Architekturspaziergang Nürnberg
Das fränkische Schmuckkästchen
Nürnberg pflegt sein Image als Schatzkästlein. Im Hinblick auf Architekturprojekte machte die Stadt letztmals überregional Schlagzeilen, als 1996 ein im Herzen Nürnbergs geplanter Bau des amerikanischen Stararchitekten Helmut Jahn durch einen Volksentscheid gekippt wurde. Der Wunsch nach Rekonstruktion bestimmte bereits den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zu 98 Prozent zerstörten Innenstadt, weshalb die fränkische Metropole ihr mittelalterliches Aussehen in weiten Teilen bewahren konnte.
Dennoch entstand in den letzten Jahren eine Reihe bemerkenswerter Neubauten. Nicht selten war es die Kommune selbst, die den Anstoß zur Stadterneuerung gab und ehrwürdigen Gebäuden wie dem Künstlerhaus am Bahnhof oder dem Luitpoldhaus der Stadtbibliothek eine Verjüngungskur verpasste. Inzwischen sind renommierte Architekturbüros wie Allmann, Wappner, Sattler oder Gerkan, Marg und Partner in der Stadt tätig, die 1992 vom Spiegel als langweiligste Großstadt Deutschlands ermittelt wurde. Heute ist Nürnberg der lebendige Mittelpunkt der gleichnamigen Metropolregion und setzt auch architektonisch Maßstäbe.
Schauspielhaus Nürnberg
Richard-Wagner-Platz 2-10, 90443 Nürnberg49°26′47″N, 11°4′31″O
Prof. Friedrich Planung, 2010
Das 1951 als Kino- und Varietégebäude für die US-Armee nahe des historischen Opernhauses errichtete spätere Schauspielhaus wurde 2010 vor allem im technischen Bereich generalsaniert. Aber auch das nach Entwürfen von Professor Friedrich und Partner aus Hamburg umgesetzte neue Foyergebäude präsentiert sich nun mit großzügiger Glasfassade und goldenen Lisenen zum Richard-Wagner-Platz. Das neue Portal des Schauspielhauses wurde über einen Zwischenbau mit dem Opernhaus zu einem städtebaulichen Ensemble zusammengefügt.
Eine großzügige offene Treppenanlage entlang der Glasfassade des Foyerneubaus verbindet die Kammerspiele im Untergeschoss, das Schauspiel im Erd- und Obergeschoss sowie die Blue Box im obersten Geschoss.
Alle Zuschauerräume sind zurückhaltend elegant gestaltet und verfügen über eigene Foyers mit Garderoben und Gastronomietheken. Im Schauspielsaal wurde der Abstand der Sitzreihen erweitert. Trotz einer Neumöblierung und einer Neuorientierung in der Farbwahl wurde die Charakteristik der Räume beibehalten.
Die neue Bühnentechnik schafft Voraussetzungen für eine große Bandbreite szenischer Gestaltungsmöglichkeiten.
Stadtbibliothek
Gewerbemuseumsplatz 4, 90403 Nürnberg49°27'6"N, 11°4'57"O
Baum Kappler Architekten, 2011
Das 1911 errichtete Luitpoldhaus hat schon häufig sein Aussehen verändert, immer aber war es eine Bibliothek. Durch die Zusammenführung mehrerer Standorte zu einer Zentralbibliothek musste nun für rund 700.000 Medien Platz geschaffen werden. Darunter befinden sich sehr wertvolle mittelalterliche Handschriften, Inkunabeln, Drucke und Karten. Im Rahmen des Umbaus wurden dafür unter anderem ein Handschriftenlesesaal und verschiedene Archivräume sowie spezielle Handschriftenmagazine und ein Ausstellungsraum eingerichtet, in denen die Einhaltung spezieller raumklimatischer Verhältnisse für die Erhaltung der Bestände gewährleistet ist. Neben funktionalen und energetischen, raumklimatischen sowie bau- und raumakustischen Verbesserungen wurde auch die Bibliothekslogistik auf den neuesten Stand der Technik und der Nutzeranforderungen gebracht.
Neben der Aufstockung des Altbaus um ein Vollgeschoss und ein rückversetztes Staffelgeschoss entstanden ein semitransparenter Zwischenbaukörper, der an das Katharinenkloster anbindet, und ein schlanker Neubaukörper, der an ein Bücherregal erinnert.
