Bulgariens künstlerische Präsenz in Deutschland
Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und das Ende der totalitären Führung in den Ländern des Ostblocks ziehen aktive Migrationsprozesse von Ost nach West nach sich. Für viele Bulgar_innen eröffnet sich die Möglichkeit, Grenzen frei zu passieren und nach Verwirklichung eines besseren Lebens jenseits ihrer Heimat zu suchen.
Ab Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts entstehen mehrere Migrationswellen und eine besonders wichtige Rolle spielt der Anschluss Bulgariens an die Europäische Union 2007, der Bedingungen für den professionellen Austausch sowie für die Zusammenarbeit bei verschiedenen internationalen Programmen und Projekten schafft.
Die ab 1989 verstärkt stattfindende Migration von Bulgar_innen führt – ungeachtet anderer Aspekte – auch dazu, dass viele Heranwachsende die Wahl treffen, ihren Hochschulabschluss an europäischen Universitäten und Kunstakademien zu machen, und sich später dazu entschließen, nicht in ihre Heimat zurück zu kehren. Die Ziele der Künstler_innen bestehen einerseits in der Eingliederung in die lokale Künstlerszene, dem Finden von Kontakten und der Teilnahme an nicht kommerziellen Projekten, andererseits in dem Bestreben, Beziehungen zu kommerziellen Galerien zu knüpfen. Die künstlerischen Zentren, die Anziehungspunkte werden, sind vor allem Wien, Berlin, Paris, New York und London.
Deutschland stellt ein bei Emigranten besonders beliebtes Ziel dar, weil es für seine entwickelte Wirtschaft, gute Arbeits- und Lebensbedingungen und die Gastfreundlichkeit gegenüber Ausländer_innen bekannt ist. In den Bereichen Kunst und Bildung eröffnet das Land Möglichkeiten, die sich anderorts selten finden lassen. Die große Zahl der Universitäten, Akademien, Museen, Galerien, Art-Events u.s.w. tragen zum dynamischen Kulturleben bei. Selbstverständlich ist der Nimbus des erfolgreich gewordenen Emigranten nicht immer erreichbar, besonders in Anbetracht der großen Konkurrenz; Tatsache ist aber, dass die zielgerichteten Bemühungen in vielen Fällen sehr wohl zur Verwicklung führen.
Die Hauptziele, die sich bulgarische Künstler_innen setzen, sind Universitäts- und Akademienstädte, die sich durch ein aktiveres Kulturleben abzeichnen. Darunter ist an erster Stelle natürlich Berlin, gefolgt von München, Frankfurt, Düsseldorf und Kassel.
Die Art-Szene in Berlin ist seit den 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts besonders intensiv. Zur Hauptzeit werden dort jede Woche Galerien eröffnet (und geschlossen), dabei ist die nichtkommerzielle Szene charakteristisch, was Möglichkeiten zu viel Freiheit und zum Experimentieren in der Kunst bietet. Ein wichtiger Art-Punkt in der Stadt ist die Gegend rund um die Auguststrasse, Linienstrasse, Zimmerstrasse und Brunnestrasse, voll einer Vielzahl von privaten Galerien. Wenn man die Humboldt-Universität, die Universität der Künste, die Kunsthochschule Berlin, die Art-Institutionen sowie die Kunst Werke (KW), den Hamburger Bahnhof, die Künstlerviertel mit den alten Fabrik- und Industriegebäuden, die Berlin Biennale, das Art Weekend, die Lange Nacht der Museen u.v.a hinzufügt, ist Berlin zweifelsfrei unter den weltweit wichtigsten Zentren moderner Kunst.
Bereits Anfang der 90-er Jahre brechen bulgarische Künstler_innen nach Deutschland auf, werden an verschiedenen Orten ansässig und absolvieren verschiedene Bildungseinrichtungen. Sie gehören verschiedenen Generationen an. Ein Teil von ihnen schafft es, sich durchzusetzen, eine interessante Karriere zu starten und eine individuelle Präsenz auf die Beine zu stellen, andere lösen sich im Gesamtbild auf. Interessant ist dabei, dass die künstlerische Praxis vieler von ihnen für die Fachleute in Bulgarien vollkommen unbekannt bleibt. Sie erscheinen vermehrt auch in der bulgarischen Szene erst nach 2000 und insbesondere nach der Aufnahme des Landes in der EU im Jahre 2007, als die Bewegung leichter erfolgt und der internationale Künstleraustausch intensiver wird. Unter ihnen sind Milko Pavlov, Antonia Duende, Milen Krastev, Mariyana Vasileva, Vladimir Mitrev, Sibin Vasilev und Valyo Chenkov.
