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Karl May
Karl Mays Inspiration aus Böhmen

© Martin Krsek

In Kroatien, wo die bekannteste filmische Verarbeitung der May-Romane gedreht wurde, gehören die Kulissen der Geschichte vom Häuptling der Apachen zu den größten Touristenattraktionen des Landes. Das ist eigentlich etwas ungerecht, da die wirkliche Romanlandschaft der bekanntesten Erzählungen aus dem Wilden Westen gänzlich außerhalb des Öffentlichkeitsinteresses liegt und nur von den kundigsten May-Kennern gezielt aufgesucht wird.
 

Von Martin Krsek

Winnetou galoppiert auf seinem schwarzen Pferd durch das tiefe Elbtal. Über seinem Kopf erhebt sich die Ruine der mittelalterlichen Burg Schreckenstein und am Horizont vor ihm steigen Rauchsignale von den Schornsteinen der Chemiefabriken aus dem nahgelegenen Aussig auf. So könnte die Szenerie des Filmzyklus vom legendären Indianerhäuptling aussehen, wenn sich die Filmemacher strikt an die Buchvorlage gehalten hätten.

Der geistige Vater Winnetous, der sächsische Schriftsteller Karl May, hat in seine Abenteuerromane viele Motive von seinen Aufenthalten in Tschechien einfließen lassen. Er ersetzte damit seine landeskundliche Unwissenheit über den tatsächlichen Wilden Westen. Nordamerika hatte er schließlich erst 1908, knapp vier Jahre vor seinem Tod, besucht.

Ein Gefangener auf der Flucht

Im Juli 1869 brach in Sachsen aus einem Gefängnistransport ein einer Reihe kleiner Diebstähle überführter Täter mit dem Namen Karl May aus. Zuerst machte er sich nach Bayern auf, dann änderte er jedoch die Richtung und setzte seinen Weg über die Grenze fort. Unter diesen nicht unbedingt gewöhnlichen Bedingungen begann er, ein Land kennenzulernen, das für ihn in Zukunft noch eine wichtige, wenn nicht sogar schicksalhafte Rolle spielen sollte. Er lief zu Fuß nach Eger, dann nach Falkenau an der Eger und Aussig bis schließlich nach Algersdorf bei Tetschen.

Er war schon fast ein halbes Jahr unterwegs und es herrschte ein rauer Winter, als ihn am 4. Januar 1870 in einer verlassenen Scheune, durchgefroren wie er war und ohne einen Fünfer in der Tasche, ein örtlicher Gendarm kontrollierte. Der zukünftige Schöpfer von Abenteuerträumen für Millionen Leser stellte sich ihm mit dem Namen Albin Wadenbach vor. Er tischte ihm eine hübsche Geschichte auf, dass er ein Plantagenbesitzer von der Insel Martinique sei, und ergänzte sie mit einigen Details zum Tabak- und Vanillieanbau. Darauf folgten seine Auslieferung nach Sachsen und eine vierjährige Gefängnisstrafe.

 Der Sitz des Verlags von Mays Freund Küger in Ústí nad Labem. Der Sitz des Verlags von Mays Freund Küger in Ústí nad Labem. | © Martin Krsek

Auf dem Weg zur Errettung

Nachdem er seine Strafe verbüßt hatte, spielte Nordböhmen in Mays Leben abermals eine wichtige Rolle. 1875 erhielt er eine zweite Chance, die ihn schließlich von der schiefen Bahn wieder zur ehrlichen Arbeit brachte und es ihm ermöglichte, sein Talent der grenzenlosen Fantasie zu nutzen. Im Dresdner Verlag H. G. Münchmeyer bekam er seine erste Stelle als Redakteur. Er entwickelte für seinen Arbeitgeber die Fachzeitschrift Schacht und Hütte. Um sich in seiner neuen Position zu behaupten, musste er die Absatzzahlen seiner neuen Zeitung erhöhen. Dabei half ihm ein Kollege und Freund aus dem Verlag, Franz Eduard Krüger aus Aussig. Dessen Vater Christoph Friedrich war nämlich ein bekannter Verleger und Buchhändler in der Stadt und wurde nun Vertreter zur Verbreitung der Zeitschrift auf dem Gebiet Österreich-Ungarn. Wahrscheinlich aus diesem Grund besuchte May im August oder September 1875 Aussig und hatte damals zum zweiten Mal die Gelegenheit, die Landschaft im Elbtal kennenzulernen und diese später in seine Romane einzuarbeiten.

