehmenden kaum. Damit sie sich authentisch verhalten, sollen sie im Alltag möglichst selten daran erinnert werden, dass sie Testpersonen sind. Es gibt keine Fragebögen, keine Bewertungen, nur eine Haushaltskarte ist an der Kasse vorzuzeigen. Die Produkte werden automatisch gescannt, dem Kundenprofil zugeordnet und direkt an die GfK übermittelt. Über die Testphase hinweg kann die GfK so eine verlässliche Erfolgsprognose erstellen – und erhält zudem ein recht präzises Profil der Käufer.

Testlauf für neue Produkte

Für die Auftraggeber lohnt sich der Testlauf. Er zeigt, ob sich ein Produkt auch in der Praxis bewähren wird. Denn die Markteinführung ist teuer. Das Unternehmen muss Mitarbeiter einstellen, es muss für die Herstellung Rohstoffe, Maschinen, Verpackungsmaterial kaufen, und es muss Werbekampagnen starten. „Das kann sehr schnell in die Millionen gehen“, sagt Völtl. Geld, das verloren ist, wenn sich das Produkt nicht verkauft.

Zwischen 16 Wochen und zwei Jahren dauert ein Test. Es braucht viel Zeit, zu erkennen, ob das Produkt auch im Gebrauch gefällt und nachgekauft wird. Nur etwa zehn Produkte im Jahr werden getestet.

Das Verfahren ist aufwendig. Die GfK muss Vergleichsprodukte analysieren, die angestrebte Reichweite und Wiederkaufsrate definieren. Und sie testet zusätzlich zum Artikel auch die Werbung. Die Teilnehmer werden in Test- und Kontrollgruppe eingeteilt. Bei der Testgruppe überblendet die GfK manchmal regulär laufende Werbung mit Spots zu den Testprodukten, auch in der Fernsehzeitung werden Spezialanzeigen geschaltet. Die Kontrollgruppe erhält nur die übliche Werbung. So können die Marktforscher das Kaufverhalten vergleichen und erkennen, ob Werbemaßnahmen Wirkung zeigen oder nicht.

Verbraucherschützer sind skeptisch

Hat die GfK ihre Erkenntnisse  ausgewertet, spricht sie eine Empfehlung aus. Mal gibt sie grünes Licht für das Produkt, mal schlägt sie Veränderungen vor – etwa bei der Verpackung oder beim Werbedruck. Ganz selten rät sie auch von einer Einführung ab. „Wenn wir feststellen, dass sich etwas gar nicht verkauft, ist das für den Kunden zunächst ein Schock“, sagt Völtl. „Der Hersteller hat schließlich viel Zeit und Geld in das Produkt investiert.“ Doch in der Regel richten sich die Kunden nach den Empfehlungen der GfK, auch wenn diese nicht ihren Erwartungen entsprechen. Die Ergebnisse gelten als verlässlich. „Produkte, die zur Markteinführung empfohlen werden, werden erfolgreich sein“, so die GfK. Eine falsche Prognose sei bisher nicht bekannt.

Verbraucherschützer sehen das Verfahren durchaus skeptisch, denn die Teilnehmer geben viele Informationen über sich preis. Zudem ist die Gegenleistung bescheiden: Sie erhalten eine kostenlose Fernsehzeitschrift und nehmen an regelmäßigen Verlosungen teil. Doch in Haßloch ist die Testsituation längst zur Normalität geworden. „Manche Haushalte machen schon seit fast 30 Jahren mit“, sagt Völtl. Manchmal hören seine Mitarbeiter auch bedauernde Töne: Wenn ein liebgewonnenes Produkt plötzlich wieder still und heimlich aus den Regalen genommen wurde.

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