Kulturhauptstadt 2025
Chemnitz im europäischen Rampenlicht

Nischl in Chemnitz
Nischl in Chemnitz | Foto: Maxmilian Schäffer / Unsplash

Im Schatten der boomenden Städte Dresden und Leipzig war Chemnitz als dritte sächsische Großstadt bisher weniger präsent in der öffentlichen Wahrnehmung. Mit der Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 soll sich das ändern. Dabei wird vor allem auf die Stadtgesellschaft gesetzt.

Von Max Melzer

„In Chemnitz wird gearbeitet, in Leipzig gehandelt und in Dresden das Geld verprasst“, so formuliert der Volksmund die Beziehung der drei sächsischen Großstädte zueinander. Schon dieser Spruch veranschaulicht ganz gut, wofür Chemnitz in der öffentlichen Wahrnehmung steht, und wofür nicht. Während Leipzig und Dresden als ökonomisch und kulturell bedeutende, altehrwürdige Städte gerne als sächsische Aushängeschilder herhalten, haftet Chemnitz bis heute das Image der stark sozialistisch geprägten Industriestadt an. Dabei hat die Stadt neben ihrer DDR-Vergangenheit noch viel mehr zu bieten: Eine dynamische Musikszene, ein großes architektonisches Spektrum, vielfältige Kunst und Kultur. Das alles bekommt nun durch die Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 die Chance, sich im internationalen Rampenlicht zu präsentieren.

Triumph etwas überraschend

Dass es dazu kommt, ist letztlich doch eher eine Überraschung. Einerseits sah man sich in der letzten Entscheidungsrunde am 28. Oktober 2020 mit Magdeburg, Hildesheim, Hannover, Nürnberg starken Mitkonkurrentinnen gegenüber. Es gab aber auch einige Hürden im Bewerbungsprozess, so erforderte die Corona-Pandemie bei allen Engagierten eine große Flexibilität. Außerdem bestehe laut Lucia Schaub vom TEAM CHEMNITZ 2025 immer auch eine gewisse Herausforderung darin, die Chemnitzer Stadtgesellschaft von einem so großen Projekt wie der Bewerbung zur Kulturhauptstadt zu überzeugen. Letztlich haben sich aber zahlreiche Menschen gefunden, die mit Spaß und Leidenschaft zur Bewerbung beigetragen haben – was auch die EU-Jury beeindruckt haben dürfte.

Garagen als kulturelle Goldgruben

Mit dem Motto C the unseen soll der Fokus der Vorhaben auf Ungesehenes, Niederschwelliges geworfen werden, sodass jeder und jede mitgenommen wird und die Chance hat, am Projekt Kulturhauptstadt mitzuwirken. Am besten zeigt sich das wohl daran, dass Garagen eine entscheidende Rolle in der kulturellen Ausgestaltung spielen. So dienen 3.000 Garagen in der ganzen Region als Schauplätze für zwei wichtige Projekte: Die Garage als Schatztruhe und die Garage der Autodidakt*innen. Erstere entsteht in Zusammenarbeit mit dem Figurentheater Chemnitz. Es sollen mithilfe persönlicher Fundsachen kleine Figurentheater-Stücke aufgeführt werden. Die Ergebnisse sollen auch digital gesammelt und dann über Instagram veröffentlicht werden. In Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar werden im Rahmen der Garage der Autodidakt*innen die Garagen zu kleinen Design- und Kunstschulen umgewandelt, in denen Inhalte wie Werkzeuge, Farben oder Kulturmanagement lehrreich aufbereitet werden. Apropos Autodidaktik – auch die Kunstsammlungen Chemnitz befassen sich mit diesem Thema und widmen Autodidaktiker*innen bis 2025 eine große Ausstellungsserie. Mit einfließen sollen auch zahlreiche Experimente zu Künstlicher Intelligenz.