Die Rückkehr des berühmten Schriftstellers

Die gespaltenen Felsen in der Heimat der Apachen erinnern an die Prutschel-Schlucht zwischen Birnai und Nemschen am Rande der Industriestadt Aussig. Für romantische Wasserfälle in der Nähe des Silbersees könnte wiederum der zwölf Meter hohe Wannower Wasserfall direkt auf der gegenüberliegenden Elbseite als Vorbild gedient haben. Diese Landschaft, die den Vorstellungen eines Mitteleuropäers vom Wilden Westen perfekt entspricht, lernte der Schriftsteller spätestens 1897 recht genau kennen, als er fünf Wochen in der bis heute existierenden Pension Herzig von Ernst Herzig aus Birnai verbrachte, der als Restaurateur in Aussig arbeitete. Aus Mays Zimmer bot sich ein wundervoller Blick ins Elbtal. Er schrieb Tag und Nacht beim flackernden Schein seiner Petroleumlampe. Er schrieb ein Buch mit 620 Seiten. Er nannte es Weihnacht!

 Die Pension "Srdíčko" in Brünn bei Ústí nad Labem jetzt Die Pension "Srdíčko" in Brünn bei Ústí nad Labem jetzt | © Martin Krsek

Tschechische Weihnacht

Karl Mays Inspiration aus Böhmen floss vorrangig in den Roman Weihnacht! ein, dessen großer Teil sich ganz offensichtlich in Böhmen abspielt. Er handelt von der Exkursion zweier armer sächsischer Studenten nach Böhmen, die einem dramatischen Ereignis auf dem amerikanischen Kontinent als Vorspiel dient, wo weder die Helden Winnetou noch Old Shatterhand fehlen. Weihnacht! gehört zu Mays weniger bekannten Werken, aber aus der Perspektive der Forscher, die das Leben des Schriftstellers beleuchten, handelt es sich um einen außergewöhnlichen Roman. Eine der Hauptfiguren trägt nämlich eindeutige autobiografische Spuren und der Autor selbst identifizierte sich ganz offen mit ihr. Eigentlich beschreibt er den jungen Helden des Wilden Westens, Old Shatterhand, für den sich May aus Kalkül nach einem gewissen Zeitraum selbst ausgegeben hatte.

Die Episode aus Böhmen spielt im Winter und beschreibt das mühselige Leben mittelloser Wanderer. Als Kulisse diente das Erzgebirge und die May-Forscher sind davon überzeugt, dass der Autor seine schwierigen Erlebnisse zum Jahreswechsel 1869/1870 beschreibt, als er vor dem Gesetz durch die verschneite böhmische Landschaft flüchtete.

In Weihnacht! treten auch einige „böhmische“ Figuren auf. Beispielsweise der Gastwirt Franz. Dieser wurde als Franz Scholz identifiziert, der Karl May im Sommer 1897 in Falkenau an der Eger bei seiner kurzen Erkundungsreise von Eger nach Komotau besuchte. Dann ist es interessant, sich die Figur des ehrgeizigen und unehrlichen Musikstudenten mit dem Namen Krüger genauer anzusehen, der seinem talentierteren Mitschüler Karl May eine Komposition stahl und diese als seine ausgab. Die Vorlage für diese Figur war sicherlich Franz Eduard Krüger aus Aussig. Der durchweg schlechte Charakter Krügers in Weihnacht! könnte darauf anspielen, dass May auf diesem Weg mit seinem ehemaligen Freund wohl eine noch offene Rechnung beglich.

Und nicht nur in Weihnacht! ist Böhmen einer der Handlungsorte. Im Fall des Romans Der Weg zum Glück, der zur Regierungszeit des bayerischen Königs Ludwig II. spielt, handelt es sich um das fiktive Dorf Slowitz bei Pilsen und im gleichen Teil kommt darüber hinaus die tschechische Stadt Chrudim vor. Chrudim und schließlich auch Pardubitz und Studenetz tauchen in der Erzählung Pandur und Grenadier von der Zeit des Österreichischen Erbfolgekriegs auf.

Joachimsthaler Strahlung

Der letzte Besuch Karl Mays von Böhmen lässt sich zwar nicht als „inspirierend“ bezeichnen, aber seine Auswirkungen auf das Werk des weltbekannten Autors waren offenbar fatal. Der von vielen Erkrankungen geplagte Schriftsteller hoffte durch wundersam wirkende Radioaktivität im neu eröffneten Kurbad Joachimsthal auf Heilung. Mit dem Zug aus Dresden und nach dem Umstieg in Aussig erreichte er den erzgebirgischen Kurort am 22. Mai 1911. „Die Reaktion der Bäder ist so stark, daß ich die Feder nicht halten und auch nicht schreiben kann,“ diktierte er seiner Ehefrau Klara. Von dieser neuartigen Heilungsmethode war sie überzeugt und kaufte vor der Heimreise noch Joachaimsthaler Pechblende. Am 17. Juni kehrte das Ehepaar May wieder in die Villa Shatterhand nach Radebeul zurück und Klara legte ihrem Mann radioaktives Gestein unter sein Bett. Die negativen Auswirkungen von Strahlenbelastung waren damals noch fast vollkommen unbekannt. Aus diesem Grund vermuten einige May-Kenner, dass, als May am 30. März des folgenden Jahres starb, gerade das die Folge seiner Kur in Joachimsthal war.

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