Sorben in Deutschland
Die letzten ihrer Art

Sorbischer Forklore-Ensemble Schleife
© Rafael Ledschbor

Die Zukunft der Sorben in Sachsen und Brandenburg ist ungewiss: Strukturwandel, Assimilierung und Abwanderung machen der slawischen Minderheit zu schaffen. Manche sehen ein eigenes Parlament als letzte Chance, die sorbische Kultur zu erhalten.

Wenn Dieter Reddo vor dem Njepila-Hof im sächsischen Schleife steht, dann hat er keinen Blick für die prächtigen Scheunen. Er denkt nicht an die über 200 Jahre sorbische Geschichte, die hier schlummert. Er denkt an: die Zukunft. Und die macht ihm Angst. „Eigentlich sollten die Bagger ja schon längst da sein“, sagt der 72-Jährige. „Wir sitzen alle auf gepackten Koffern.“ Wir, dass sind die Sorben, die in der Umgebung des Njepila-Hofs leben. Die Gemeine Schleife, sorbisch Slepo, ist eine Hochburg der Sorben, seit Jahrhunderten siedelt die slawische Minderheit hier im Nordosten Sachsens. Doch jetzt kommen die Braunkohlebagger.

Der Tagebau bedroht die sorbischen Dörfer

Energieriese Vattenfall möchte seine Braunkohlesparte stärken, der Tagebau Nochten II soll ausgeweitet werden. Auf Kosten der sorbischen Dörfer. Sachsen gefällt sich als Heimat der Kohle, Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat den Freistaat längst zum Energieland Nr.1 erklärt. Da hilft es wenig, dass Tillich selbst Sorbe ist. Sechs sorbische Dörfer müssen dem Tagebau weichen.

Die Umsiedlungspläne sind festgezurrt, die Grundstücke vermessen. Eigentlich sollten Anfang Januar die ersten der rund 1 500 Einwohner ihre Häuser verlassen. Doch der Prozess stockt. Es fehlt nur eine Unterschrift, doch Vattenfall ziert sich. So bleibt Dieter Reddo nichts anderes übrig, als zu warten und mit der Unsicherheit zu leben. Jeden Tag. „Wir haben Angst, dass die Umsiedlungen nur der Anfang sind“, sagt Reddo. „Vielleicht gibt es in 20 Jahren gar keine Sorben mehr.“

Die Sorben gehören zur Volksgruppe der Westslawen. Sie leben in der brandenburgischen Niederlausitz, wo sie auch als Wenden bezeichnet werden, und in der Oberlausitz in Sachsen. Die sorbische Sprache ähnelt dem Polnischen, Tschechischen und Slowakischen. Das kleine slawische Volk hat selbst kein Mutterland oder Staatsgebiet. 60.000 Sorben soll es geben, 40.000 davon in Sachsen, 20.000 in Brandenburg. Es sind Schätzungen, kein deutscher Staatsbürger muss angeben, welcher Nationalität er sich zugehörig fühlt. Wie viele Sorben es heute genau gibt, weiß also keiner.  

„Viele ziehen in den Westen, das Sorbische verschwindet.“

Früher, sagt Dieter Reddo, sei ihr Wahlspruch immer gewesen: Der Njepila-Hof muss lebendig bleiben. Es klingt beschwörend, wenn er das sagt, aber auch etwas hilflos. Der Hof, der nach dem sorbischen Volksdichter Hanzo Njepila benannt ist, gehört eigentlich der Gemeinde Schleife. Reddo und andere gründeten vor Jahren einen Hilfsverein, sie haben aus dem Hof eine Art sorbisches Museum gemacht. Es gibt noch den historischen Webstuhl, der Verein bietet Sprachkurse an. Doch nun wird der Njepila-Hof verpflanzt, die alten Gesteinsschichten sollen Stück für Stück abgetragen und neu aufgebaut werden. „Es ist ein Trost, dass der Hof woanders weiterlebt“, sagt Rodde. „Aber wenn die Kinder mal nach dem alten Hof fragen, kann ich Ihnen nur den Krater zeigen.“

