25. April 2017
Eröffnung Gerhard Richter Retrospektive im Rahmen des Deutsch-Tschechischen Kulturfrühlings

Rede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann
 

Anrede,
 
ich freue mich sehr, heute Abend hier sein zu können, um die Eröffnung der Gerhard Richter Retrospektive zu erleben und wieder eine Begegnung mit Ihnen zu haben, lieber Herr Richter. Das letzte Mal sind wir gemeinsam 2012 durch Ihre große Ausstellung „Panorama” in der Neuen Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin gegangen.
 
Erstmalig in der gut 60-jährigen Schaffenszeit von Gerhard Richter wird dem Künstler ab heute eine große Retrospektive in Mittel- und Osteuropa gewidmet. Mit dieser Ausstellung in der Prager Nationalgalerie, die in intensiver Zusammenarbeit mit dem Atelier Gerhard Richters konzipiert wurde, werden über 70 Originalwerke in einer umfassenden Weise in Tschechien präsentiert.
 
Gerhard Richter ist eine der führenden Künstlerpersönlichkeiten Deutschlands und wird wie kaum ein anderer gleichermaßen von Kuratoren, Händlern, Sammlern und auch vom großen Publikum geschätzt. Im Ranking „Kunstkompass” wurde er im vergangenen Jahr zum wiederholten Mal als wichtigster Künstler weltweit geführt.  
 
Es mag in seiner Biografie begründet liegen, dass Gerhard Richter großen Argwohn gegenüber stilistischen wie inhaltlichen Festlegungen in der Kunst hegt. 1961 floh er aus der DDR in die Bundesrepublik, ein Erlebnis, das der Journalist Hanno Rautenberg als durchaus typischen Einfluss der Zeitgeschichte auf seine Generation beschrieben hat. In der Tat ist eine auffällig große Zahl deutscher Künstler, die heute in der Welt Beachtung finden, entweder durch die Folgen der nationalsozialistischen Barbarei oder durch die Überwindung des Systemwechsels der DDR geprägt worden. Die Liste entsprechender Namen ist eindrucksvoll: neben Gerhard Richter, Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Georg Baselitz, A.R. Penck, Neo Rauch.
 
In seinen Arbeiten beschäftigt sich Gerhard Richter intensiv mit der Geschichte, sowohl in Bezug auf seine Familie als auch auf die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Joseph Beuys war Richter einer der ersten deutschen Künstler seiner Generation, die konzeptionell und künstlerisch in der Lage waren, zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands, Stellung zu beziehen. Seine Gemälde greifen Themen wie den Nationalsozialismus, die Rote Armee Fraktion und die Wiedervereinigung auf, sie sind bedeutender Teil einer deutschen Erinnerungskultur geworden. 
 
Die historische Dimension ist es natürlich auch, die Deutschland und Tschechien verbindet und beschäftigt. Gerade weil beide Länder traditionell eng verflochten sind, bedeuten NS-Gewaltherrschaft, Vertreibung und Kalter Krieg eine dauerhafte Dimension und Aufgabe in den Beziehungen beider Länder. Mit der „Samtenen Revolution‟ wurde dabei ein neues Kapitel der gemeinsamen Beziehungen aufgeschlagen. Ob wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell oder politisch – die Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien sind seither besser wie nie zuvor.
 
Auch das Goethe-Institut Prag gehört zu den Institutionen, die den erfolgreichen deutsch-tschechischen Dialog in der Gegenwart mit Leben erfüllen und vorantreiben. Seit seiner Gründung 1990 haben unzählbar viele Programme den Kulturdialog beider Länder beflügelt und Künstlerinnen, Kulturschaffende und Denker aus Tschechien und Deutschland zusammengebracht. Im vergangenen Jahr lernten allein am Goethe-Institut Prag rund 2.300 Menschen Deutsch. Darüber hinaus engagiert sich das Goethe-Institut in der Aus- und Fortbildung von Deutschlehrerkräften, die an den 3.500 Schulen unterrichten, in den man in Tschechien Deutsch lernen kann. In den zurückliegenden Jahren hat sich das Goethe-Institut als integraler Bestandteil der tschechischen Kulturszene etabliert, nicht zuletzt aufgrund seiner engen Partnerschaften, für die wir zutiefst dankbar sind.
 
Vor 20 Jahren unterzeichneten Tschechien und Deutschland mit der Deutsch-tschechischen Erklärung ein historisches Dokument. Dies wollen wir mit dem Deutsch-Tschechischen Kulturfrühling – in dessen Rahmen auch die Gerhard Richter Retrospektive stattfindet und einen Höhepunkt bildet – feiern. Mit rund 200 Veranstaltungen an über 60 Orten in Tschechien und Deutschland stiftet der Kulturfrühling vier Monate lange neue Kooperationen und macht die Vielfalt und Qualität unserer kulturellen Beziehungen erlebbar. Das Spektrum des Programms reicht dabei von Theaterveranstaltungen, Lesungen, Workshops, Konzerten über Ausstellungen bis hin zum „Fußballfrühling”, bei dem 18 internationale Kinder-und Jugendturniere stattfinden. Alle Veranstaltungen verbindet das Motiv den Dialog zwischen beiden Ländern zu intensivieren, dass Menschen sich begegnen, sich austauschen und gemeinsam feiern, voneinander wissen! Die Grenze zwischen unseren Ländern ist von Prag aus nicht weit. Wir glauben aber, dass Grenzen nicht prinzipiell Barrieren sind, sondern auch Übergänge zur Begegnung und zum Austausch. Wichtig ist es, ein Miteinander zu gestalten, bei dem Geschichte, Sprachen, Mentalitäten und insbesondere Kultur einen Resonanzraum schaffen.
 
Die Politik kann sich um die Anbahnung gutnachbarschaftlicher Beziehungen bemühen, auch geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Mit Leben werden sie aber nicht durch die politischen Eliten sondern durch das praktische Handeln der Menschen erfüllt.

Ich möchte nun abschließend gern meinen Dank aussprechen. Zunächst bei den Partnern der Ausstellung, der Nationalgalerie Prag und dem tschechischen Kultur- und Außenministerium, beim deutsch-tschechischen Zukunftsfonds sowie beim Mitorganisator des Deutsch-Tschechischen Kulturfrühlings, der Deutschen Botschaft Prag – haben Sie vielen Dank für die partnerschaftliche Zusammenarbeit. Mein Dank gilt des Weiteren den Kolleginnen und Kollegen des Goethe-Instituts für Ihren Einsatz, für kreative Programme und Ideen, für die Anregungen zum Deutsch-Tschechischen Kulturfrühling, das Knüpfen von Netzwerken und Pflegen von Partnerschaften.  

Ich wünsche uns allen noch einen anregenden Abend.

Es gilt das gesprochene Wort.