DEVIATION: Frauen im bulgarischen Film

Boryana Rossa: Frauen im bulgarischen Film © © Boryana Rossa Boryana Rossa: Frauen im bulgarischen Film © Boryana Rossa

Austellung von Boryana Rossa

„Deviation“ ist eine Videoinstallation, die dokumentarische Videos und Zeichnungen kombiniert. Boryana Rossa trifft 11 zeitgenössische Frauen aus verschiedenen Bereichen, die bulgarische Filme von 1965 bis 2017 kommentieren und analysieren. Trotz des traditionellen, scheinbar dokumentarischen Formats geht es hier nicht um Filmanalyse. Vielmehr geht es in den von Boryana Rossa geführten Interviews um die Frage der Selbstidentifikation oder darum, wie wir uns mit Bildern aus der jüngeren und ferneren Vergangenheit identifizieren können (oder auch nicht). Und aus diesen Diskrepanzen und „Abweichungen“ entstehen Spannungen, die das Potenzial haben, einen kritischen Blick nicht nur auf die Geschichte, sondern auch auf die Gegenwart zu werfen; darauf, wo wir heute als Gesellschaft in Bezug auf die Rolle der Frau stehen und wie wir hierher gekommen sind.

Die Erzählung, die Boryana Rossa zu rekonstruieren vermag, geht von einem reaktiven Frauenbild aus: der konservativen Vorstellung von der Frau als Hüterin traditioneller Werte, die für einen höheren Zweck zum Opfer wird. Die Geschichte geht weiter mit dem Opfer und dem Märtyrertod, aber dieses Mal einer Frau, die mit einem schwachen, zerbrechlichen und geschundenen weiblichen Körper gleichgesetzt wird. Das Thema des Leidens geht über zum Widerstand und schließlich zur Revolution.

Anders als man erwarten könnte, folgt diese Erzählung, die die Zeichnungen in der Ausstellung nachzeichnen, jedoch nicht einer chronologischen Reihenfolge, sondern ganz im Gegenteil – sie scheint umgekehrt zu verlaufen. Die Filme, auf denen das Projekt basiert, sind Voevoda (2017), Seamstresses (2007), The Last Word (1972), The Wolf (1965), Monday Morning (1968) und Divergence (1967).

Diese „Entdeckung“ von Boryana Rossa macht unweigerlich den Rückschritt in der Gesellschaft nicht nur (!) in Bezug auf Frauen bewusst. Und schmerzhaft. Damit wirft die Künstlerin Fragen nach der Vergangenheit, der Gegenwart und dem, was wir ihr verdanken, auf. Sie entlarvt auch einen Trugschluss: Freiheit (alle Freiheit) wird nicht ein für alle Mal erreicht, sondern ist ein fortlaufender Prozess. In diesem Sinne hat Rossas Projekt, wie sie selbst sagt, auch das idealistische Ziel, eine Weitergabe von Wissen und Erfahrung zwischen den Generationen zu schaffen.

Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass diese Erzählung nicht nur nicht chronologisch, sondern auch nicht linear ist. Sie kann zyklisch sein. Oder ziemlich unberechenbar. Und die Fragen, die wir uns stellen, wenn wir uns der Diskrepanzen zwischen Bildern, Wahrnehmungen, Zeiten und Einstellungen bewusst werden, weisen uns auch auf das größere Thema hin, welches die „neuen“ Frauenbilder sind, mit denen wir uns als moderne Frauen identifizieren und die wir auf der Leinwand und um uns herum erkennen möchten.

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Rossas Interesse am Kino und seinen außergewöhnlichen und viel extremeren Eigenschaften als jede andere Kunst, einen sozialen Kontext darzustellen, Repräsentationen und Haltungen zu erschaffen, hat eine fast zehnjährige Geschichte. Ihre Dissertation, die sich in der Folge zu einem groß angelegten künstlerischen Projekt entwickelte, beschäftigt sich mit der Darstellung von Geschlecht im sozialistischen und postsozialistischen Kino der UdSSR, Russlands, Bulgariens und der Tschechoslowakei (Teile davon wurden 2016 auch in Bulgarien in der von Vera Mlechevska kuratierten Ausstellung After the Fall präsentiert).

Ein zentraler Ansatz in diesem Projekt von Boryana Rossa ist die Nachstellung von Schlüsselszenen aus Filmen mit zeitgenössischen Schauspielern und solchen, die aus einem westlichen Kontext kommen und denen die Erfahrung oder gar die ererbte Erinnerung an das Leben im Ostblock fehlt. Dieser Prozess der Neuschöpfung bietet eine Möglichkeit, einen tieferen Einblick in das Wesen der Figuren und ihre inneren Konflikte zu gewinnen und damit in das Thema Geschlecht, das, wie Boryana Rossa in ihrer künstlerischen Praxis immer wieder bewiesen hat, grundsätzlich performativ ist.

Die in der Ausstellung „Deviation“ gezeigten Zeichnungen sind eine Weiterführung dieses Ansatzes von Boryana Rossa. Nur wird hier die performative Einsicht in die andere Richtung gedreht: auf das Selbst. Anstatt auf die Darsteller zu projizieren und ihre Erfahrungen mit dem Geschlecht zu erforschen, indem sie sie mit dem Ausgangsmaterial des Films vergleicht, arbeitet Rossa mit sich selbst.

Die Nachbildung erfolgt hier in Form von Zeichnungen ausgewählter Szenen, Bilder und Zitate aus den analysierten Filmen. Im intimen Akt des Zeichnens analysiert Rossa nicht nur die Filme, sondern führt auch eine Art Interview mit sich selbst – so wie sie auch mit den elf Frauen im Filmmaterial arbeitet. Aus den Korrespondenzen und Diskrepanzen zwischen ihrem eigenen/gewünschten Bild und dem der Filme ergibt sich die vorliegende Ausstellung.

 
  • Deviation: Frauen im bulgarischen Film © Iliyan Ruzhin

  • Deviation: Frauen im bulgarischen Film © Iliyan Ruzhin

  • Deviation: Frauen im bulgarischen Film © Iliyan Ruzhin

  • Deviation: Frauen im bulgarischen Film © Iliyan Ruzhin

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