Andererseits wählen einige junge Künstler_innen, die über eine etablierte Praxis verfügen und in ihrer Heimat gut bekannt sind, die Reise nach Deutschland erst in den letzten Jahren, auf der Suche nach der besseren internationalen Verwirklichung (z.B. Vikenti Komitski, Svetozara Aleksandrova, Ivan Kostolov, Zoran Georgiev).
Der Bereich der Darstellung und der künstlerischen Tätigkeit ist vielfältig und es gibt auch ausgeprägte Beispiele, die die schlichte kommerziell orientierte Karriere überschreiten. Im Bereich der konzeptuellen Malerei sind Valyo Chenkov, Ivan Kostolov und Svetozara Aleksandrova tätig. Lange Jahre studiert, lebt und arbeitet Michaela Danowska (bekannter unter ihrem Künstlernamen Oda Jaune, mit dem sie auch ihr Lehrer und später auch Ehemann Jörg Immendorff anspricht) in Düsseldorf. Sie pendelt derzeit zwischen Düsseldorf und Paris und schafft großformatige expressive Malerei mit surrealistisch ausgeführten Figuren, stark von der deutschen Schule geprägt. Durch die Mittel der Grafik und der Zeichnung drücken sich Milko Pavlov (Frottagen) und Antoniya Duende (Zeichnungen auf der Basis des glagolitischen Zeichens) aus. Vincent Mitsev beschäftigt sich mit Malerei, Installation und Skulptur. Mariyana Vasileva erstellt ihre emotional geladenen Arbeiten durch Video, Fotografie und Skulptur. Vlado Velkov studiert Kunst in Berlin und ist spezialisiert in Moskau und London, widmet sich später jedoch mehr der Realisierung von Kurator- und Internet-Projekten. Er ist Gründer der Online-Informationsplattformen für Kunst artnews.org und artmap.com. Derzeit ist er der künstlerische Leiter des Kunstvereins Arnsberg. Die Kunstveranstaltungen von Milen Krastev sind im Bereich der modernen Kunst und der konzeptualen Simulation. In seiner Kunst sucht Vladimir Mitrev verschiedene malerische Effekte mit allerlei Mitteln, wobei er sich hauptsächlich dem Video bedient. Vikenti Komitski arbeitet mit Installationen, Objekten und Video. Sibin Vasilev beginnt als Musiker und beschäftigt sich später mit Sound-Art, wobei er das Verhältnis zwischen Raum, Architektur und Klang und der Frage, wie man Inhalte und Themen durch das Klang-Umfeld bildet und ausführt, untersucht. Er ist Produzent von Musik- und Klang-Umfeldern für Theateraufführungen und realisiert Multimedia-Performances.
Ein Beispiel für eine in Deutschland erfolgreiche Künstlerin, die mit der ersten Emigranten-Welle in den 90-er Jahren ausgewandert ist, ist Mariyana Vasileva (geb. 1964, Antonovo). Sie hat die Kunsthochschule in Berlin, wo sie später lebt und arbeitet, abgeschlossen. Sie hat an internationalen Prestige-Foren teilgenommen und eine Reihe von selbständigen Ausstellungen organisiert. Die Werke, die sie schafft, variieren von Video bis Fotografie, Zeichnung und Skulptur und sind sowohl persönlich und emotional geladen, als auch global, da sie in großem Maße ein Kommentar zu allgemeinen menschlichen und sogar sozial-politischen Themen darstellen, wie Emigration, zwischenmenschliche Beziehungen, Nostalgie, Flüchtlingskrise.
Antoniya Duende (Berlin) – http://antoniaduende.com/
Valyo Chenkov (München) – http://www.sariev-gallery.com/
Vikenti Komitski (Berlin) – http://vikentikomitski.net/
Vincent Mitsev (München) – http://vincent-mitzev.de/
Vladimir Mitrev (Berlin) – http://www.vladimirmitrev.com/
Ivan Kostolov (Berlin) – http://www.kostolov.com/
Mariyana Vasileva (Berlin) – http://www.dna-galerie.de/, https://en.wikipedia.org/wiki/Mariana_Vassileva
Milen Krastev – http://www.milenotopia.de/, http://www.coucou-coucou.com/
Milko Pavlov (Berlin) – www.milkopavlov.com
Svetozara Aleksandrova (Berlin) – https://www.zara-alexandrova.net
Sibin Vasilev (Berlin) – http://www.semantics-of-sound.com/