Rodde sagt froogn statt fragen, als er damals in die Schule kam, konnte er kein Wort Deutsch. Sorbisch sprach er fließend. Heute verstehen viele Jugendliche nur ein paar Brocken, die Sprache ist mehr Folklore als Teil des Alltags. Die Sorben haben ein Nachwuchsproblem. „Es gibt kaum Arbeit hier“, sagt Reddo. „Viele ziehen in den Westen, das Sorbische verschwindet.“ Früher trugen die Sorben ihre Tracht zur Arbeit und in der Messe – heute sieht man die verzierten Kleider vor allem bei Festen. Der Traum vom eigenen Parlament

„Ich finde, wir Sorben werden zu oft auf Trachten und Folklore reduziert“, sagt Martin Walde. „Wir wollen auch politisch mitbestimmen.“ Deshalb träumen er und seine Mitstreiter von einem eigenen sorbischen Parlament, dem Serbski Sejmik. Dabei gibt es mit der Domowina schon eine Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, für die Sorben zu sprechen. Unter dem Dachverband organisieren sich zahlreiche sorbische Vereine, knapp 7.000 Mitglieder zählt die Domowina. Gewählt ist sie nicht. Das ist das Problem, sagt Walde. „Ein Verein kann niemals eine demokratische Vertretung ersetzen.“ Walde saß selbst mal im Vorstand und gab dann entnervt auf. „Echte Reformen waren nicht möglich und auch nicht gewollt.“

2011 gründeten rund hundert Aktivisten die Initiative Serbski Sejmik, ihr Ziel: eine gewählte Vertretung in Form einer Körperschaft des öffentliche Rechts. „Das wäre die legitime Vertretung des sorbischen Volkes. Wir könnten politisch mehr mitreden und hätten beispielsweise Klagerecht“, sagt Walde. Wahlen könnten zeitgleich mit Europa- oder Kommunalwahlen stattfinden, sagt Walde. In den Wahlkabinen der sorbischen Siedlungsgebiete lägen dann Stimmzettel bei, die jeder ausfüllen könne, der sich als Sorbe fühlt. Ohne Registrierung, ohne Kontrolle. Die Sorben hätten endlich ein eigenes Parlament.

David Statnik, Vorsitzender der Domowina, hat erwartungsgemäß eine andere Meinung. „Die Idee des Serbski Sejmik findet bei uns keine Beachtung, da das Konzept nicht überzeugt hat.“ Als Körperschaft stehe man unter Verwaltungsaufsicht, Sachsen und Brandenburg könnten bei Projekten mitentscheiden. Außerdem könne man niemanden zwingen, sich zum Sorbentum zu bekennen. „Wir wollen weiter im Dialog mit den Gemeinden und der Politik bleiben. Mehr Druck ist der falsche Weg.“   

Der Vorsitzende des Dachverbands denkt schon weiter, sein neues Projekt sind digitale Sprachräume. „Unser Traum wäre, wenn man bei den Google-Diensten sorbisch als Sprache auswählen könnte.“ Eine sorbische Tastatur für Microsoft gibt es schon, das Sprachprogramm soblex.de übersetzt bis zu vier Millionen Wörter ins Sorbische.

Dieter Reddo vom Njepila-Hof macht sich über solche Dinge keine Gedanken mehr. Ein eigenes Parlament, das fände er nicht schlecht. Aber ob es wirklich was bringt? Der 72-Jährige weiß nicht so recht. So wird Dieter Reddo weiter warten. Auf die Bagger. Den neuen Njepila-Hof. Und was die Zukunft für die Sorben bringt.

Infokasten Sorben

Poltik

Die Domowina ist der Dachverband der sorbischen Vereine. Unter den Nationalsozialisten war die Organisation zwischen 1937 und 1945 verboten. Der Regionalverband Niederlausitz ist heute mit rund 2.200 Mitgliedern der größte Verband innerhalb der Domowina. Der Verein katholischer Sorben ist ebenfalls einflussreich, er gibt die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Katolski Posol heraus.

Kultur

Einige Traditionen der Sorben bleiben lebendig: Die Geschichte von Krabat, dem Jungen, der sich als Lehrling gegen seinen Zaubermeister behaupten muss, basiert auf einer sorbischen Sage. Otfried Preußlers gleichnamiger Roman machte den sorbischen Zauberer berühmt. Noch heute ist der Stoff präsent, Krabats Gesicht grüßt von den Flaschen des Krabatpils. Auch die aufwendig verzierten Ostereier und die traditionellen Reiter, die am Ostersonntag in einer Prozession durch die Lausitzer Dörfer ziehen, prägen das Bild der Sorben.