Sebalder Höfe
Kaiserstraße 9, 90403 Nürnberg49°27'7.308"N, 11°4'36.3"O
Alpha Gruppe, Staab Architekten, 2007
Erst mit dem 2004 erfolgten Umzug der 1658 gegründeten Sebaldus-Druckerei an den Nürnberger Hafen wurde die Umgestaltung eines über 50 000 Quadratmeter großen Areals in der Sebalder Altstadt nahe des Rathenauplatzes möglich. In zwei Bauabschnitten realisierte die Alpha Projektentwicklung GmbH mit dem Berliner Architekten Volker Staab eine Mischbebauung aus Einzelhandel, Büros und Wohnungen. Die in diesem Bereich fehlende Altstadtmauer wurde von Staab um einen baulichen Riegel aus geschichteten Natursteinen ergänzt, hinter dem sich – über eine steil aufsteigende Treppe erreichbar – einer der überraschendsten Plätze Nürnbergs befindet. Als Oase inmitten des Stadtverkehrs dient er Passanten wie Besuchern des rückwärtig gelegenen Theaters als Aufenthaltsort. Das dort seit 2007 aufspielende Kindertheater Pfütze etablierte sich durch den ebenfalls von Staab entworfenen Theaterbau zu einer auch überregional anerkannten Produktionsstätte anspruchsvoller Inszenierungen für Kinder und Erwachsene.
Sparkasse Nürnberg
Lorenzer Platz 12, 90402 Nürnberg49°27'2.7642"N, 11°4'46.5204"O
Allmann Sattler Wappner Architekten, 2012
Das Münchner Architekturbüro Allmann Sattler Wappner gewann 2009 den Wettbewerb zur Sanierung und Erweiterung des markant an der Marienstraße liegenden Baus, in dem ursprünglich die Kreissparkasse ihren Sitz hatte. Ziel war es, den ehemaligen Verwaltungsbau einer zeitgemäßen Büronutzung mit offenen Räumen, Konferenz- und Seminarbereichen zuzuführen. Mit einem Kunstgriff bewältigten Allmann Sattler Wappner die Auflage, die städtebaulich bedeutsame Fassade zum Marientorgraben aus den 1960er Jahren zu erhalten: Dem Gebäude wurde rückseitig ein Erweiterungsbau angefügt, dessen aufgerissene Glasfronten sich zum begrünten Innenhof öffnen. Ein weiterer Höhepunkt stellt die dem Gebäude aufgesetzte Laterne dar, von der sich ein atemberaubender Blick auf die Nürnberger Altstadt eröffnet. Als für Nürnberg beispielhaft erwies sich auch ein in Kooperation mit der Nürnberger Kunstakademie durchgeführter Kunst-am-Bau-Wettbewerb, in dem Kunstwerke von Absolventen in die Planung miteinbezogen wurden.
Landeskirchliches Archiv
Veilhofstraße 28, 90489 Nürnberg49°27'29.4012"N, 11°6'19.911"O
Gerkan, Marg und Partner, voraussichtlich 2013
Das Architektenbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) aus Hamburg hat den Wettbewerb zum Neubau des Landeskirchlichen Archivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gewonnen, in dem 30 Regalkilometer Archiv- und Bibliotheksgut unterzubringen waren.
Das überwiegend fensterlose Gebäude öffnet sich lediglich im Erdgeschoss dem Besucher. Wer vom alten Wöhrder Friedhof kommt, betritt über das Foyer den Vortrags- bzw. Ausstellungssaal sowie den Lesesaal, der an den Garten des benachbarten Predigerseminars anschließt. Schlitzartige Fenster weisen in den oberen Etagen auf Büroräume hin. Der Zugang zum Magazinbereich wird durch Klimaschleusen ermöglicht. Von den Räumen in der Südostecke bietet sich ein Blick auf den Wöhrder See.
Auf AEG
Muggenhofer Straße 135, 90429 Nürnberg49°27'40.017"N, 11°1'45.7968"O
MIB AG Immobilien und Beteiligungen, 2007
An der Nürnberg und Fürth verbindenden Fürther Straße befinden sich zahlreiche über Jahrzehnte gewachsene Industrieareale, in welchen traditionsreiche Unternehmen wie Quelle und AEG ihren Sitz hatten. Mit deren Schließung stellte sich die Frage nach der Umnutzung der historischen Gebäudesubstanz. Bei dem ehemaligen Sitz der AEG wurde die kleinteilige Gebäudestruktur durch aufwändige Sanierungsmaßnahmen erhalten, die unterschiedlichste Nutzungen ermöglichen sollte, darunter Firmensitze, Aus- und Weiterbildungszentren sowie Lager- und Logistikflächen. Nach dem Vorbild der Leipziger Baumwollspinnerei ernannten die Projektentwickler MIB Kunst und Kultur zum neuen Leitbild des Viertels. Nicht nur verfügt das Areal über fast 80 Künstlerateliers, mit der „Zentrifuge“ befindet sich dort auch ein Kulturzentrum mit Schwerpunkt auf der Vermittlung von Bildender Kunst und der Vernetzung von Kulturschaffenden. „Auf AEG“ hat sich im lokalen Sprachgebrauch rasch als Qualitätsmerkmal für aufsehenerregende Ausstellungsprojekte im großen Format durchgesetzt.
