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Robert Seethaler
Abschied vom Leben

Robert Seethaler fühlt sich in den weltberühmten, todkranken Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler ein. Der fährt übers Meer von Amerika nach Europa zurück. Es ist seine letzte Reise. Der Ausnahmemusiker wurde nur 50 Jahre alt.

Von Swantje Schütz

Seethaler: Der letzte Satz © Hanser Berlin Das neueste Werk des österreichischen Autors Robert Seethaler, Der letzte Satz, ist ein schmales Büchlein von 128 Seiten über Gustav Mahlers letzte Reise, die Überfahrt nach Europa. Der berühmteste Dirigent am Übergang von der Spätromantik zur Moderne und große österreichische Komponist reist 1911 zum zweiten Mal von New York ab, seine 19 Jahre jüngere Frau Alma und Tochter Anna sind mit an Bord. Während Mahler todkrank an Deck des Überseedampfers sitzt und seine Familie nur im Off – unter Deck – existiert, lässt er wehmütig sein Leben Revue passieren.

Meilensteine eines Musikerlebens

Mahler denkt zurück an seine Begegnung mit der schönsten und meistbegehrten Frau Wiens, ihre Hochzeit sowie die gemeinsamen Töchter Maria und Anna, den Tod der erstgeborenen Maria. Auch kreisen seine Gedanken um seine Eifersucht – seine Frau hatte ihn mit einem „Baumeister“ betrogen – sowie um seine daraus resultierende Begegnung mit Sigmund Freud, die nur einen Nachmittag andauerte. Der Baumeister ist der Architekt Walter Gropius, was man aber als Leser*in so direkt nicht erfährt. Hinter Mahler liegen zehn Jahre als musikalischer Direktor der Wiener Hofoper sowie Engagements an der Metropolitan Opera und bei den New Yorker Philharmonikern als Chefdirigent.

Kann man Musik beschreiben?

Robert Seethaler schreibt in gewohnt lakonischer Manier – hier vielleicht etwas zu schlicht. Das Lesepublikum erfährt nicht viel über Mahler, beziehungsweise es kann vieles ohne Hintergrundwissen nicht deuten. Aber dennoch kommt man beim Lesen in einen angenehmen Flow, denn Seethalers klaren, einfache Sätze lassen einen großen, persönlichen Interpretationsspielraum. Einsichten in das, was Mahler geschaffen hat, gibt das Buch jedoch nicht preis. Vielmehr sagt Mahler zu einem Schiffsjungen: „Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür. Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht.“ Wer weiß, ob es Seethaler nicht doch gelungen wäre, über die Musik Mahlers zu schreiben? Hat der Autor es sich leicht gemacht oder können wir es so interpretieren, dass Mahler in dem Moment nicht mit ausgerechnet einem Schiffsjungen über seine Musik reden wollte? Interessierte, die nicht wissen, welche Art Musik Mahler komponierte, sind jedenfalls auf eigene Recherche angewiesen.
 
Und noch etwas fällt auf: Der Schiffsjunge ist zwar ein Sympathieträger, der sich fürsorglich um den Kranken kümmert, nur leider ist er nicht durchgängig glaubhaft dargestellt. Sein Sprachduktus entspricht eher dem von Mahler, als er ausführt: „Die Älteren sagen, es sind die Seelen der Ertrunkenen. Sie können sich nicht mit der Dunkelheit abfinden und suchen das Licht“ – schön gesprochen, aber wohl eher nicht die Worte eines Tee servierenden Jungen, der ansonsten eher Floskeln wie „Selbstverständlich, Herr Direktor!“ im Sprachrepertoire hat.

Pluspunkt Neugierde

Vielleicht liegt es an Sätzen wie denen über die unbeschreibbare Musik, dass man als Leser neugierig wird – vor allem, wenn man wenig bis gar nichts über Gustav Mahler weiß. Eine einfache, schnelle Recherche, und Seethalers Werk bekommt eine neue Bedeutung. Je mehr man über Mahlers Biografie, die Menschen in seinem Leben und die tatsächlichen Geschehnisse herausfindet, desto wertvoller und liebevoller erscheinen Seethalers Sätze über den Künstler. Ein zweites Mal Der letzte Satz zu lesen, ist eine Möglichkeit, sich vorher über Mahlers Leben und Werk zu informieren, die andere.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank Robert Seethaler: Der letzte Satz
München: Hanser  Berlin, 2020. 128 S.
ISBN 978-3-446-26788-6
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

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