Blinde und sehbehinderte Menschen
Die Erkenntnis ist für alle

Sehebehinderte, Bibliothek
© Goethe-Institut Bulgarien

Die Bibliothek des Goethe-Instituts Bulgarien ist eine der wenigen öffentlichen Räume in Bulgarien, die über ein modernes Software-Lesegerät für Menschen mit Sehbehinderungen verfügen. Die Nutzung ist  kostenlos, denn wir glauben, dass der freie Zugang zu Wissen ein Menschenrecht ist. Erfahren Sie mehr über die Erfahrungen und Hindernisse, mit denen die meisten sehbehinderten Menschen in Bulgarien konfrontiert sind, anhand der Erzählung von Ivan Yanev, der blind ist und sich seit 25 Jahren aktiv für die Verbesserung des Lebens von Menschen mit Behinderungen einsetzt.

Von Ivan Dimitrov Yanev

Die Erkenntnis ist ein Wert, den die Menschheit über Generationen hinweg tradiert. Keiner von uns, die gegenwärtigen Menschen, kann behaupten, dass wir alles allein geschafft haben. Wir stehen auf dem Fundament unserer Voreltern, die die Erkenntnis Körnchen für Körnchen gesammelt haben, damit wir unsere Leistungen heutzutage erreichen können. Sie werden ihrerseits als eine Brücke für die zukünftigen Leistungen unserer Kinder, Enkelkinder und ihrer Nachfahren dienen und ihnen eine Freude bereiten.

Wahrscheinlich werden in der Zukunft Inhalte auch telepathisch oder auf eine andere innovative Weise übertragen, die gegenwärtige Kommunikationsweise halte ich aber für völlig ausreichend für unsere Generation. Dank der Computer, Telefongeräte, Kameras usw. machen wir in Sekunden Sachen, um die die vorigen Generationen sich lebenslang bemüht haben. Die neuen Technologien ermöglichen blinden und sehbehinderten Menschen einen leichten Zugang zur Erkenntnis. Allein durch einen Tastendruck oder durch einen Klick der Kamera oder des Scanners werden Inhalte, für die sich ein sehbehinderter Mensch interessiert, in einem digitalen Format zugänglich.

Die Sehstörung ist ein wesentliches Hindernis für den Kenntniserwerb. Früher sollten die sehnenden Menschen den Sehbeeinträchtigten vorlesen, damit sie sich ausbilden lassen konnten. 1774 rief Valentin Haüy das erste Institut für Blinde ins Leben. Er wurde sich bewusst, dass die Sehbeeinträchtigten durch die Erkenntnis imstande sein werden, sich aus der Armut zu befreien und sich dadurch ein anderes Tätigkeitsfeld als Betteln aufzusuchen. Dank Louis Braille, der die Blindeschrift im XIX Jahrhundert erfunden hat, haben die Sehbehinderten eine richtige Ausbildungsmöglichkeit erhalten. Man muss allerdings sagen, dass die Braille-Bücher äußerst umfangreich sind, und dies ist mit vielen Umständen verbunden.

1905 unterstützte der große bulgarische Intellektuelle und Wissenschaftler Prof. Ivan Schischmanov, damals Ausbildungs- und Kultusminister, die Gründung des Blindeninstituts in Sofia. Dies ist der Anfang der staatlich organisierten Ausbildung für die sehbehinderten Bulgaren. 1921 wurde die Gesellschaft der bulgarischen Blinde als Vorgänger des Bulgarischen Blindenvereins gegründet. Die Initiative ging aus ehemaligen Studierenden des Blindeninstituts, d.h. die Erkenntnis und Bildung führen zu einer weiteren Entwicklung.

1928 wurde auch das Kulturheim der Blinden eingerichtet (heutzutage Nationales Kulturheim der Blinden “Louis Braille 1928ˮ). Unter den Stiftern dieser Kultur- und Bildungsinstitution sind wiederum sehbeeinträchtige Gebildeten. Dank der Brailleschrift verbreitete sich die Erkenntnis von Mensch zu Mensch. Anfang der 60er Jahre wurde “das sprechende Buchˮ erfunden, das bis heute immer noch verwendet wird. In der Mediathek des Instituts der Blinden in Bulgarien gibt es tausende Hörbücher, die von zahlreichen Schauspielern vorgelesen sind. Zuerst wurden die Bücher in Hörfassung mit Tonbandgeräten aufgezeichnet, bzw. wiedergegeben. Später kamen die Audiokassetten auf dem Markt, heutzutage ist das Audio File Format MP3 meistverbreitet. Die Leser nutzen die Hörbücher auf CDs oder USB-Sticks.

