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Film
Der Mensch kann allerdings ersetzt werden

Abenteuer mit Blasius
Abenteuer mit Blasius | Foto (Ausschnitt) © Filmové Studio Barrandov

Der Roboter Blasius als Verkörperung der Angst vor künstlicher Intelligenz

Die Geschichte der Science-Fiction kann gewissermaßen als Geschichte unseres Verhältnisses zur Welt der Technik aufgefasst werden. Die Science-Fiction hängt direkt mit der Industrialisierung zusammen und ist eine kulturelle Reaktion auf deren gesellschaftliche Auswirkungen.

Von Ivan Adamovič

Robotik und künstliche Intelligenz spielen in dieser Geschichte  spezifische Rollen. Auch wenn die beiden erwähnten Begriffe mittlerweile im gängigen Gebrauch oft verschmelzen, sodass man sich heute einen Roboter ohne künstliche Intelligenz kaum vorstellen kann, kamen künstliche bzw. mechanische „Menschen“ in der Vergangenheit oftmals ohne Intelligenz aus. Bereits im Falle des legendären Golems (den der Prager Rabbi Löw erschaffen hatte) ließ sich daran zweifeln, dass dieser Lehmmensch eigene Intelligenz besaß. Er führte Befehle aus, und auf den ersten Blick handelte er zwar wie ein lebendes, denkendes Wesen, aber die Überlieferung schweigt sich darüber aus, ob er tatsächlich denken konnte; seine Verhaltens- und Handlungsweise bezeugen eher das Gegenteil. Der Golem konnte nicht lange ohne einen Menschen sein, der ihn manipulierte und lenkte.

Man kann sagen, dass die berühmten Roboter in den Erzählungen mit dem Titel Ich, der Roboter von Isaac Asimov auch nicht intelligent sind. Sie werden lediglich durch ihre durchaus komplexen, allerdings nach wie vor nicht vollkommenen Programme gesteuert. Da ihre positronischen Gehirne über den Programmierungsrahmen nicht hinwegkommen oder in Konflikte zwischen zwei gegensätzlichen Befehlen geraten, kommt es zu Krisensituationen, die in den jeweiligen Erzählungen dargestellt werden.

Der anthropomorphisierte Körper eines Roboters verwirrt die Protagonisten der Erzählungen nicht selten. Er weckt die Erwartung, dass es in dem menschlich anmutenden Körper einen menschlichen Geist gebe. Für die Roboter in der älteren Science-Fiction galt dies allerdings nicht immer.

Der Zweite Weltkrieg beschleunigte die Entwicklung einiger technologischer und theoretischer Konzepte mit Bezug auf automatisierte Systeme. Bei der Arbeit an automatischen Flugabwehrwaffen erfand der amerikanische Forscher Norbert Wiener (sein Vater war polnischer Herkunft, mit starken familiären Bindungen zu berühmten jüdischen Rabbis, seine Mutter war eine Deutsche) die Grundlagen der Kybernetik, der Lehre von auf Rückkopplungsbasis funktionierenden Systemen in der organischen sowie anorganischen Natur. Wiener interessierte sich für eine breite Palette von Phänomenen, sodass die Kybernetik sich seit ihrem Anfang eher als eine Schnittmengendisziplin etablierte, in der Mathematik, Philosophie, Informatik, Systemtheorie oder etwa auch Biologie aufeinandertrafen.

Bekanntermaßen wurde die Kybernetik, die Grundlage der Lehre von selbst-reproduzierenden Maschinen, in der stalinistischen Sowjetunion zunächst mit extremer Missgunst empfangen und mit Misstrauen gestraft und erst im Laufe der 1960er Jahre allmählich akzeptiert. Auch das dürfte die Rolle geprägt haben, die die Repräsentation künstlicher Intelligenz in der Nachkriegskultur der sozialistischen Länder innehatte.

Der Roboter als Ausstellungsexponat

Zu den frühen Romanen mit dem Motiv des Roboters und der künstlichen Intelligenz gehört das populäre Jugendbuch Messeabenteuer 1999 von Werner Bender: Es erschien 1956 in der DDR, drei Jahre später wurde es ins Tschechische übersetzt. Es handelt sich um eine schwungvoll erzählte Geschichte, doch trotzdem offenbar um das einzige belletristische Buch von diesem wenig bekannten Autor, der 1928 geboren wurde und als Journalist arbeitete.

