Neue Wohnkonzepte – bauen für Geflüchtete


Collage für Dachaufstockung
Deutsche Behörden stehen vor der Aufgabe, Flüchtlingen geeignete Unterkünfte bereitzustellen. Ideen und Entwürfe zeigen, wie passender Wohnraum schnell geschaffen und nachhaltig genutzt werden kann.
Im Jahr 2015 kamen über eine Million Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland. Sie suchen Schutz und brauchen einen Ort, um zu bleiben – temporär oder für immer. Deutschland hat seine Grenzen für Geflüchtete geöffnet. Das Credo der Bundeskanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das“ löste eine Welle der Hilfsbereitschaft aus.


Immer deutlicher wird aber auch, dass die Bewältigung dieser Aufgabe eine große gesellschaftliche Herausforderung ist und gemeinschaftlicher Kräfte bedarf. Längst haben sich die Bundesländer koordiniert und die Kommunen um Amtshilfe bei der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen gebeten. Leer stehende Kasernen, Schulen, Hotels, Baumärkte sowie vorübergehend auch Sporthallen, Messe- und Industriehallen sind zu Notunterkünften umfunktioniert worden. Zeltlager, Container und winterfeste Schnellbauhütten wurden errichtet, um zumindest eine Grundversorgung zu bieten. Von Wohnen aber kann hierbei nicht die Rede sein.

„Refugees welcome“

Collage Unterkunft im Schrebergarten

Auf Bundes- und Länderebene wurden im Eiltempo baurechtliche Planungserleichterungen beim Bereitstellen vorhandener und beim Bauen neuer Unterkünfte geschaffen. Parallel zur Bundesregierung, den Ländern und Gemeinden, zu Hilfs- und Sozial- und kirchlichen Organisationen, den Freiwilligen Feuerwehren und vielen privaten Aktivitäten engagieren sich auch die deutschen Architekten: Architektenverbände und -kammern bündeln ihre Kräfte und bieten Lösungen für Unterbringungs- und Wohnfragen. Bereits im Frühjahr 2015 gab es einen Vorstoß des Hamburger Architekten Jörg Friedrich, der als Professor für Entwerfen und Architekturtheorie an der Leibniz-Universität Hannover lehrt. Zusammen mit seinen Studierenden entwickelte er am Beispiel von Hannover eine Reihe von neuen Wohnkonzepten und präsentierte sie in der Publikation Refugees Welcome (Jovis Verlag).

Collage für Lückenbebauung Zu den vorgestellten Konzepten gehören beispielsweise Lückenbebauungen, Hofüberbauungen, Flachdachaufbauten aus einer modularen Holzbauweise, schwimmende Wohnungen auf alten Binnenschiffen oder Konzepte, um Schrebergärten bewohnbar zu machen. Es geht dabei vor allem um das Ausloten räumlicher wie sozialer Potenziale in der Stadt. Jörg Friedrich wünscht sich von Planern und Bauherren, dass sie bei der architektonischen und städtebaulichen Umsetzung von Wohnprojekten für Flüchtlinge über differenzierte Mischkonzepte nachdenken, anstatt hastig zu improvisieren. So könnten aus Flüchtlingswohnungen später zum Beispiel Wohnungen für Studierende oder andere Gruppen entstehen.

Lückenbebauung Kopernikusstraße in Hannover

Ein nachhaltiges Mischkonzept hat das Büro ksw architekten + stadtplaner bereits in einem Wohnbauprojekt als Lückenschluss für die städtische Gesellschaft Bauen und Wohnen in der Kopernikusstraße in Hannover entwickelt. Die Flüchtlingswohnungen über einer Ladenzone sind so konzipiert, dass aus anfänglich vier Wohneinheiten pro Etage später sechs werden können. Der spätere Umbau wurde bereits von Anfang an in der Planung berücksichtigt, sodass nur minimale Eingriffe erforderlich werden.

Modulare Bauweise

Modulherstellung in Vorarlberg

Als sogenannte Modularstandorte werden in Hannover Linden-Nord Wohnanlagen in Holzbauweise geplant, die ebenfalls auf längerfristige Nutzung angelegt sind. Die drei zweigeschossigen Wohnzeilen für rund 100 Flüchtlinge bestehen aus zusammenmontierten, circa 2,70 Meter breiten und 12 Meter langen Containern. Produziert werden diese Holzmodule vollständig mit allen Innenausbauten im österreichischen Vorarlberg. Drei bis fünf Container sind jeweils zu einer Wohneinheit mit Gemeinschaftsküche zusammengefasst. Die Wohnungen der Obergeschosse werden über einen Laubengang erschlossen, der gleichzeitig als Rettungsweg dient. Das gemeinsam vom städtischen Gebäudemanagement mit Mosaik Architekten BDA, Drewes + Speth sowie dem Büro LINNEA Landschaftsarchitektur entwickelte Projekt ist so konzipiert, dass eine Nachnutzung durch studentische Wohngemeinschaften oder Familien denkbar ist.

Wohnen und Arbeiten

Unterkunft in Hötzum

Es gibt auch private Initiativen, wie die von Roland Bohlmann aus dem Dorf Hötzum im Südosten Niedersachsens. Zusammen mit der Braunschweiger Architektin Lieselotte Decker plant er den Umbau eines Altbaus auf dem Land. Hier helfen nicht nur alteingesessene Dorfbewohner mit, auch zahlreiche Unternehmen aus dem Umland unterstützen das Projekt mit Baumaterialien. Wohnen und Arbeiten sind eng miteinander verzahnt. Zukünftig werden hier vier geflüchtete Familien ein neues Zuhause finden, in zwei angegliederten Werkstätten erhalten sie zudem eigene Arbeitsbereiche, denn Handwerk wird dort in der ländlichen Region dringend gebraucht.

Collage für Unterbringung am Bahnhof

Flüchtlinge sollten in ganz normalen Wohnungen leben, das meint auch der Berliner Architekt und Professor für Architektur und Stadtforschung Arno Brandlhuber. Die knapp zwei Millionen leer stehenden Wohnungen in Deutschland ließen sich für die Ankommenden nutzen. Er plädiert dafür, viel mehr unterschiedliche Wohnungen zu bauen, vor allem aber viel mehr kostengünstige. Brandlhuber fordert, im Wohnungsbau mehr Experimente zu wagen. Er sagt, es sei nötig, bestehende Standards bei den Materialien und bei den Wohnungstypologien zu hinterfragen und neu auszuloten. Das bietet die große Chance, die Wohn- und Lebensmodelle aller Nutzer vielfältiger zu gestalten.