Intervju

Interactive Empathy: Lokale Inspiration, universelle Themen & die Magie von interaktivem Storytelling

Truberbook
Wie kam es dazu, dass das Deutschland der 1960er Jahre die Kulisse für das wunderschön gestaltete Sci-Fi Mystery Adventure Game wurde? Die Macher von Trüberbrook, Gewinner des Best German Game Awards, zeigen wie sie Joseph Campbells‘ Monomythos nutzten um die Geschichte des Spiels zu entwickeln und wie Photogrammetrie ihnen dabei geholfen hat bezaubernde Level zu kreieren.
 


Was inspirierte euch die deutsche Kleinstadt als lokale Inspirationsquelle zu verwenden und diese mit Science-Fiction Ideen zu verbinden?

Die ursprüngliche Idee war eine Geschichte zu erzählen die weit weg von herkömmlichen Szenarien spielt, eine Welt zu erschaffen die irgendwie einzigartig und dennoch vertraut ist. Anstatt einer komplett fiktiven Fantasiewelt, oder einer wohlbekannten Kulisse aus der echten Welt wie zum Beispiel die USA – was sicher auch hilfreich sein kann weil die meisten Spieler auf der Welt dazu einen Bezug haben, da die Vereinigten Staaten ein dominierender Faktor in der Popkultur waren – wollten wir uns Orten widmen die uns selbst vertraut sind, Orte über die wir Geschichten erzählen können. Wir versuchten diese Vertrautheit in etwas Exotisches zu verwandeln, etwas das für Leute die so etwas noch nie davor gesehen haben ansprechend sein könnte. Wir hatten das Gefühl, dass die deutsche Provinz ziemlich bizarr und merkwürdig sein kann, besonders für jemanden der nicht damit aufgewachsen ist. Sieht es von außen betrachtet, durch die Augen eines internationalen Besuchers der dort einfach ausgesetzt wurde, nicht komisch aus?
Dieses Rezept haben wir zum Beispiel von den vielen erfolgreichen und berühmten skandinavischen Fernsehserien geliehen, die oft in einem eher lokalen Kontext spielen, sich aber mit universellen Themen wie Liebe, Freundschaft und Verlust beschäftigen.
Die Meisten in unserem Team sind in ländlichen Kleinstädten in ganz Deutschland aufgewachsen und Trüberbrook ist stark davon inspiriert. Während der Entwicklung des Spiels besuchten wir auch viele Kleinstädte in den etwas abgelegenen, bergigen Gegenden, wie dem Harz oder der Eifel, sodass Trüberbrook eine Mischung aus unterschiedlichen Eigenschaften die man dort finden konnte wurde. Dieses Dorf ist also eine Art stilisierte, verdichtete Version aus vielen verschiedenen, kleinen deutschen Dörfern, etwas das man auch in einem „Heimatfilm“ (Ein spezielles kitschiges, romantisierendes Genre des deutschen Nachkriegsfilms) sehen könnte. Natürlich unterstützt das ein etwas klischeehaftes Bild von Deutschland, was nützlich für uns war um die Idee ein bisschen besser auszuarbeiten.
Der spezielle Zeitabschnitt in den 1960er Jahren gibt zusätzlich einen interessanten Hintergrund für eine Detektivgeschichte: der schwelende Konflikt zwischen zwei sehr unterschiedlichen deutschen Nachkriegsstaaten, die konstanten Gefahren einer fremden Bedrohung, konkurrierende Geheimdienste, der Wettlauf zum Mond und so weiter. All dies verstärkt natürlich die Atmosphäre und das Gefühl von Abgeschiedenheit in diesem kleinen Dorf.
Abschließend war es sehr verlockend all diese Voraussetzungen zu nehmen und sie mit einem Plot zu verbinden der direkt aus einem Sciencefiction Film stammen könnte – was wahrscheinlich noch nicht allzu oft davor gemacht wurde. Wir wollten einige sehr unterschiedliche Genres miteinander mischen, um das Spiel unterhaltsam und dennoch spannend, lustig aber auch ein bisschen gruselig zu machen. Man kann Paralleluniversen und Zeitreisen erwarten, Verrückte Wissenschaftler, geheime Untergrundlabore, Dinosaurier, Aliens und Seeungeheuer, Geheimagenten, Geister, eine künstliche Intelligenz, mittelalterliche Ritter, viele seltsame Dorfbewohner und eine Katze namens Klaus. Am Ende muss Tannhauser natürlich auch die Welt retten.
 