Messeabenteuer 1999 Messeabenteuer 1999 | © Der Kinderbuchverlag Die Handlung spielt in einer menschenfreundlichen Zukunft, die stellenweise Züge einer kommunistischen Utopie trägt, obwohl das Geld als Zahlungsmittel hier immer noch nicht abgeschafft wurde. Das Sujet ist direkt mit der Leipziger Messe verbunden. Leipzig ist dank seiner Messetradition, die sich tief in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt, wohl bekannt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden hier viele Messehallen gebaut, es fanden bekannte Mustermessen sowie Buchmessen statt, deren Tradition bis in unsere Gegenwart reicht. Den Status einer Messestadt behält Leipzig auch im erwähnten Science-Fiction-Roman:

„Von der neuesten Weltraumrakete bis zum Kleinauto, vom Polymetsch bis zum verbesserten Boduktor gab es nichts, was da nicht vertreten war. Wenn irgendwo auf der Erde etwas neu entwickelt wurde: ein Metall, das hundertmal härter war als Stahl, oder ein Schnupfenmittel, das nun wirklich helfen sollte, alles ging nach Leipzig zur Messe, wurde gezeigt, von aller Welt auf Herz und Nieren geprüft und bis zum letzten Fetzchen durchberaten, ehe es so und nicht anders, in der vollkommensten Art und Weise, für die ganze Welt hergestellt wurde.“ (S. 94)

Die Tatsache, dass ausgerechnet hier technologische Neuerungen ausgestellt werden, wird für das Buch letzten Endes von Schlüsselbedeutung sein.

Somit funktionierte der Roman nicht nur als eine spannende Lektüre für die jugendliche Leserschaft, sondern auch als unterhaltsame Werbung für die Leipziger Messen und generell für die Stadt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Leipzig nämlich größtenteils durch Bomben zerstört und sollte in der sozialistischen Ära zum Vorbild unter den ostdeutschen Städten werden.

Eine auf die Messe fokussierte Literatur ist nichts Neues. Messen wurden als wichtige geschäftliche sowie gesellschaftliche Ereignisse wahrgenommen, die Schriftsteller, v.a. diejenigen mit journalistischer Erfahrung und mit einem Riecher für jede attraktive Neuigkeit, nicht ignorieren konnten. Auch den tschechischen Dichter Svatopluk Čech kann man für einen Journalisten halten. Sein Ruhm als Romanautor geht v.a. auf seine beiden fantastischen satirischen Romane mit der Hauptfigur Matěj Brouček zurück, in denen dieser Spießbürger zunächst den Mond bereist und in der Fortsetzung die Hussiten im 15. Jahrhundert besucht. Bereits weniger bekannt ist die freie Fortsetzung mit dem Titel Matěj Brouček na výstavě (1892) [Matěj Brouček in der Ausstellung], in der der Erzähler Herrn Brouček durch die Prager Landes-Jubiläumsaustellung von 1891 schlendern lässt. Die reale Ausstellung wurde damals von etwa zweieinhalb Millionen Menschen besucht und ihr Ziel war, den tschechischen Geist zu stärken.

Diese Art von Literatur setzt einen neugierigen und wissbegierigen Protagonisten voraus. In Benders Roman Messeabenteuer 1999 sind es zwei dreizehnjährige Jungen: der vor Ort bekannte Egon alias Pepp und sein Freund Franz alias (Professor) Radi aus München. Franz lernt bereits im Zug den Ingenieur Prantl vom Institut für Automatenforschung und dessen seltsamen Mitreisenden, einen robusten Mann von starrer Körperhaltung, der Blasius heißt, kennen. Blasius verhält sich vom ersten Moment an etwas exzentrisch. Sein sonderbares Verhalten ändert sich auch in Leipzig nicht, wo beide Buben ihn verfolgen und zu der Schlussfolgerung kommen, es handele sich möglicherweise um einen Besucher von einem fremden Planeten, der sich als Mensch tarne.

