Lufťáci
Die Sommerfrischler

Idylle auf dem Lande
Idylle auf dem Lande | © Foto: Petr Žižka

Lufťáci. Das Wort klingt ein bisschen wie ein Schimpfwort. Es ist altmodisch, aber immer noch modern. Und es ist einer dieser wunderbaren Germanismen, von denen die tschechische Sprache so voll ist. Das Wort klingt: Lufťák, übersetzbar vielleicht mit Sommerfrischler oder Wochenendauslüftler. Im Plural dann: Lufťáci. Und der Plural passt besser, da ein Lufťák selten alleine kommt. Es ist eine regelmäßige all-wochenendliche Sintflut. Nicht nur in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, sondern überall auf dem tschechischen Lande.

Lufťáci, Sommerfrischler, sind diejenigen, die Freitagnachmittag alle Ausfallstraßen Prags überschwemmen. Sie wollen raus aus der Hauptstadt um frische Luft zu schnappen. Die paar Stunden Staustress, die sie Freitagnachmittag und Sonntagabend beim Zurückfahren verursachen, nehmen sie gern in Kauf. Ab in die Hütte! Wir fahren auf die Datsche! Schnell weg aus der Stadt in die Natur!

Ein weiteres Mal werden Pilze gesucht, es wird Gras gemäht und Holz gehackt und am Lagerfeuer brät man dann Würstchen auf einem Stock, die man bei einer kleinen Metzgerei erworben hat. Die Kinder spielen Indianer, jagen lauthals im Wald die Hasen, bis einer sich das Knie aufschlägt während Mama die Karotten erntet, Johannisbeeren pflückt und super Kuchen bäckt. Papa macht das Handy aus und springt abends noch mal schnell auf ein Bier in die Dorfkneipe, wo er den absolut gewöhnlichen Geschichten der Einheimischen lauscht und niemandem Lebensweisheiten geben muss. Jackett und Krawatte werden gegen zerlumpte Hosen und Stiefel eingetauscht. Allen geht es gut und erst am Sonntagnachmittag kommt die Trauer und Wehmut zurück, weil die Last der kommenden Woche näher rückt.

Die Lufťáci kommen aber nicht nur aus Prag, diese Bezeichnung trifft auch auf die Bewohner anderer tschechischer Großstädte zu, die am Wochenende wie leergefegt scheinen und nur den Touristen und Geistern gehören. Wo sie die Datschen haben? Überall. Ob bei uns im Český ráj (deutsch: Böhmisches Paradies) oder in Posázaví, im Riesen-, Erz-, Lausitzer- und Isergebirge, im tschechischen Hochland, im Böhmerwald oder den Jeseníky. 

Chata Tajemství Chata Tajemství | © Foto: absolutmachal, Flickr v licenci CC BY 2.0 Eine meiner deutschen Freundinnen hat lange gedacht, dass die Tschechen sehr reich sein müssten, wenn sie es sich erlauben könnten, eine große Wohnung in Prag und noch dazu einen Landsitz zu besitzen. Das könnten sich bei ihnen in München nur wenige leisten. Ich versuchte ihr zu erklären, dass das alles ein bisschen anders sei. Für viele bedeutete die Flucht auf die Datsche zu Zeiten des Sozialismus auch die Flucht in die Privatsphäre. Die Datsche war eine Art Insel der Freiheit, die man beschützte, hegte und pflegte. Hier konzentrierte sich jegliche Kreativität und Energie und hier steckte das gesamte Ersparte drin. Auf die Datsche fuhr man meist über die gesamten Ferien, denn so viele Reisemöglichkeiten hatte eine Familie aus der sozialistischen Tschechoslowakei dann auch wieder nicht.

Kochstelle in der Datscha Kochstelle in der Datscha | © Foto: maiak.info, Flickr v licenci CC BY-SA 2.0 Viele dieser tschechischen Datschen befinden sich auch in der Grenzregion, im ehemaligen Sudetenland, wo früher unsere Deutschen lebten. Und nach dem Krieg konnte man solche Häuser für ein paar tausend Kronen erwerben. Trotzdem waren viele der Dörfer wie ausgestorben. Ja, es mag vielleicht eine etwas wilde Theorie sein, aber vielleicht ist an ihr ja doch etwas dran – aus uns Tschechen wurde eine Nation von Datschenbesitzern und Wochenendausflüglern auch deswegen, weil aufgrund der historischen Ereignisse nur die Deutschen unsere gemeinsame Heimat verlassen mussten.

Was wäre die Grenzregion ohne die Deutschen, die sie bebaut haben und verlassen mussten, sagte ich zu ihr, und ohne die Lufťáci, die die alten Häuser für einen Apfel und ein Ei gekauft, renoviert und in ihren Wochenendsitz umgewandelt haben. Viele der Dörfer im Sudetenland leben so nur am Freitag, Samstag, Sonntag und in den Ferien auf. An manchen Orten in dieser Region wird man unter der Woche keiner Seele begegnen und in den Gärten äsen die Rehe.

Stillleben im Datschagarten Stillleben im Datschagarten | © Foto: maiak.info, Flickr v licenci CC BY-SA 2.0 Die Lufťáci retteten viele Häuser vor dem Abriss und viele Orte wurden so zum Leben erweckt. Zumindest am Wochenende und in der Ferien. Und so mögen wir Dörfler die Lufťáci manchmal beschimpfen, sie führen zu schnell auf unseren engen Straßen, oder sie belächeln, wenn sie wieder Indianer spielen und mit lumpiger Kleidung in die Kneipe kommen. Sie mögen uns auch auf die Nerven gehen, weil sie sich in unserer Dorfkneipe doch nie zurückhalten können und anfangen allen beim Bier Weisheiten über das Leben zu verklickern, das sie ja sowieso am besten verstehen. Wir mögen sie beneiden, für ihre großen Stadtwohnungen und ihre Wochenendresidenzen, weil wir haben nur die Datschen und keine großen Wohnungen in Prag. Aber wahrscheinlich müssten wir ihnen irgendwie auch danken.