Trueberbrook_06 ©btf
Wie habt ihr euren Hauptcharakter so erschaffen, dass er glaubwürdig ist und das Publikum sich mit seiner Aufgabe identifizieren kann? Habt ihr Filme oder Fernsehserien als Inspiration genutzt?


Egal wie bizarr und seltsam die Umgebung und die Kulisse auch sein mögen, wir glauben, dass es sehr wichtig ist, dass die Charaktere nachvollziehbar sind. In unserem Fall wird der Hauptcharakter Tannhauser ins kalte Wasser geworfen, was den Spielern erlaubt die Eigenartigkeit eines (für uns) vertrauten Ortes durch ihre eigenen Augen zu sehen. Das hilft sehr dabei die ganzen kleinen Details zu betonen und einige von ihnen würden von jemandem der zu vertraut mit dem Setting ist in dem er sich befindet sonst wahrscheinlich übersehen werden.
Wir haben eine Geschichtsstruktur verwendet die auf Joseph Cambell’s Monomythos beruht. Wie in der Heldenreise, ist auch die Welt von Trüberbrook in das Bekannte und das Unbekannte aufgeteilt. Unser Protagonist Tannhauser macht sich eher unfreiwillig auf zu einem Abenteuer um beide dieser Welten zu entdecken. Der leichtherzige und unbekümmerte Physiker ist anfangs nicht besonders motiviert diese Reise anzutreten, vor allem nicht nachdem jemand seine Abhandlung über Quantenphysik gestohlen hat. Aber dann wird Tannhauser von der Paläoanthropologin und wagemutigen Entdeckerin Greta Lemke, die hier als eine Art „Call to Adventure“ fungiert, dazu gedrängt, sich auf eine gemeinsame Mission zu begeben, bei der sie ihm auf der ersten Hälfte des Abenteuers auch leitend und beratend zur Seite steht. Tannhauser’s Reise beginnt im „Bekannten“, eine alte verstaubte Stadt in Deutschland, aber er geht (wortwörtlich) ziemlich schnell in das „Unbekannte“ über um das Geheimnis hinter (oder unter) Trüberbrook aufzudecken. Er kehrt verändert in die bekannte Welt zurück, mit neuem Wissen und einer neuen Mission um die Welt zu retten.
Eines der Kernthemen mit dem sich jeder Charakter in unserer Geschichte auseinandersetzen muss, ist deren Beziehung zu dem Konzept von Heimat, besonders die Gefühle von Entwurzelung und Heimweh. Während Tannhauser in erster Linie ein Fremder in einem fremden Land weit weg von Zuhause ist, ist Greta eine Art heimatloser Charakter der immer unterwegs und auf der Suche nach einem Anker oder ähnlichem zum Festhalten ist. Dies gilt ebenso in besondere Weise für den dritten Hauptcharakter unserer Geschichte, Lazarus Taft, der in die Erzählung als geheimnisvoller Dieb eingeführt wird, der Tannhauser‘s Dokument über Quantenphysik stielt, sich später allerdings als Tannhauser’s transzendenter Lehrer und eng verbündeter Freund, ja sogar als Seelenverwandter und als seine Liebe des Lebens, herausstellt.
Taft ist ein mittelmäßiger Zeitreisender, der während seiner Reise durch diverse Dimensionen und Galaxien in Trüberbrook gestrandet ist. Er musste flüchten weil etwas wirklich Schlimmes in seiner Heimatgalaxie passiert ist. Sein Körper wird unter dem Einfluss unserer Dimension immer schwächer und er muss dringend zurück nach Hause. Im Verlauf der letzten Jahre hat Taft akribisch an seiner Rückreise gearbeitet, musste jedoch mit der Zeit feststellen, dass ihm trauriger Weise das nötige Wissen in der Quantenphysik dazu fehlt. Er ist die Verkörperung des Gefühls von Heimweh, da er buchstäblich die Verbindung zu seiner Heimat verloren hat und in einer außerordentlich lebensfeindlichen Umgebung gefangen ist. Sein Streben wieder nach Hause zurückzukehren ist so tief im Konzept von Trüberbrook verankert, dass sich sein Heimweh sogar auf physische Weise äußert, indem er sich langsam in blauen Schleim auflöst, wenn er sich zu lange in unserer Dimension aufhält.
 