Die Leser*innen ahnen hier bereits, was die Jungen noch nicht wissen können. Und dennoch verrät Prantl Franz im Zug eigentlich durch Andeutungen die Antwort. Als er erfährt, dass Franz sich in der Leipziger Ausstellung insbesondere für die präsentierte Technik interessiere, ruft er begeistert aus: „Oho! Möchtest du etwa von dem neuen Elektronengehirn deinen Ferienaufsatz austüfteln lassen?“ (S. 13)

Die Jungs ahnen in diesem Augenblick noch nicht, dass Blasius einen Doppelgänger namens Radius hat. Deshalb kommen sie nicht aus dem Staunen heraus, als sie Blasius wiederholt an verschiedenen Orten in der Stadt begegnen und ihn dabei beobachten, wie er buchstäblich Übermenschliches leistet. So etwa besiegt Blasius im Stadion ganz nebenbei den tschechischen Langstreckenläufer und Favoriten Jiri Atopek (sic!), ein anderes Mal spielt er ein Klavierkonzert mit erstaunlicher Bravour (allerdings ohne Leben).

Wichtig ist für uns, in welchen Kontexten Blasius und Radius erscheinen. Beinahe immer sind sie negativ konnotiert – mit einer einzigen Ausnahme, nämlich als Blasius Franz vor dem vorbeifahrenden Automobil an sich reißt und ihm somit das Leben rettet. Sonst wirkt er jedoch lächerlich oder flößt den Menschen Angst ein. Als Egons Vater Radius‘ seelenlosem Präludieren auf dem Klavier zuhört, schießt ihm unwillkürlich durch den Kopf die Vorstellung „eine[s] wirbelnden Tanz[es] von blitzenden Metallskeletten, die eine Elektronenröhre als Kopf trugen; sie schnitten spöttische Grimassen und ahmten mit grotesken Gebährden Menschen nach.“ (S. 44)

Roboter contra Natur

In dieser Vorstellung steckt ein Paradox, dem man in älterer Science-Fiction, die Roboter thematisiert, oft begegnet. Solange die Roboter uns schützen und helfen oder für uns arbeiten, ist alles in Ordnung. Das Unbehagen kommt, wenn der Roboter sich bemüht, etwas zu leisten, was dem beseelten Menschen vorbehalten ist (z. B. Klavierspiel), oder wenn man realisiert, dass der Roboter eine „groteske Nachahmung des Menschen“ darstellt, wobei der Lesende einen unterschwelligen Widerwillen gegenüber einer Kreatur empfindet, die Züge des Menschlichen trägt, jedoch kein Mensch ist.

Möglicherweise ist dies noch eine Nachwirkung der christlichen Lehre von der Erschaffung des Menschen „als Gottes Ebenbild“. Die Erschaffung eines künstlichen Menschen als Ebenbild des Menschen erscheint daher lästerlich. Bezeichnenderweise beschäftigt Norbert Wiener sich eingehend mit diesem Thema in seinem späten Buch Gott & Golem Inc. (1964, dt. 1965).
Die Welt im Buch von Werner Bender ist eine technologische Utopie. Die Technik dient hier dem Menschen in mehreren Hinsichten – seien es die Aerotaxis, die sich durch die Luft bewegen, oder z.B. die Möglichkeit, das Wetter zu beherrschen. All dies wird hier in einem eindeutig positiven Licht dargestellt. Damit kontrastiert allerdings das ambivalente Bild des Roboters und der künstlichen Intelligenz. Als ob die Technik in diesem Fall eine unausgesprochene Grenze überschritten hätte, wo sie bereits lächerlich und bedrohlich wird.

Das Romanabenteuer beider Jungen endet auch typisch. Blasius sowie Radius werden durch ihr eigenes Programm unbeweglich gemacht, sobald beide Buben deren wahres Wesen erkennen und laut aussprechen: „Sie sind eine Maschine!“ (S. 171) Sie führen dabei eigentlich – ohne es zu wissen – den sog. Turing-Test der künstlichen Intelligenz durch, der dann abgeschlossen wird, wenn der Mensch fähig ist, die menschliche und die künstliche Intelligenz auseinander zu halten.

Der Roboter spricht Tschechisch

Das Buch von Werner Bender wurde zweimal verfilmt. Das erste Mal vom deutschen Fernsehen im Jahre 1958, das zweite Mal als abendfüllender Kinofilm in deutsch-tschechischer Koproduktion. Der Film Abenteuer mit Blasius (Dobrodružství s Blasiem) von 1974 hatte im Oktober 1975 Premiere, Regie führte Egon Schlegel, neben zwei deutschen Autoren beteiligte sich auch der tschechische Kinderbuchautor Milan Pavlík am Drehbuch.

