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Strukturwandel
Ein Neuanfang voller Unsicherheit

Dieser ausgemusterte Braunkohlebagger in der Lausitz ist bereits ein Relikt der Vergangenheit – bald sollen die gesamten Braunkohlewerke abgeschaltet werden. Ob der Strukturwandel in der Region gelingen wird, steht noch in den Sternen.
Dieser ausgemusterte Braunkohlebagger in der Lausitz ist bereits ein Relikt der Vergangenheit – bald sollen die gesamten Braunkohlewerke abgeschaltet werden. Ob der Strukturwandel in der Region gelingen wird, steht noch in den Sternen. | Foto (Detail): © Adobe

Weltweit ringen vom Strukturwandel betroffene Regionen um einen Neuanfang. Einigen ist das gelungen, andere tun sich schwer. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber aus den Erfahrungen lassen sich einige erfolgversprechende Ansätze ableiten.
 

Von Wolfgang Mulke

Am Rande des brandenburgischen Tagebaus Jänschwalde lässt sich die Bedeutung der Braunkohle für die Region am östlichen Rand Deutschlands erahnen. Fast bis zum Horizont erstreckt sich die gewaltige Grube, aus der seit Jahrzehnten Energierohstoff geschaufelt wird. Im Hintergrund ragen die Schornsteine des gleichnamigen Kraftwerks in den Himmel und speien weißen Rauch weit in den Himmel. Noch. Denn das Ende der Braunkohle ist besiegelt: Spätestens 2038 soll das letzte Kraftwerk abgeschaltet werden, so sehen es die Pläne der Bundesregierung vor. Vielleicht schafft es Deutschland auch, schon 2030 auf den Klimakiller Braunkohle zu verzichten, aber angesichts der Energiekrise mag darauf derzeit niemand wetten.

Kein Patentrezept für Strukturwandel

Für die Kohleregion Lausitz geht damit der wichtigste Wirtschaftszweig verloren. Das sind keine guten Aussichten für die Menschen, die hier leben. Noch gibt es rund 20.000 gut bezahlte Jobs in der Energiewirtschaft, deren Löhne mit einem Durchschnittsverdienst von rund 68.000 Euro im Jahr über dem Bundesdurchschnitt von 59.000 Euro liegen. Aber viele fragen sich, wie es weitergehen soll, wenn die Kohle wegfällt.

Das Ruhrgebiet hat in den 1970er-Jahren den Niedergang der Steinkohleindustrie erlebt, bis heute ist die Arbeitslosigkeit hier höher als im Rest des Landes: Jugendliche vor dem Arbeitsamt im Jahr 1980. Das Ruhrgebiet hat in den 1970er-Jahren den Niedergang der Steinkohleindustrie erlebt, bis heute ist die Arbeitslosigkeit hier höher als im Rest des Landes: Jugendliche vor dem Arbeitsamt im Jahr 1980. | Foto (Detail): © picture-alliance/Klaus Rose Ähnliche Sorgen bereitet der Kohleausstieg auch den Menschen im 700 Kilometer weiter westlich gelegenen rheinischen Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen, auch wenn die Zahl der bedrohten Arbeitsplätze dort deutlich geringer ist als in der Lausitz. Doch hier hat man den Strukturwandel im benachbarten Ruhrgebiet miterlebt, wo der Niedergang der Steinkohle schon in den 1960er-Jahren begann. Und die Erfahrung zeigt: Unter dem Strich bleibt die Arbeitslosigkeit in den einstigen Kohlegebieten trotz teilweise jahrzehntelangem Strukturwandel hoch. Im Ruhrgebiet liegt die Arbeitslosenquote mit über neun Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt von etwas über fünf Prozent.

Zwar will die Bundesregierung den nun anstehenden Braunkohleausstieg mit viel Geld abfedern – bis zu 40 Milliarden Euro Fördermittel sollen vor allem für den Ausbau der Infrastruktur, die Wissenschaftslandschaft oder die Ansiedlung von öffentlichen Stellen aufgebracht werden. So sollen neue Cluster entstehen, an die neue Unternehmen andocken können. Doch ob der Ansatz trägt, ist offen. „Es gibt kein Patenrezept für einen erfolgreichen Strukturwandel“, sagt der Forscher Kai van de Loo vom Bochumer Forschungszentrum Nachbergbau, die Bedingungen seien standortspezifisch unterschiedlich.

Vom „Rust Belt“ zum „Brain Belt“

Im belgischen Charleroi gehören die Rädergestelle ehemaliger Kohlebergwerke längst zur Landschaft und sind zur touristischen Attraktion geworden. Im belgischen Charleroi gehören die Rädergestelle ehemaliger Kohlebergwerke längst zur Landschaft und sind zur touristischen Attraktion geworden. | Foto (Detail): © Adobe Wenn Traditionsindustrien mit vielen Arbeitsplätzen verschwinden, schlägt dies tiefe Wunden in die betroffenen Regionen, nicht nur in Deutschland. Der Niedergang des Bergbaus hat beispielsweise auch die Reviere in Großbritannien stark getroffen. Und auch das Herz der belgischen Kohle- und Stahlindustrie, die Stadt Charleroi, verkam zur „hässlichsten Stadt der Welt“, wie es in vielen Berichten hieß. Das einst reiche Zentrum der Schwerindustrie entwickelte sich nach deren Niedergang in den 1970er-Jahren zu einem Moloch aus Verfall, Abwanderung und Armut. Inzwischen sieht es Dank Kunst und touristischer Attraktionen wieder besser aus. Diese Mischung verhilft auch dem Ruhrgebiet zu einem Ausgleich der Verluste. Das beste Beispiel ist die Zeche Zollverein in Essen, wo die schwerindustrielle Vergangenheit zur museal-künstlerischen Gegenwart geworden ist. Das große Problem bleibt jedoch die Ansiedlung neuer Unternehmen, die geeignete Jobs für die entlassenen Arbeiter*innen schaffen.

