Foodsharing
Foodsharing, oder: Eine zweite Chance für Lebensmittel

Foodsharing oder zweite Chance für die Lebensmittel
Foto: © Oliver Hallmann (CC BY 2.0)

Jedes dritte weltweit produzierte Lebensmittel landet im Müll. Das ist eine Tatsache, die immer mehr sozial engagierte Leute empört. Und während es für einige von uns genügt, sich im Internet zu äußern, handeln andere. Die Initiative Foodsharing.de wurde 2012 in Berlin gegründet. Über die Online-Plattform sammeln Freiwillige Essen, das sonst im Müll landen würde und geben dieses kostenlos an Bedürftige ab. Sieben Jahre haben die Teilnehmenden der Initiative gebraucht, um sie zu einer internationalen Bewegung mit über 200 000 angemeldeten Nutzern in Deutschland, Österreich, der Schweiz und anderen europäischen Ländern zu entwickeln und dadurch rund 10 Millionen Kilogramm an Lebensmitteln einzusparen. Das Ziel ist es, bis 2030 die weltweite Verschwendung von Lebensmitteln um 50% zu reduzieren.

Von Rada Pletnyova

Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtet sich auf die enormen Mengen an Lebensmittelabfällen, die täglich deponiert werden, auf die zwecklosen Einwegverpackungen und gleichzeitig aber auf das Potenzial für nachhaltige Umweltentscheidungen. Die Botschaft ist eindeutig: Verschwendung ist nicht mehr im Trend. Eine volle Einkaufstasche mit in Plastik verpackten Lebensmitteln steht nicht für eine höhere Klasse in der Gesellschaft und Unwissenheit und Gleichgültigkeit hinsichtlich weggeworfener Lebensmittel werden nicht länger toleriert.
 
Das Prinzip ist einfach: Händler_innen, Herstellende und Einzelpersonen bieten kostenlose Lebensmittelprodukte über verschiedene Online- und Offline-Kanäle an, die andernfalls weggeworfen worden wären, weil die Produkte abgelaufen sind, oder weil die Menschen mehr gekauft haben, als sie verbrauchen können.
 
Die Idee für die Einrichtung der Plattform foodsharing.de gegen die Lebensmittelverschwendung stammt von Valentin Thurn, Regisseur des Films Taste the Waste und Sebastian Engbrocks, Leiter der Social Media-Filmkampagne.

Etwas später kamen die Designstudenten Thomas Gerling, Christian Zehnte und die TV-Journalistin Ines Rainer auf dieselbe Idee. Das Projekt foodsharing.de ist das Ergebnis der Zusammenarbeit all dieser Menschen. Von April bis Juli 2012 haben sie ein Startkapital von 11 594 Euro von 394 Unterstützern durch Crowdfunding gesammelt.

Wie genau wird das Foodsharing in Deutschland organisiert?

„Um 18 Uhr an der Ecke zur Bäckerei, ich habe 12 Weiße und 5 Roggen übrig. Ihr seid willkommen!“
„Ich habe diese Lasagne gekocht (Bild), aber mein Freund mag keinen Knoblauch. Die Adresse lautet ... Ihr seid willkommen.“
„Heute Abend nach 22:00 Uhr am Hintereingang des Supermarktes. Bringen Sie größere Rucksäcke mit.“
 
Das sind nur einige der Anzeigen in der Facebook-Gruppe zum Foodsharing mit über 100 000 Anhängern. Ähnliche Foren und Gruppen gibt es bereits in fast jeder deutschen Stadt.

Auf der Internetseite Foodsharing.de gibt es virtuelle Körbe, in die jeder Lebensmittel „legen“ kann. Man kann sich als Lebensmittelretter (Foodsaver) anmelden und sich ernsthaft mit der Sache befassen. Die Freiwilligen haben bestimmte Arbeitszeiten und Ressourcen und sind bereit, manchmal lange Wege zu gehen, um ihre Arbeit zu erledigen. Sie koordinieren, besuchen die Adressen, sammeln das Essen und bringen es zu den bedürftigen Gemeinschaften oder lagern es in einem der leicht zugänglichen Kühlschränke auf den Straßen. In der Gegend von Berlin gibt es fast dreißig solche Sammelstellen.
 
Überflüssiges Obst, Gemüse, Brot, Milchprodukte, Gebäck, Wurst und Dosen stehen den Menschen zur Verfügung und werden schnell ausgeschöpft.
 
