Babai
Auf der Suche nach einem Vater

Val Maloku und Astrit Kabashi in -Babai-
Val Maloku und Astrit Kabashi in -Babai- | Foto: Karlovy Vary International Filmfestival 2015

Um eine gute Geschichte schreiben zu können, muss man den Anfang und das Ende wegstreichen, war Anton Čechovs kompromisslose Forderung an einen Künstler. Der kosovarisch-deutsche Regisseur Visar Morina hat sich an eben diese Faustregel gehalten und mit seinem Flüchtlingsdrama Babai („Vater“) eine poetisch realistische Erzählung geschaffen, die auf Überzeugungsmittel wie Pathos und Sentimentalität pfeift.

Ohne große Umschweife werden wir als Zuschauer in eine Momentaufnahme geworfen, eine Episode aus dem Leben von Nori und seinem Vater. Der Protagonist ist ein albanischer Junge, aus seiner Perspektive schauen wir auf das Vorkriegskosovo der 90er Jahre und die radikale Realität der Erwachsenen.

Ist das gerade wirklich passiert?

Val Maloku in -Babai- Val Maloku in -Babai- | Karlovy Vary International Filmfestival 2015 Nori ist 10 Jahre alt und verkauft Zigaretten auf der Straße, zusammen mit seinem Vater Gesim. Auf den Verbleib von Noris Mutter wird der Vater nur äußerst ungern angesprochen, eine von vielen Randhandlungen, die nur angedeutet werden, weil sie nicht relevant sind für das, was die Geschichte zeigen will. Das Verhältnis von Vater und Sohn ist ohnehin zwiespältig. Wo auf der einen Seite ein sehr liebevoller Umgang herrscht, kommt es auf der anderen Seite immer wieder zu Machtspielchen. Als Gesim versucht nach Deutschland abzuhauen, und zwar ohne Nori, wird die Komplexität dieser Vater-Sohn-Beziehung fast erdrückend deutlich. Nori ahnt den Plan seines Vaters und kann die Abreise in einer halsbrecherischen Aktion knapp verhindern. Der zweite Versuch glückt dann doch. Gesim setzt sich heimlich ab und lässt seinen Sohn bei Verwandten zurück. All dies geschieht mit einer filmisch subtilen Selbstverständlichkeit, fast beiläufig, dass man sich mitunter ungläubig fragt: Ist das gerade wirklich passiert? Die wohl größte Stärke des Films liegt darin, dass er einfach zeigt. Auf diese Weise entstehen fein gezeichnete Bilder anstelle von Erklärungen, die ohnehin nicht ausreichen würden.

„Du bist jetzt ein großer Junge“

Der Vater will seinem Sohn eine bessere Lebensgrundlage schaffen, einen Weg aus der Armut ermöglichen, klar. Das leuchtet ein. Doch warum kann er ihn nicht einfach mitnehmen? Die Reise sei zu gefährlich, sagt Gesim, doch das können wir ihm mittlerweile nicht mehr glauben. Zu oft haben wir schon spüren können, dass er überfordert ist. Nicht nur mit seiner Rolle am Rande der Gesellschaft, sondern auch mit der Alleinerziehung seines Sohnes. Auch Nori ist das nicht verborgen geblieben. Doch mit kindlichem Trotz macht er sich auf den Weg nach Deutschland, um Gesim zu suchen, um ihn zur Rede zu stellen, ihn an seine Verantwortung als Vater zu erinnern. Vor allem aber, um Liebe zu bekommen, Liebe, die ihm sonst niemand entgegenbringt. Denn Nori ist noch ein Kind. Zwar mit einem scharfen Verstand, aber eben trotzdem ein Kind. Auf seiner Reise lernt er auf schmerzhafte Art und Weise, wie die Welt funktioniert, in der er lebt. In ihrer gnadenlosen Wirklichkeit wird der Junge mit Gewalt, Verrat und Tod konfrontiert. Doch radikal zu sein hat er schon früher gelernt und so gelingt es ihm, sich bis nach Deutschland durchzuschlagen.

Die Flüchtlingsgeschichte ist hochaktuell in ihrer Thematik und zugleich zeitlos in ihrem Blick auf die Welt der Erwachsenen, aus den Augen eines Kindes. Morinas Poetik ermöglicht es, eine Geschichte zu schildern, in der es eigentlich die ganze Zeit brodelt, ohne, dass explizit darauf hingewiesen werden muss. Dies gelingt nicht zuletzt durch eine zurückhaltende Erzählweise, die das Urteilen dem Zuschauer überlässt. Die Hoffnung, die der Film gibt (wenn er das überhaupt tut), liegt in den einzelnen Menschen. Auch wenn sie keine Helden sind und ihr Handlungsspielraum eingeschränkt ist, sind sie doch die einzigen, die etwas tun können. In einer Welt, in der sich an den äußeren Umständen so schnell nichts ändern wird.

„Nicht ein falscher Ton“

Mit gleich drei von vier Auszeichnungen wurde Babai beim Förderpreis Neues Deutsches Kino 2015 auf dem Filmfest München gewürdigt. Regisseur Visar Morina erhielt für sein Erstlingswerk den Förderpreis in den Kategorien Regie und Drehbuch. „Keine Lügen. Keine Posen. Nicht ein Moment der Selbstverliebtheit. Nicht ein falscher Ton“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Die beiden Hauptdarsteller Val Maloku (Nori) und Astrit Kabashi (Gesim) wurden gemeinsam mit dem Förderpreis in der Kategorie Schauspiel ausgezeichnet. Den beiden Darstellern gelingt es zu zeigen, „was mit uns Menschen geschieht, wenn sich unser Wunsch nach einem normalen, selbstbestimmten Leben nicht ohne weiteres erfüllt und wir darum kämpfen müssen“, so die Jury. Zudem gewinnt Babai den One Future Preis der evangelischen Interfilm Akademie München, der Filme auszeichnet, die sich ethisch und filmästhetisch mit der Zukunft der Welt auseinandersetzen. Auch beim 50. Karlovy Vary International Film Festival in Karlsbad, dem größten Filmfestival Tschechiens, räumte der Film ab. Hier gewann Regisseur Visar Morina den Preis für die beste Regie sowie den Europa Cinemas Label Award.

Babai ist eine Produktion von NiKo Film in Koproduktion mit Produksioni Krusha (Kosovo), Skopje Film Studio (Mazedonien) und EAUX VIVES Productions (Frankreich) in Zusammenarbeit mit WDR und Arte, gefördert von Film- und Medienstiftung NRW, FFA, nordmedia, Kosova Cinematography Center, Macedonian Film Fund und Cinéma du Monde CNC.