Als Zeitreisender zwischen den Dimensionen und weit weg von Zuhause, ist Taft sowohl ver- als auch entwurzelt in vielen verschiedenen und weit entfernten Orten. In Trüberbrook werden die Sehnsucht nach fernen Orten und das Gefühl des Heimwehs nicht als zwei konkurrierende Ideen gesehen, sondern sind sich im Gegenteil sehr ähnlich und könnten vielleicht sogar das Selbe sein. In gleicher Weise steht auch die körperliche Auflösung von Taft einerseits für die Sehnsucht nach weitentfernten Orten und ebenso für die nostalgische Stimmung des Heimwehs.
 
 
Wie habt ihr die handgemachte Landschaft und Beleuchtung genutzt um die einzigartige Atmosphäre des Spiels zu ermöglichen?
 
Unser Workflow bei der Photogrammetrie ist ein relativ filigraner technischer Ablauf. Wir entschieden uns für einen handgemachten Miniaturmodell-Look um das märchenhafte, nostalgische Gefühl in der Spielewelt von Trüberbrook zu unterstützen, aber auch weil wir bereits etwas Erfahrung mit Miniaturmodellen von vorherigen Projekten hatten.
 
Photogrammetrie ist ein wesentlicher jedoch nicht der einzige Teil in unserem Arbeitsablauf zur Digitalisierung dieser Miniaturmodelle. Zuerst inszenieren wir die verschieden Miniaturszenen mit atmosphärischer Beleuchtung, genauso wie man kleine Filmsets inszenieren würde, und fotografieren diese aus einem Winkel der ungefähr derselbe ist wie später im Spiel. Das sind unsere „beauty shots“ der Kulissen und sie ergeben den Großteil der später im Spiel wahrgenommenen Szenen.
 
Als nächstes wechseln wir zu einem neutraleren Beleuchtungsaufbau mit einer gleichmäßigen Lichtverteilung über das gesamte Miniaturmodell, in dem kein Bereich zu dunkel oder zu hell ist. Dann machen wir zwischen 100 und 300 Fotos von dem Set aus unterschiedlichen Positionen. Diese zweite Reihe von Fotos beinhalten die Bilder die tatsächlich für die Photogrammetrie benutzt werden und in einer speziellen Software dafür genutzt werden ein digitales 3D-Modell zu berechnen.
 
Die Photogrammetrie-Software vergleicht die Pixeldaten der Aufnahmen, weshalb die Fotos keine zu hellen oder zu dunklen Bereiche haben sollten – weil diese keine detaillierten Informationen beinhalten und es hier schwierig für die Software ist eine Verbindung zwischen den Bildern herzustellen. Das Ergebnis des Photogrammetrieprozesses ist ein hochdetailliertes 3D-Modell des Miniatursets das aus Millionen von Dreiecken gefertigt wurde.
 
Dieses Maß an Detailliertheit ist gut um Filme zu rendern, jedoch ist es zu viel für eine Game Engine die ein Bild mindestens 30mal pro Sekunde rendern muss. Um das 3D-Modell „game ready“ zu machen, müssen wir die Anzahl an Dreiecken auf ein paar tausend Polygone reduzieren.
 