Projekte teils auch deutsch-tschechisch

Ein Schlüsselprojekt im Hinblick auf das Motto der Kulturhauptstadt soll die Parade der Apfelbäume sein. Geplant ist die Pflanzung von 4.000 Apfelbäumen verschiedenster Sorten in ganz Chemnitz, für jeden soll sich eine Patin oder ein Pate aus der Stadtgesellschaft finden, um sich um den Baum zu kümmern. In den Austausch können die Teilnehmer*innen dann über verschiedene Veranstaltungen kommen, die rund um dieses Thema stattfinden. Es ist zum Beispiel das Apfelblütenfest geplant, es wird das beste Apfelkuchenrezept gesucht und die Slow-Food-Bewegung diskutiert eine nachhaltigere Esskultur.

Mit Blick auf die Lage von Chemnitz nahe der Grenze zur Tschechischen Republik spielen natürlich auch grenzüberschreitende Projekte eine Rolle, so wird unter dem Titel Europäische Friedensfahrt das bis 1989 in den ehemaligen Ostblockstaaten durchgeführte populäre Amateur-Radrennen wiederbelebt. Das Rennen startet in Pilsen, der Europäischen Kulturhauptstadt von 2015, und führt durch den Korridor, in dem 1945 amerikanische und sowjetische Truppen aufeinandertrafen. Die Fahrt dauert zwei Tage und wird auf den insgesamt 170 Kilometern durch ein buntes Kulturprogramm begleitet. Dass das alles nur ein kurzer Einblick in die Vorhaben der Macherinnen und Macher ist, zeigt, wie viel künstlerisches, kulturelles und zivilgesellschaftliches Potential in der Stadt steckt und wie gut Chemnitz als Trägerin des Titels Europäische Kulturhauptstadt geeignet ist.

 „Ich komm´ aus Karl-Marx-Stadt“ 

Wenn Felix Kummer, Frontmann der in Deutschland sehr populären Chemnitzer Indie-Rock-Band Kraftklub diese Zeile singt, mag man sich erst einmal wundern – dass die Gruppe doch eben aus Chemnitz kommt, und was denn bitteschön dieses Karl-Marx-Stadt sein soll. Die Antwort: Ein und dasselbe. 1953 wurde Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umbenannt, um zu zeigen, wie verbunden die Arbeiter dieser Industriestadt mit dem Sozialismus sind. Doch nicht nur dieser Name, der bis zur Rückbenennung der Stadt durch eine bürgerliche Abstimmung 1990 Bestand hatte, ist ein wichtiges Vermächtnis aus der DDR-Zeit – viele imposante Bauwerke aus den Jahren um 1970 prägen noch heute das Stadtbild. Dazu zählt auch die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt – das Karl-Marx-Monument, von den Einheimischen liebevoll „Nischl“ (= „Kopf“ im sächsischen Dialekt) genannt. Bekannt ist Chemnitz vor allem aber auch als Industriestadt mit über 200-jähriger Industriegeschichte, die mit der Textilherstellung begann und sich bis heute durch innovative Unternehmen der Automobilbranche und des Maschinenbaus hält.  
Kraftklub
Kraftklub

Chance für Imagewechsel

Besonders wichtig wird es für Chemnitz auch sein, offen mit den teils negativen Bildern umzugehen, die man bisher mit der Stadt verbunden hat. Die industrielle Stärke der Stadt vor der Wende hat nur teilweise bis in die heutige Zeit Bestand, die sozialistischen Wohnbauten in den Vierteln und Hochbauten im Stadtzentrum prägen bis heute das architektonische Stadtbild, und wie viele andere hat auch Chemnitz mit politisch extremen Strukturen zu kämpfen – wofür die rassistischen Ausschreitungen im Sommer 2018 ein Beleg sind. Es sind reelle Probleme, die bei der Umsetzung der Kulturhauptstadt aber auch viele Chancen bieten – so ist Chemnitz im Gegensatz zu anderen Städten noch nicht ausgelastet mit kulturellen Anlaufpunkten. Diese können sich, beispielsweise in ungenutzten Industriebrachen, erst noch entwickeln, und so hat durch die Mobilisierung der stillen Mitte der Stadtgesellschaft wirklich jede und jeder die Möglichkeit, sich mit kreativen Ideen einzubringen. Sicher auch ein wichtiger Grund für die Jury, Chemnitz zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 zu machen.  

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