Der Film wirkte bereits zur Zeit der Premiere ein wenig veraltet. Die grundsätzliche Handlungslinie wurde beibehalten, es wurden allerdings mehrere Handlungselemente hinzugefügt. Anstatt von zwei Robotern begegnen wir nur einem – gespielt wird er von Leoš Suchařípa, dem tschechischen Schauspieler mit großer Komödienbegabung, der in der tschechischen Version jedoch (vom bekannteren) Miloš Kopecký synchronisiert wurde. Der Film ist mehr an die Gegenwart angepasst – die Programme bekommt Blasius z.B. auf magnetischen Bändern gespeichert, die denjenigen in Tonbandgeräten ähneln.

Auch hier gibt es die Szene mit dem Straßenverkehr: Anstatt den unaufmerksamen Jungen jedoch zu retten, indem er ihn an sich reißen würde, behebt Blasius den Verkehrsstau, indem er von seinem fehlerlos funktionierenden Gehirn Gebrauch macht. Dann kommt die erste Andeutung, wenn Blasius von einem Umherstehenden folgendermaßen gelobt wird: „Das ist erstaunlich. Er ist präzise wie ein automatischer Rechner.“

In der Filmversion entdecken die Buben das Geheimnis, dass Blasius kein Mensch ist, in einer Szene, in der sie in einem Raum voller Menschen ein Niespulver verstreuen und Blasius als Einziger nicht anfängt zu niesen. Den endgültigen Nachweis erhalten sie jedoch erst, als sie ihn in einem Hotelzimmer mit aufgeklappter Schädeldecke überraschen, unter der sich die Elektronik versteckt. „Er ist doch ein Roboter. Ein künstlicher Mensch. Der Golem des 20. Jahrhunderts,“ mit diesem Satz schreiben sie ihm  genetische Verwandtschaft sogar mit der mythischen Figur aus der jüdischen Legende zu.

Der Film-Blasius verhält sich immer ungewöhnlicher. Er läuft den Buben im Hotel nach, kann einen Menschen von einer Statue nicht unterscheiden und ist anscheinend sogar in die gleiche Frau wie sein Programmierer verliebt. In einem Moment erwähnt er sogar Hermann Hesse: „Ich bin Blasius, der Steppenwolf, ich beherrsche einhundertsechzig Sprachen!“

Das Ende der Verwirrung ist genauso versöhnlich wie im Film Kybernetická babička [Kybernetische Großmutter] von Jiří Trnka. Am Schluss erzählt der Roboter den Kindern Märchen. „Endlich haben wir ihn richtig programmiert,“ äußern seine Schöpfer sich lobend.

„Wissenschaft? Ich glaube mehr an meinen Regenschirm!“ sagt eine der Figuren im Film, als auch das geregelte Wetter nicht funktioniert. Wie man sieht, will auch dieser Film ein basales Misstrauen den Schöpfungen der Wissenschaft gegenüber wecken, insbesondere wenn sie in den exklusiven Bereich der schöpfenden Natur eingreifen. Der Film Abenteuer mit Blasius spitzt diesen Konflikt noch mehr zu. Während man im Buch von Werner Bender noch das gemütliche, dank neuer Zukunftstechnologien bequemer gewordene Leben bewundern kann, hat der Zuschauer in der zwanzig Jahre später entstandenen Filmversion eine Welt vor Augen, die infolge von Wissenschaft und Technik aus den Fugen gerät. Die künstliche Intelligenz erscheint hier als eine Kraft, die über den Menschen nicht hinausreichen soll, sondern ihm nur in einer Rolle dienen soll, die für ihn auch problemlos einnehmbar ist.

(Der Titel des vorliegenden Textes ist ein durchgestrichener, ersetzter Satz im unbetitelten Prosafragment, der im Heft Franz Kafkas von 1917 gefunden wurde. Siehe Reiner Stach: To že je Kafka? Argo, 2021, s. 128.)

Anm. des Übersetzers: Die Zitate sind Rückübersetzungen aus dem Tschechischen.
 

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