Im Nationalen Kulturheim der Blinden “Louis Braille 1928ˮ gibt es eine Fachbibliothek für seheingeschränkte und blinde Menschen. Die dort zugänglichen Medien stehen ausschließlich den sehbehinderten Benutzern zur Verfügung. Sie sind im Text-Format vorhanden und können auf verschiedene Geräten gelesen werden, sei es Computer oder Smartphone.

Es sollte hervorgehoben werden, dass die Computer und Smartphones für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen einen Screenreader haben, d.h. eine Software, die Bildschirminhalte in Text umsetzt, der zu hören ist. Für die Bilder gilt dies aber nicht. Wenn dabei eine Darstellung vorhanden ist, kann die Software sie nicht inhaltlich erklären, da sie keine analytische Funktionen hat. Deswegen ist äußerst wichtig, dass man die Texte für sehbehinderte Menschen in passenden Formaten bereitstellt – txt, doc, dox, etc.
 


Erfreulicherweise werden immer mehr Institutionen bewusst, dass die sehbehinderten Menschen wie alle andere Menschen sind, und bemühen sich, ihre Bedürfnisse nachvollzuziehen, ihnen zu helfen und dadurch sie als vollberechtige Mitglieder der Gesellschaft zu fördern.

Allen Menschen mit Sehbehinderung, die einen Wissendurst und eine Leselust haben, stehen verschiedene Orte zur Verfügung. Zu den bequemsten und modern ausgestatteten Orten darunter zählt die Bibliothek des Goethe-Instituts. In ihren Räumlichkeiten gibt es einen Blindenarbeitsplatz mit Computer mit einem großen Bildschirm, Braille Display Focus 40, Blue – 5 Generation, sowie ein tragbares Lesegerät PEARL mit OpenBook Software, Software-Bildschirmleser und Vergrößerer Fusion Professional, JAWS. Kurz gesagt, die Bibliothek verfügt über alles, was ein sehbehinderter Mensch braucht, um zu lesen. Die Software und die Fachtechnik helfen den Menschen mit Sehstörungen beim Lesen, für Textbearbeitung, Redaktion und Schreiben, und zwar in einer gemütlichen und freundlichen Atmosphäre. Dabei sind alle Einstellungen auf Deutsch, Englisch und Bulgarisch, was der Umfang der Erkenntnis eigentlich fast grenzenlos erweitert.

Die Zugänglichkeit der Erkenntnis ist ein fundamentaler Wert, den immer mehr seheingeschränkte Menschen zur Verfügung haben, und es hängt nur von ihnen ab, davon zu profitieren. Sie sind in der Bibliothek des Goethe-Instituts willkommen und können die da vorhandene Fachausstattung barrierefrei nutzen. Die einzige Voraussetzung dafür sind technische Vorkenntnisse. Im Falle, dass man die erforderlichen Fähigkeiten nicht hat, kann man sich am Zentrum für soziale Rehabilitation an Tzar Simeon I Str. 110 in Sofia ausbilden lassen.

Die Erkenntnis ist diejenige Kraft, die jedem menschlichen Wesen erlaubt, Selbstbewusstsein und Entwicklungsbereitschaft zu gewinnen und die Perspektive für ein qualitäts- und sinnvolles Leben für sich zu eröffnen. Letztendlich wofür leben wir, wenn nicht dazu, die Erbe unserer Vorfahren auszuweiten, von dem jahrhundertelang gesammelten Wissen zu profitieren, das Gefühl für einen Sinn des Lebens zu gewinnen, unsere Erkenntnis zu bereichern und nicht zuletzt den Staffelstab an den künftigen Generationen zu übergeben.

Der lesende Mensch ist ein sinnvoller Mensch.


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Öffnungszeiten der Bibliothek des Goethe-Instituts:
Montag–Freitag: 9:00–19:30 Uhr
Freitags: 9:00–18:00 Uhr

 

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