Brexit
Weiter am Projekt Europa arbeiten

© Wolfgang Kumm/ picture alliance / dpa
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Seit 1962 ist das Goethe-Institut in London tätig; seit 1973 auch in Glasgow. Als Mitglied von EUNIC, der europäischen Vereinigung nationaler Kulturinstitute, war die Arbeit beider Institute zunehmend europäisch ausgerichtet. „Das Ergebnis des Brexit-Referendums bedauern wir sehr“, sagt der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert. „Bereits vor dem Referendum zeichnete sich ab, dass die kulturelle und gesellschaftliche Dimension Europas und der EU im Vereinigten Königreich nicht umfangreich vermittelt werden konnte. Das Goethe-Institut wird sich in Großbritannien und in anderen EU-Ländern weiterhin dafür einsetzen, die europäische Integration durch Kultur- und Diskursprogramme sowie Sprachförderung zu fördern. Im Interview spricht Angela Kaya, Leiterin des Goethe-Instituts London, über die Stimmung vor Ort und die Pläne des Goethe-Instituts für die kommenden Jahre.

Es waren vor allem die Kulturschaffenden, die sich in großer Mehrheit entschieden für einen Verbleib in der EU ausgesprochen haben. Taten sie das auch aus Eigeninteresse? Wird der kulturelle Einfluss der Briten auf Europa kleiner werden? Sinken die Exportchancen für die britische Literatur, für die Musik und den Film?

Angela Kaya Angela Kaya | Foto: Carolyne Locher Es waren Kulturschaffende und vor allem junge, bildungsaffine Menschen im ganzen Land, die für den Verbleib in der EU optiert haben. Beide Gruppen verbinden gelebte positive Erfahrungen mit der EU: Sie profitieren vom bis dahin so selbstverständlichen Austausch mit oder in der EU, aber auch vom Zugang zu EU-geförderten Projekten. Dies alles wird nun neu verhandelt werden müssen und kommt dabei teilweise auf den Prüfstand. Wie sich das auswirkt, bleibt abzuwarten.

Positiv daran ist möglicherweise, dass dabei nationale Diskurse angestoßen werden, die Raum für eine differenzierte Betrachtung bestimmter Aspekte geben. Solche Diskurse fanden in den letzten Jahren viel zu wenig statt und haben zu Gräben in der Gesellschaft geführt. Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass die Kulturszenen und – schaffenden im Vereinigten Königreich vital und stark genug sind, um mittelfristig einen kreativen Beitrag in Europa zu leisten.

Die Briten haben, so wichtig sie für Europa auch sind, immer eine besonders ausgeprägte Sonderrolle gespielt. Womit erklären Sie sich das Bedürfnis, wieder britischer, eigenständiger zu werden?

Diese Sonderrolle basiert auf den historischen Erfahrungen. Ein Land, das jahrhundertelang große Teile des Globus beeinflusst hat - und das von einer Insel aus - definiert sich automatisch anders als manches kontinentaleuropäische Land. Während sich vor allem Mitteleuropa immer mit seinen direkten Nachbarn arrangieren musste, machte das Vereinigte Königreich ganz andere Erfahrungen, hatte stets eine Außenperspektive.

Mitglied in der Europäischen Union zu sein bedeutet, sich einzureihen und Kompetenzen an eine Gruppe abzugeben. Dieser Perspektivwechsel ist den Menschen im Vereinigten Königreich nie leichtgefallen. Mit ihrer Abstimmung wollen sich wohl viele Britinnen und Briten die vermeintlich verlorene Unabhängigkeit zurückholen.

Der Norden Großbritanniens hat mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Schottland sieht die EU als wichtige Stütze einer gewissen Eigenständigkeit an. Werden nun die schottischen Stimmen lauter, die für eine Unabhängigkeit eintreten? Gibt es eine eigenständige schottische Kultur?

Bereits vor dem Referendum und auch heute steht die Frage nach der Zukunft Schottlands im Raum. Natürlich gibt es eine schottische Kultur und eine gelebte Distanz zu England. In Vielem fühlt Schottland sich dem Nachbarn Irland mehr verbunden als dem Süden der eigenen Insel. Interessant könnte auch die Frage nach der Rolle Nordirlands in diesem Kontext werden.

Die Wochen vor der Abstimmung haben Großbritannien gespalten. Wird sich das tiefe Zerwürfnis fortsetzen oder wird die Nation zu ihrer bekannten Gelassenheit zurückfinden?

Wir betrachten mit Besorgnis die Gräben, die durch die Gesellschaft gehen. Es wird dauern, bis sich das Land erholt. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt – angesichts der bewundernswerten Haltung der meisten Menschen, die sich unter anderem in der von Ihnen angesprochenen Gelassenheit ausdrückt!

Was bedeutet der Brexit für die Arbeit des Goethe-Instituts?

In den nächsten beiden Jahren werden die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU neu verhandelt. Die Goethe-Institute in London und Glasgow werden sich in dieser Übergangszeit verstärkt positionieren.

Konkret heißt das zum Beispiel: Intensivierung der Beratungs- und Gremienarbeit, wenn es um die Rolle und den Mehrwert von Fremdsprachen in den Bildungssystemen geht; Stärkung der Bildungs-Netzwerke bestehend aus Primar- und Sekundarschulen sowie der Wirtschaft.

Mit unseren Kulturprogrammen wollen wir insbesondere die vielen enttäuschten jungen Menschen einladen, weiter am Projekt Europa mitzuwirken. Wir werden versuchen, den Dialog mit denen aufzunehmen, die diesem Projekt Europa nachweislich nichts abgewinnen können. Das wird die größte Herausforderung sein. Und wir wollen vor allem noch mehr in die Fläche gehen und noch stärker außerhalb Londons und Glasgows wirksam zu werden, indem wir unsere digitalen Programmangebote schärfen und intensivieren.

GS