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Neue Arbeitswelt
USB-Stick statt Hobel

Prozesswissen gewinnt gegenüber Produktwissen an Bedeutung: Eine Auszubildende überprüft Messwerte im Kontrollzentrum einer Chemieanlage.
Prozesswissen gewinnt gegenüber Produktwissen an Bedeutung: Eine Auszubildende überprüft Messwerte im Kontrollzentrum einer Chemieanlage. | Foto (Zuschnitt): © picture alliance/Christian Hager/dpa

Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeit und Produktion fordern neue Wege in der dualen Ausbildung. So sollen Lehrpläne aktualisiert und Zusatzqualifikationen für Lehrlinge angeboten werden. 

Von Petra Schönhöfer

Eine Werkbank, vielleicht eine automatisierte Säge und jede Menge Sägespäne: So stellen sich wohl die meisten Menschen die Arbeitsumgebung eines Tischlers vor. Er hobelt, feilt und sägt, um beispielsweise einen Schrank herzustellen. Für Marius Baschien, Auszubildender zum Tischler in Nordrhein-Westfalen, beginnt der Arbeitstag aber ganz anders: An einem weißen Tisch sitzt er vor dem PC. Der Lehrplan sieht für heute vor, dass er ein Longboard – also ein Skateboard – entwirft. Der Computer simuliert für ihn die Eigenschaften von Werkstoffen oder speichert Schnittzeichnungen in maschinenkompatible Dateien.

Marius Baschien ist Teilnehmer des Ausbildungsprojekts „digiTS“, das sich den Herausforderungen von Industrie 4.0 an die duale Berufsausbildung in Deutschland stellen möchte. Die meisten Ausbildungsberufe werden in Deutschland über das duale System gelehrt: Die Ausbildung findet parallel im Betrieb und an der Berufsschule statt, damit die Auszubildenden sowohl praktisches als auch theoretisches Wissen erwerben. Im Projekt digiTS sind alle Interessengruppen der dualen Tischlerausbildung vertreten: die überbetriebliche Lehrwerkstatt, die Tischlerinnung, das Berufskolleg und, natürlich, die Betriebe. Ein Webcast auf foraus.de, dem Ausbilderportal des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), zeigt, wie die Jugendlichen von den ersten Entwürfen bis zum fertigen Longboard die gesamte digitale Prozesskette kennenlernen. So werden etwa die Daten ihrer Schnittzeichnungen in der Tischlerei auf die Fräse übertragen, die Furniermuster via Vektorengrafik an den Lasercutter übermittelt, und der für ein Longboard so wichtige Bumper kommt aus dem 3D-Drucker. Sägespäne fallen dabei verhältnismäßig wenig – eigentlich nur dann, wenn die Jugendlichen per Hand nacharbeiten. 

Vom Fabrikarbeiter zum Prozessarchitekten

Das Beispiel zeigt: Arbeitsprozesse, aber auch Vertriebsstrategien und Dienstleistungen, werden zunehmend über netzgestützte Infrastrukturen bewältigt. Prozesswissen gewinnt gegenüber Produktwissen an Bedeutung. Dass Facharbeiter sich daran anpassen können, ist für die Betriebe in Zukunft besonders wichtig. Dr. Monika Hackel, Leiterin der Abteilung Struktur und Ordnung der Berufsbildung im BIBB, sieht Handlungsbedarf: „Aktuell beobachte ich eine hohe Veränderungsdynamik in der Arbeitswelt, die auf gesellschaftspolitische Anforderungen zurückzuführen ist. Die Digitalisierung verstärkt diese Dynamik. Die berufsbildungspolitische Aufgabe besteht darin, neue Lösungen zu entwerfen, um diesen Entwicklungen gerecht zu werden.“ 

Schätzungsweise 20 Milliarden Geräte und Maschinen sind bereits über das Internet vernetzt – bis 2030 werden es rund eine halbe Billion sein. „Der Fabrikarbeiter, der heute an einem Förderband arbeitet, wird in Zukunft Architekt eines Produktionsprozesses, der Menschen und Maschinen vernetzt“, erläutert der Zukunftsforscher Ayad Al-Ani vom Berliner Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft Anfang 2018 in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Die Organisation von Arbeit mittels Menschen und Algorithmen jenseits der Hierarchie erfordert Fähigkeiten, die sowohl im Sozialen wie auch im Technischen liegen werden. Man muss nicht alles im Detail wissen, aber orchestrieren und nutzen können.“

Lehrpläne nicht immer zeitgemäß

Damit das erreicht werden kann, muss einiges passieren. Ein Pilotprojekt, das das BIBB gemeinsam mit der Volkswagen Akademie in der Automobilindustrie durchführte, zeigte, dass sich beispielsweise der Mechantronikerberuf durch neue Produktionsabläufe massiv verändert. Während mechanische Tätigkeiten an Bedeutung verlieren, werden andere Fähigkeiten immer wichtiger: Auszubildende müssen digitale Schaltpläne und 3D-Modelle lesen lernen oder Störungen im Produktionsablauf anhand von Anzeigen und Bildschirmoberflächen erkennen und beheben können. In der Ausbildungspraxis wurde darauf bisher nur bedingt eingegangen. Der Anteil des Metalltechnikunterrichts liegt mit 18 Wochenstunden im Lehrplan überproportional hoch, während stark nachgefragte Qualifikationen wie etwa Netzwerktechnik in nur etwa vier Wochen abgegolten werden. Ein vorläufiges Fazit der Untersuchung: Um der Realität der Arbeitswelt gerecht zu werden, muss im Fall des Mechantronikers entweder ein zusätzlicher Ausbildungsberuf im Bereich Instandhaltung geschaffen, die bisherige betriebliche Ausbildung neu aufgebaut werden oder zumindest die Möglichkeit für eine Zusatzqualifikation gegeben sein.

Auf diese neuen Anforderungen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) 2018 reagiert. Zum Start des neuen Ausbildungsjahres hat es die Ausbildungsordnung von 24 Berufsbildern modernisiert – darunter auch die Mechantronikerlehre –, um sie an die neuesten technischen Entwicklungen anzupassen.Mit dem Kaufmann im E-Commerce hat es zudem einen neuen Ausbildungsberuf geschaffen. „Die berufliche Bildung hat in der Vergangenheit schon oft ihre Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit bewiesen“, so BIBB-Präsident Esser. „Ich bin zuversichtlich, dass dies auch angesichts der aktuellen Herausforderungen geschehen wird.“

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