Neues europäisches Kino

Das Motiv der Freundschaft dominiert den 2015 für den Oskar nominierten Film „Kauboji” des kroatischen Regisseurs Tomislav Mršić, in dem eine recht heruntergekommene Schauspielertruppe versucht, ein Westernspektakel im Stile Hollywoods auf die Bühne zu bringen, das dann unerwartet zur Metapher des Schicksals dieser Antihelden wird; die ebenso authentische wie unverstandene Freundschaft zwischen Jó, einem Achtzehnjährigen mit einem schwierigen Lebenshintergrund und der siebzigjährigen Rosa steht im Mittelpunkt des Streifens „Os gatos nấo tem” des Portugiesen António-Pedro Vasconcelos, während in „Loreak” des spanischen Regieduos Jon Garaño und Jose Mari Goenaga die Freundschaft, oder die Liebe, anhand von drei Blumensträußen Gestalt annimmt, welche drei Frauen von Unbekannten überlassen werden: Dank ihrer ändern sich drei Schicksale, keimen Gefühle auf und erblühen längst vergessene Erinnerungen zu neuem Leben.

Das Thema der Entschlossenheit, die Schwierigkeiten zu meistern, welche das Leben in einer „neuen Umgebung” mit sich bringt, beherrscht den Film „21 Nuits avec Pattie” der französischen Regisseure Arnauld  und Jean-Marie Larrieu, in dem sich die aus Paris stammende Caroline in einem Dorf im Süden Frankreichs wiederfindet, um das Begräbnis ihrer Mutter zu organisieren; in „Wax: we are the X” des Italieners Lorenzo Corvino werden zwei Junge Italiener und eine Französin zu Aufnahmen für einen Werbespot nach Monte Carlo gesandt und dort mit Begegnungen und Ereignissen konfrontiert, welche sich ihrer Kontrolle zu entziehen drohen, während in dem Streifen „Všetko čo mám rád” des slowakischen Regisseurs Martin Šulík die einzige Chance eines Mannes, mittleren Alters und erfüllt vom Wunsch nach radikaler Veränderung, im Aufbruch nach England zu bestehen scheint.

Untergräbt die neu gewonnene Freiheit die ideologischen Grundmauern unseres geregelten Alltagslebens, so überkommt uns zuweilen ein Gefühl der Verlorenheit. Diese Erfahrung machen die Hauptfiguren in Andreas Dresens „Als wir träumten”, allesamt Vertreter der „Lost Generation“ der deutschen Wiedervereinigung nach dem Fall der Mauer, und verloren fühlt sich auch der Protagonist des Streifens „Judgement – Grenze der Hoffnung” des Bulgaren Komandarev, welchem alles abhandenkommt, was ihm im Leben lieb ist: Seine Frau, seine Arbeit und das Vertrauen seines Sohnes, das er erst wiedergewinnen wird, nachdem er für eine fünfundzwanzig Jahre zurückliegende Sünde „bezahlt“ hat.

Es gibt besondere Menschen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ihren Ängsten mit einem geradezu angeborenen Mut entgegentreten: Zu ihnen zählt Adam Jacek Winkler, Bergsteiger, Fotograf und politischer Kämpfer, dessen bewegtes Leben Inhalt des Streifens „Czarodziejska Góra” der polnischen Regisseurin Anca Damian ist, ein Film, der biografische Dokumentation, Märchenelemente, Abenteuer und Animation in sich vereint; Ilinca Călugăreanus  „Chuck Norris VS Communism” erzählt die Geschichte der mutigen Irina Nistor, die, im kommunistischen Rumänien der 80er Jahre, heimlich Kopien und Synchronübersetzungen von mehr als 5000 ausländischen Filmen anfertigte und auf Videokassetten in Umlauf brachte, während der „Legionär“, Protagonist des Streifens „Car Park“ des Ungarn Bence Miklauzic, seinen ganz persönlichen Mut dadurch beweist, indem er in einen Wohnwagen übersiedelt und sich so, im Schatten der Großstadt und ungestört von der Außenwelt, sein eigenes kleines Reich des Friedens schafft.

Auf dem Programm der Veranstaltung stehen außerdem drei Autorendokumentarfilme: In „The Irish Rebellion” rekonstruiert Ruán Magan, mithilfe der Erzählstimme Liam Neesons, die tragischen Ereignisse der Osterwoche des Jahres 1916, als eine kleine Gruppe irischer Widerstandskämpfer in Dublin das mächtige britische Imperium herausforderte; aus Litauen stammt der Dokumentarfilm „We Talk About KGB” des Regieduos Maximilien Dejoie und Virginija Vareikytė, der die Geschichten sieben real existierender Personen nachzeichnet: Eines Freiheitskämpfers, eines Agenten des KGB, der Frau eines Dissidenten, der ohne Gedächtnis aus einer psychiatrischen Klinik zurückkehrt, eines Autoren der Geheimpresse und seines ehemaligen Vernehmers sowie eines Antiquitätensammlers, der nach seiner Festnahme neun Monate lang verschollen blieb. Der Schweizer Nicolas Steiner schließlich, der in den USA am San Francisco Art Institute Regie studierte, eröffnet in seinem dokumentarischen Diplomfilm „Above and Below” Ausblicke auf ein gänzlich unbekanntes Amerika „am Rande der Existenz” – von den Tiefen des Kanalsystems unter Las Vegas bis hin zu einem in Wohnraum umgewandelten Bunker im entlegensten Winkel Kaliforniens – um uns zu zeigen, dass seine Bewohner uns letztendlich nicht allzu unähnlich sind.