Aus den Erfahrungen der betroffenen Regionen lassen sich trotz fehlenden Patentrezepts einige erfolgversprechende Ansätze zur Bewältigung der Verluste ableiten. Eine wichtige Voraussetzung ist eine gut ausgebaute Infrastruktur. Die Ansiedlung von Hochschulen oder Forschungseinrichtungen etwa ist eine Basis für die Bildung von Netzwerken oder Clustern, die kleine und mittlere Unternehmen anziehen. So gibt es in Großbritannien die University Enterprise Zones, wo sich rund um 20 Universitäten kleine Wirtschaftszentren entwickeln.

Eine Hochschule allein löst die Probleme freilich nicht, der Staat muss die Ansiedlung von Unternehmen auch aktiv fördern. Das gelingt zum Beispiel im berüchtigten Rust Belt der USA, dem ehemals größten Industriegebiet des Landes zwischen Detroit und Pittsburgh. Auch hier begann in den 1970er-Jahren mit dem Ende der Stahlindustrie ein trauriger Niedergang vieler Städte und Gemeinden. Doch inzwischen gibt es wieder Lichtblicke – und das hängt auch mit gezielten Fördermaßnahmen zusammen, wie van de Loo feststellt. „Die Amerikaner setzen mehr auf eine Förderung von Privatinitiative“, erläutert er, „das geschieht mit Geld, mit Technologieberatung oder der maßgeschneiderten Qualifizierung von Fachleuten.“ Die Hochschulen dort orientierten sich deutlich stärker an den Bedürfnissen der Wirtschaft. Pittsburgh ist es zum Beispiel gelungen, über eine gute Universität zu einem der großen Technologiezentren außerhalb des Silicon Valley zu werden. Aus dem „Rust Belt“ wurde hier der „Brain Belt“.

Für die deutschen Kohlereviere spricht sich der Forscher Klaus-Heiner Röhl vom unternehmensnahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Gutachten für die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen aus. Mit Steuererleichterungen, gezielter Förderung oder der Einrichtung von Technologiezentren sollen so wieder attraktive Standorte entstehen. Auf solche Sonderwirtschaftszonen setzt beispielsweise die Wirtschaftspolitik in Polen, Spanien und Süditalien.

Gar nicht so düstere Aussichten

Die Aussichten für die beiden deutschen Kohlereviere bewerten Expert*innen unterschiedlich. Röhl blickt auch aufgrund der Erfahrungen aus anderen Ländern kritisch auf die Pläne der Politik. „Die Bundesregierung setzt zu wenig auf gute Bedingungen für mittelständische Ansiedlungen“, kritisiert er. Per Kropp vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hingegen sieht trotz des Jobwegfalls in der Kohleförderung und -verstromung keinen Mangel an Arbeitsplätzen entstehen. Inzwischen seien allein rund um die Erneuerbaren Energien zwischen 40.000 und 60.000 neue Stellen geschaffen worden. „Die Energiewende schafft Arbeitsplätze ohne Ende“, glaubt der IAB-Experte. Schon seit einiger Zeit hat sich nicht weit entfernt von der Lausitz vor den Toren Berlins ein neues Industriezentrum rund um die Elektromobilität gebildet. Teslas Megafabrik ist das Aushängeschild. Aber auch mittelständische Produzenten, etwa von Batterien, haben sich im Umfeld angesiedelt. Dafür werden Fachkräfte gebraucht, womöglich auch die aus der Lausitz. Auch das Ruhrgebiet setzt auf Kunst und Tourismus in den ehemaligen Kohleabbaugebieten: Im Duisburger Landschaftspark werden heute Konzerte gespielt und Besucher*innen treiben Sport an der Kletterwand und in der Tauchhalle. Auch das Ruhrgebiet setzt auf Kunst und Tourismus in den ehemaligen Kohleabbaugebieten: Im Duisburger Landschaftspark werden heute Konzerte gespielt und Besucher*innen treiben Sport an der Kletterwand und in der Tauchhalle. | Foto (Detail): © picture alliance/CHROMORANGE/Alexander Ludwig Im rheinischen Gebiet erwartet der Wirtschaftsminister des Bundeslandes, Andreas Pinkwart, sogar eine blühende Zukunft, obwohl dort mehr als 14.000 Arbeitsplätze wegfallen werden. Die vorgesehenen fast 15 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen sollen weitere Milliarden an privaten Investitionen nach sich ziehen. „Insgesamt erwarten wir sogar Wertschöpfungspotenziale von mehr als 50 Milliarden Euro“, sagt Pinkwart, „die neue Arbeitsplätze für 27.000 Frauen und Männer schaffen.“ Ob das auch gelingt, hält Forscher van de Loo für fraglich. „Die Erwartungen müssen jetzt erst einmal unterfüttert werden“, hält er den Ball flach. Denn die Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet zeigen, wie schwer ein neuerlicher Aufschwung in der Praxis fällt.

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