Foodsharing.de arbeitet sowohl mit den Händlern als auch mit den Herstellern zusammen. Die Lebensmittel, die aus verschiedenen Gründen nicht verkauft werden können, aber noch genießbar sind, werden gesammelt und an den Sammelstellen zur öffentlichen Verteilung sortiert. Um Rechtssicherheit für die Lebensmittelspender_innen zu gewährleisten, unterzeichnen alle Empfänger_innen, Clubs und Gemeinden eine Rechtsvereinbarung, um die volle Haftung für die von ihnen erhaltenen Nahrungsmitteln zu übernehmen.
 
Ein Großteil der geretteten Nahrungsmittel wird von den Unternehmen an öffentlichen Küchen, Gemeinschaftshaushalte, Behelfsunterkünfte für Obdachlose, Wohnheime für Benachteiligte oder an Bedürftige weitergegeben.
 
Im Oktober 2017 hat die Europäische Kommission erstmals Leitlinien zu Lebensmittelspenden in der EU veröffentlicht. Zielgruppe sind die Unternehmer der gesamten Lebensmittelkette, die das überflüssige Essen kostenlos an die Öffentlichkeit weitergeben. Die neuen Richtlinien enthalten detaillierte Informationen zu den Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Teilnehmenden an der Neuverteilung von Lebensmitteln.
 
Seit 2015 arbeitet foodsharing.de mit der Wohltätigkeitsorganisation „Die Tafeln“ zusammen, da sie ein und dasselbe Ziel verfolgen: Die Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Die beiden Initiativen unterscheiden sich darin, dass „Die Tafeln“ große Mengen an Lebensmitteln, hauptsächlich von Lebensmittelunternehmen, einsammelt und diese kostenlos oder gegen eine symbolische Summe nur an Bedürftige zuteilt. „Die Tafeln“ ist als Lebensmittelunternehmen registriert und muss daher die Bestimmungen der Lebensmittelhygieneverordnung (LMHV) und des Infektionsschutzgesetzes einhalten.

Schritt in die richtige Richtung

Foodsharing.de definiert sich als eine bildungspolitische Bewegung und ist nur auf Spenden angewiesen. Es werden „Razzien“ organisiert, um Lebensmittel aus den Mülltonnen bis hin zu den großen Supermarktketten zu retten. Es werden alternative Rezepte für Gerichte ausgetauscht, die aus Resten zubereitet werden und auf kreative Weise kombiniert werden. In den Wohnvierteln werden Zusammenkünfte zum gemeinsamen Essen eingerichtet. Der Glaube, dass auch kleine Bewegungen in die richtige Richtung einen Sinn und eine Reflexion haben, bestimmt den Erfolg solcher Initiativen.
 
Auf diese Weise wird eine öffentliche Bekanntmachung der Probleme geleistet. Schüler aus den unteren Klassenstufen werden auf die Konsequenzen unverantwortlicher Haltung gegenüber Lebensmitteln aufmerksam gemacht. Dem Thema wird Sendezeit gewidmet, darüber wird im Radio diskutiert, die Informationen werden im Internet und auf der Straße verbreitet, damit mehr Personen daran teilnehmen können.
 
Derzeit gibt es allein in Berlin zehn verschiedene Foodsharing-Veranstaltungen zu Themen wie Veganismus und Foodsharing, kostenlose Abendessen für Obdachlose, Anpflanzen von neuen Kulturen und Fairtrade.
 
Alternative Wege, Lebensmittel zu teilen und gegen Einwegverpackungen vorzugehen, bieten auch Läden für abgelaufene Lebensmittel, in denen jeder Mensch für die von ihm ausgewählten Produkte einen Preis zahlen kann, den er selbst eingeschätzt hat. Auch die Läden, die Waren in loser Form, also ohne Verpackung, verkaufen, vermehren sich.
 
Interessant ist auch die Too Good To Go-App, in der Hotels, Restaurants, Snackbars und Bäckereien am Ende des Tages restliches Essen anbieten. Nach dem Herunterladen der App kann jeder eine Mahlzeit über sein Handy buchen, mit Kreditkarte oder über Pay Pal bezahlen. Etwa eine Stunde vor Schließung können Einkäufe im Laden oder im Restaurant erfolgen.
 
Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Lebensmitteln gehört zu den vielen Dingen, über die wir nicht nachdenken, weil wir nicht wissen, wie wir mit der Veränderung anfangen sollen. Der Anfang dieses langen und wichtigen Prozesses ist in unserer eigenen Küche.

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