Die folgenden Schritte werden für gewöhnlich eher für sogenannte Matte Paintings, ein Arbeitsablauf für gemalte Kulissen bei Filmproduktionen, verwendet: Wir projizieren die Beauty Shots eines Miniatursets zurück auf die vereinfachte 3D-Geometrie und erfassen diese Projektionen als Textur für das 3D-Modell. Jetzt stammen alle Details und Beleuchtungsinformationen tatsächlich von den Beauty Shots und somit von der realen Beleuchtung der Miniaturkulissen. Durch das Überblenden solcher Bilder oder Texturen können wir auch den Wechsel von verschiedenen Lichtszenarien simulieren. Ein Beauty Shot eines dunklen Raums und ein anderer desselben mit angeschaltetem Licht kann zum Beispiel so vorwärts und rückwärts überblendet werden, dass der Eindruck entsteht das Licht würde flackern – Eine Technik die auch häufig bei Stop-Motion Filmen zum Einsatz kommt.
 
Diese fertigen 3D-Modelle werden später mit Charakteren und Gegenständen in der Spiel-Engine kombiniert. Die Charaktere werden auf etwas konventionellere Computerspielprozessweise gemacht. Sie bewegen sich interaktiv durch die Kulissen und müssen dazu fähig sein auf verschiedene Lichtsituation zu reagieren – Zum Beispiel im Schatten eines anderen Objekts stehen, auf einer Seite einer Lichtquelle zu stehen, auf der anderen Seite zu stehen und so weiter. Also rekonstruieren wir den Lichtaufbau von den realen Sets nochmals mit digitaler Beleuchtung und versuchen das Aussehen der Charaktere so nah wie möglich an das der Miniaturen anzupassen. Dieser digitale Beleuchtungsaufbau gibt uns auch die Möglichkeit, dass die Charaktere in Echtzeit Schlagschatten in die Kulisse werfen.

F. Köhne  und  H. Böhme ©H.Böhme
 
Welche aktuellen Videospiele erweitern eurer Meinung nach die Grenzen des Mediums?
 
Bezüglich Worldbuilding, haben natürlich Blockbuster wie Red Dead Redemption 2 die Messlatte vor kurzem sehr hoch gelegt. Die Spieler können in eine detaillierte und glaubwürdige Welt eintauchen die vor Leben wimmelt und hunderte von gut geschriebenen zufälligen Begegnungen bereit hält, wodurch man allein durch das freie umherschweifen in dieser massiv großen Welt regelrecht aufgesaugt wird.
 
Hinsichtlich Storytelling ist natürlich Life is Strange bereits ein moderner Klassiker, der die Grenzen durch das Erzählen einer fesselnden, emotionalen Coming-Of-Age Story mit tollen Wendungen, durchdachtem Worldbuilding und einer Fülle an glaubwürdigen Charakteren erweitert. Ohne zu viel zu verraten (wir würden das Spiel jedem empfehlen), war es wahrscheinlich das erste Spiel bei dem wir während des Spielens viel weinen mussten.
 
Außerdem würden wir gerne noch Kentucky Route Zero erwähnen, das durch das Schaffen einer derben aber ziemlich magischen Atmosphäre mit sehr reduzierten aber verblüffenden Dialogen einen wirklich tollen Job gemacht hat. Firewatch und Virginia sind beide ebenfalls meisterhaft gestaltet, sowohl das Worldbuilding als auch das Storytelling sind hier auf einem etwas minimalistischen aber wirklich packenden und intensivem Level.
 
Papers, Please geht wiederum einen komplett anderen Weg als alle anderen vorher genannten Spiele, um eine Geschichte zu erzählen. In dem Spiel verschmelzen die einfachen Bewegungsabläufe mit der Spielewelt und der Geschichte in raffinierter und nahtloser Weise. Das zeigt für uns welch großes Potential interaktives Storytelling für das Medium hat.
 
Srđan Latereza