Aussegnungshalle am Westfriedhof
Schnieglinger Straße 147b, 90425 Nürnberg49°27'58.2834"N, 11°2'23.892"O
Günther Dechant, 2010
Die Idee zum Neubau der Aussegnungshalle zur Erdbestattung am Westfriedhof entwickelte sich aus dem Sanierungsprojekt des Altbaus, der letztendlich zu wenig Platz bot. Der neue Raum mit 200 Sitzplätzen wurde gegenüber dem Altbau aus der Symmetrieachse des Bestands herausgerückt.
Der introvertierte Neubau ordnet sich somit dem bestehenden Altbau unter und wird von einem Wasserbecken entlang eines liegenden Fensterbandes flankiert. Am Eingang wurde das Wort „Erde“ in 16 verschiedenen Sprachen auf das Glas gedruckt. Der feingliedrige, aber dominante Glockenturm komplettiert das Ensemble, das von dem Architekten Günther Dechant aus Nürnberg geplant wurde.
Delfinlagune und Manatihaus im Tiergarten Nürnberg
Am Tiergarten 30, 90480 Nürnberg49°27'1.0794"N, 11°8'21.66"O
Adler und Olesch, 2011
Eine neue Attraktion im Tiergarten Nürnberg ist der Neubau der Delfinlagune und des Manatihauses. Die Delfinlagune erweitert das seit 40 Jahren bestehende Delfinarium um eine naturnahe Freianlage. Das Manatihaus bietet neben den Seekühen vielen weiteren Tierarten ein neues Domizil und erinnert an einen überfluteten südamerikanischen Regenwald. Der Blaue Salon ermöglicht es den Besuchern, über großflächige Verglasungen beide Unterwasserwelten zu beobachten.
Ausgesprochen gelungen ist der Technikbereich, in dem ein Blockheizkraftwerk sowie eine thermische Solaranlage eingebaut wurden und hohe Wirkungsgrade bei den Komponenten für geringe Betriebskosten sorgen. Diese Bereiche sind in die Landschaft eingebettet worden, damit sie dem Besucher verborgen bleiben.
Akademie der Bildenden Künste Nürnberg
Bingstraße 60, 90480 Nürnberg49°26'47.094"N, 11°8'11.04"O
Hascher und Jehle, 2012
Zum 350. Jubiläum der ältesten Kunstakademie im deutschsprachigen Raum haben die Berliner Architekten Hascher und Jehle einen Erweiterungsbau realisiert. Der Neubau ergänzt das 1950 von Sep Ruf geplante Ensemble von pavillonartigen Einzelbauten.
Zusammen mit den unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden Sep Rufs bildet der Erweiterungsbau den neuen „Campus“ der Akademie der Bildenden Künste. Der langgestreckte, eingeschossige Baukörper fasst unter einer zusammenhängenden Dachlandschaft drei Pavillons für Ateliers, den großen Malsaal und die Seminarräume zusammen. Die Öffentlichkeit betritt den Campus über einen offenen Hof vor dem mittleren Pavillon, in dem ein Café eingerichtet wird.
Die gewählten Materialien unterstützen den Werkstattcharakter des Neubaus. Sichtbetonflächen wechseln sich mit Glas und geschlossenen Stahlelementen ab und bilden damit die robuste äußere Hülle des Gebäudes. Die Gebäude werden CO²-neutral durch den Einsatz einer Biomasseheizanlage versorgt.
NürnbergMesse
Messezentrum 1, 90471 Nürnberg49°25'1.3074"N, 11°6'54.648"O
Kada Wittfeld, 2010
Die NürnbergMesse ist eine der größten Messegesellschaften weltweit. International bekannt unter anderem für die Spielwarenmesse, liegt das Spezialgebiet der NürnbergMesse jedoch inzwischen auf Fachmessen für ein genau definiertes Zielpublikum. Hierfür stehen zwölf Ausstellungshallen mit insgesamt rund 160.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche sowie eine Mehrzweckhalle zur Verfügung. Hatten vergangene Baumaßnahmen vor allem die Erweiterung der Ausstellungsfläche als Ziel, so wurde 2010 der Haupteingangsbereich neu gestaltet. Ein 18 Meter hohes und 225 Meter langes Lamellen-Stahldach sorgt nun für einen „messereifen“ Auftritt. Unübersehbar markiert das Dach den Eingangsbereich, dient aber zugleich als Unterstand für Taxis und Busse sowie als Schutz der Besucher vor Wind und Wetter. Trotz des stolzen Gewichts von 1.500 Tonnen wirkt das von zwölf Säulen getragene Stahldach durch die zwischen die Lamellen montierten Folienkissen leicht und luftig, die Spitze hebt sogar wie ein Papierflieger ab.