Tanz mit Geflüchteten
Von Gefühlen und Erlebnissen erzählen

Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad
Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad | Foto: Christine Cayre Rey

Seit 2005 veranstaltet der Choreograf und Tänzer Taigué Ahmed mit seiner Organisation Ndam Se Na Tanzworkshops in Flüchtlingscamps im Süden des Tschad. Sarah Israel sprach mit ihm über den Tanz als eine alles verbindende Sprache.

Was war der Anstoß, der Dich animierte, in die Camps zu gehen, um dort mit Geflüchteten zu tanzen?

Das, was mich in die Camps führt, ist ein Moment meiner eigenen Geschichte. Der Tanz ist für mich zu einem Mittel geworden, das mir hilft, mit den Menschen zu kommunizieren. Anhand des Tanzes kann ich Erlebnisse ausdrücken, die ich sonst nicht zu verbalisieren vermag. Die Möglichkeit, den Tanz zu nutzen, um von sich selbst, den eigenen Gefühlen und Ansichten zu erzählen, findet sich nicht im traditionellen Tanz, den ich zunächst erlernte. Vielmehr ist es der zeitgenössische Tanz, der dies ermöglicht. Bei den Workshops ist es mir jedoch wichtig, mit der Tradition zu beginnen, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu zeigen, dass der Tanz auch etwas mit ihnen zu tun hat. Er ist Teil ihrer Kultur und kann auch für sie ein Mittel werden, mit dem sie sich ausdrücken können.

Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad | Foto: Christine Cayre Rey Hast Du eine Technik, mit der Du in den Workshops arbeitest?

Ich glaube, es handelt sich nicht um eine Technik, sondern um eine Form des „Sich-Gebens“. Ich präsentiere mich den Teilnehmenden, erzähle ihnen von mir, zeige ihnen Tänze, die ich kenne. So sehen sie, dass meine Kultur eine andere ist als ihre und wir erhalten eine Basis, auf der wir ins Gespräch kommen: Ich bin ihnen fremd, sie sind mir fremd, aber wir können gemeinsam etwas machen.

Wichtig ist, zu erfahren, wie es dem Einzelnen geht und was die Gruppe für eine Energie hat. Wenn ich verstehe, woher Aggressionen und Ängste kommen, kann ich beginnen, mich zu öffnen, um den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen. Schlussendlich bin ich immer auf der Suche nach einer Technik, einer Methodologie, die meine Arbeit stützt. Jeder Geflüchtete hat seine eigene Geschichte. Die Frage ist, wie wir mit all diesen Unterschieden in den Workshops umgehen.

Du sagst, der Tanz ist nicht nur Kunst, er ist auch Leben und er ist ein Mittel, temporär den Aufruhr zu vergessen, den der einzelne durchlebt hat. Wie funktioniert dieses Vergessen?

Es ist nicht nur der Tanz, der das Vergessen bedingt. Es ist das Zusammenspiel von Tanz, Perkussion, und Gesang. Wenn jemand zum Rhythmus der Trommeln tanzt und singt, gibt sein Körper sich hin, und der Kopf vergisst für einen Moment, was er durchlebt hat. Das Tanzen führt den Einzelnen zurück zu einem Moment, in dem es ihm gut ging, er fröhlich war. Nach dem gemeinsamen Tanzen bleibt der Körper entspannt und er ist müde von den Bewegungen. Ein jeder geht heim und kann gut schlafen. Das ist wichtig, denn in den Camps sind viele Menschen, die nicht schlafen können. Sie kommen nicht zur Ruhe, können die traumatische Erlebnisse nicht ausblenden.

Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad | Foto: Christine Cayre Rey Das heißt, der Ausdruck „Sich in den Tanz flüchten“ ergibt Sinn, wenn darunter verstanden wird, dass der Tanz zu etwas wird, durch das es mir gut geht?

Ja, nur „flüchten“ ist nicht das richtige Wort. Der Tanz erlaubt, sich zu entspannen, und loszulassen. Durch ihn kann man temporär vergessen und verarbeiten, was im Krieg, auf der Flucht oder durch Gewalterfahrungen erlebt wurde.

Kann der Tanz Körper und Geist heilen?

Vielleicht. Zu Beginn sind die Geflüchteten nicht fröhlich. Es sind Menschen, die Zeiten durchlebt haben, die sie traumatisierten. Das gemeinsame Tanzen rückt sie in die Gegenwart, es erschafft einen konkreten Moment. Dieser kann Ausgangspunkt für eine aktive Gestaltung der Zukunft sein. Durch das Wiederbeleben der Kultur, die den Geflüchteten verloren erscheint, führen wir sie zu einem neuen Umgang mit ihr. Es ist, als würden wir ihnen die Möglichkeit einer Retrospektive eröffnen, die allerdings auf das Schöne zielt und nicht auf das Leiden.

Könntest Du Deine Workshops auch in Camps durchführen, in denen die Geflüchteten eine Tanzkultur haben, die Du selber nicht erlernt hast?

Ich sehe da keine Probleme. Wenn ich zu den Leuten komme, bringe ich ihnen Tänze mit, die aus meiner Kultur stammen. Sie können diese mit mir erlernen und eine gute Zeit mit mir verbringen. Anschließend fordere ich sie auf, mir ihre Tänze zu zeigen. Ich bitte sie, mir Schritte beizubringen, an die sie sich erinnern. Sie werden vom Lernenden zum Lehrenden und das hilft ihnen, zu verstehen, dass sie über Kenntnisse verfügen, die sie besonders machen. Bei den Workshops, die ich zum Beispiel für Geflüchtete in München gegeben habe, standen der Austausch und das gemeinsame Lernen viel stärker im Fokus als in den Camps.

Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad Taigué Ahmed beim Tanzen mit Geflüchteten im Tschad | Foto: Christine Cayre Rey Ist der Tanz dann nicht vielmehr ein Mittel der Integration als eine Möglichkeit, Leid zu vergessen, zu überwinden?

Das Überwinden von Erinnerungen, die den Einzelnen geradezu aus der Gegenwart reißen, geschieht doch durch den Körper, der sich bewegt. Es geht nicht nur um die Frage nach der Rückkehr zur eigenen Kultur. Wenn wir vom Tanzen sprechen, sprechen wir ganz allgemein vom menschlichen Körper. Wir sprechen unter anderem von schmerzenden Gelenken, von blockierten Rücken. Wie kann ein Körper, der aufgrund traumatischer Erlebnissen gehemmt ist, geöffnet werden? Die Körperarbeit, die ich mache, ist ein Teil von dem, was ich als Heilung oder Gesundung durch Tanz verstehe. Die Frage der Rückführung in die nicht mehr praktizierte kulturelle Tradition ist ein anderer Aspekt.