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Berlinale-Blogger*innen 2022
„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“

Alexander Scheer, Meltem Kaptan im Film Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
Alexander Scheer, Meltem Kaptan im Film Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush | Foto (Ausschnitt): © Luna Zscharnt / Pandora Film

Im Hauptwettbewerb des Berliner Filmfestivals wurde ein Drama mit dem seltsamen Titel „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ und einem lebensbejahenden Sujet gezeigt: die wahre Geschichte einer Mutter, die ihren Sohn aus Guantanamo freikämpfte. 

Von Egor Moskvitin

Im Oktober 2001 bricht der 19-jährige Murat Kurnaz – ein in einer Bremer Migrantenfamilie geborener Türke, der keine deutsche Staatsangehörigkeit hat – von Deutschland aus zum Studium nach Pakistan auf. Der junge Mann wird von pakistanischen Polizisten festgenommen und für 3.000 Dollar als mutmaßlicher Terrorist an US-amerikanische Militärs verkauft. Nach einem Jahr voller Verhöre und Folter in Guantanamo kommen die Amerikaner zu dem Schluss, dass Kurnaz unschuldig ist und möchten ihn zurück nach Deutschland schicken, doch die deutschen Behörden lehnen dies ab. Eine passende bürokratische Erklärung haben sie ebenfalls parat: Kurnaz ist Türke und seine Aufenthaltsgenehmigung ausgelaufen, denn schließlich ist er (bedingt durch seinen Gefängnisaufenthalt) für eine Verlängerung nicht rechtzeitig bei der Ausländerbehörde vorstellig geworden. Im Ergebnis bleibt der Mann noch für weitere Jahre in Guantanamo. In dieser Zeit setzen sich nur zwei Menschen für seine Rückkehr ein: seine Mutter Rabiye und der Rechtsanwalt Bernhard Docke. Der Film ist ihrem Sieg gewidmet. 

Der vorangegangene Film des deutschen Regisseurs Andreas Dresen – „Tim Thaler oder das verkaufte Lachen“ – ist eine bittere, gleichzeitig aber voller Magie steckende Parabel, die das Schicksal der Deutschen in den 1930-er Jahren in einem Märchen über einen Waisenjungen verknüpft, der sich auf einen Tauschhandel mit dem Teufel einlässt. Die magische Intonation dieser Geschichte ist auch im neuen Film Dresens spürbar. Die einfache, lustige und nur scheinbar dumme Rabiye besiegt immer wieder das Böse, denn sie hat ein goldenes Herz und weigert sich beharrlich, ihren Sohn zu vergessen. 
 

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von Andreas Dresen „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von Andreas Dresen | Foto (Detail): © Andreas Hoefer / Pandora Film


Doch Dresens Film erschöpft sich nicht im Märchenhaft-Naiven, sondern knüpft an zwei radikalere Filmtraditionen an. Die erste ist die massive Menge deutscher Kinofilme über den Konflikt zwischen Terror und Demokratie. Das ist eine ganze Stilrichtung, deren Basis Volker Schlöndorffs und Margarethe von Trottas „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) bildet und die, ebenfalls durch von Trotta, mit „Die bleierne Zeit“ (1981) fortgesetzt wurde. Den Hauptfiguren dieser Filme wird Terrorismus vorgeworfen. Indem sie die Fehler des Staats und des Öffentlichen Gerichtshofs gegenüber diesen Menschen zusammentragen, zeigen die Regisseure auf, warum der Kampf gegen den Terrorismus diesen Terrorismus nur noch befeuert.

In gewissem Sinne stand auch der Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) von Fritz Lang bereits in dieser Tradition. Und die Zyklizität dieser Geschichte, welche alle paar Jahrzehnte durch die Kinematographie bezeugt wird, macht Angst. 

Damit es nicht allzu gruselig wird, stützt sich der neue Film von Andreas Dresen auch auf die Tradition US-amerikanischer und englischer humanistischer Filme, die einen Sieg des Menschen über das System thematisieren. Die jüngsten Beispiele sind „Der Mauretanier“ mit Benedict Cumberbatch, „Official Secrets“ mit Keira Knigtley und das etwas weniger lebensbejahende „The Report“ mit Adam Driver. Die Held*innen all dieser Geschichten sind Jurist*innen, Journalist*innen und Beamt*innen, die einen Missbrauch seitens der Machthabenden bemerken und sich nicht scheuen, gegen diese Willkür vorzugehen.

Jedem der Filme liegt eine wahre Geschichte zugrunde und im Abspann werden Fotos der jeweils in Wirklichkeit betroffenen Menschen gezeigt. Manchmal scheint es so, als ob die Zuschauenden ohne diese realen Beweismittel nicht an den Sieg des Guten über das Böse glauben könnten, und an den absoluten Wahrheitsgehalt des märchenhaften Narrativs. Aber dann glauben sie daran und lassen sich vom Glauben an die Gerechtigkeit anstecken, wodurch wiederum neue Held*innen entstehen – und neue Themen für Filme. Doch „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ wird für lange Zeit einer der besten bleiben. 

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