Lucie Freynhagen
bangaloREsident@Walkin Studios

Lucie Freynhagen © Lucie Freynhagen Lucie Freynhagen studierte experimentelle und interdisziplinäre Malerei an der Hochschule der Bildenden Künste Dresden, wo sie 2011 ihr Diplom und 2013 ihren Abschluss als Meisterschülerin erhielt. Seit 2010 arbeitet sie als Kuratorin und Initiatorin verschiedener Kunstprojekte auf der ganzen Welt, wie €urOPER - interdisziplinäres Opernprojekt 2018-2022, Sailor on Aisle 5 (2021 Fetspielhaus Hellerau, 2022 Hau Berlin), INTERNATIONAL TOPSELLERS (Dresden International Topsellers 2016, Wien 2017, stardust - Wuppertal 2017, real time systems- Los Angeles 2017 und reasons to believe - Köln 2018), Kunstpanels - Ausstellungen auf Großflächenplakaten im öffentlichen Raum (Dresden Public Art View 2014, Public Art Panels - Frankfurt 2015, 2minago - Duesseldorf PHOTO PANELS NRW Forum Düsseldorf 2019) und arbeitete zudem als künstlerische Projekt- und Galerieleitung für verschiedene Kunstvereine. Ihre Arbeiten wurden u.a. 2022 in Montreal (Wunderkammer of Passing Futures), 2021 bei der AR Biennale NRW-Forum Düsseldorf und Museum Kunstpalast, auf der Aluminium Biennale für zeitgenössische Kunst in Baku (Aserbaidschan), im Metenkov's House Museum of Photography in Jekaterinburg (Russland), auf der ANHYDRITE - Medienkunst Biennale Barbarossahöhle GEOPark Kyffhäuser (Deutschland), sowie bei der CYNETART - Internationales Festival für computergestützte Kunst Festspielhaus HELLERAU, im Leonhardi Museum Dresden, Kunsthalle im Lipsiusbau- Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Neuer Kunstverein Wuppertal, F/STOP Festival für Fotografie Leipzig, Kunsthalle Exnergasse Wien (Österreich). Die in Dresden lebende Künstlerin bezeichnet ihre Arbeiten als "Conceptual Experiences". Ihre künstlerische Praxis ist interdisziplinär, befasst sich mit Video und Soundarbeiten, Installationen, Objekten, Malerei, Drucktechniken und Texten. Letztlich kann man ihre künstlerischen Produktionen als Intervention und Analyse allgemeiner Vorstellungen von Dingen sehen, die sie gleichzeitig zu erschaffen und zu manipulieren versucht.

Lucie Freynhagens Arbeiten schaffen eine Situation die ähnlich wie bei den Höhlenzeichnungen von Lascaux referentielle und ästhetisch an ihre Mitmenschen geknüpfte Bilder zu eigenen Geschichten überführt. Die Ohnmacht überwindend, kreiert die Künstlerin Spektakel, die sich als Teil von Wirklichkeit behaupten. Ihre künstlerische Praxis wird zur Zauberei, um Zuschreibungen, Ideale, Hoffnungsbilder und Absichten zu verklären. Denn Geschichte beruht auf Erzählung. Ob man es nun Hochstapelei oder Rekontextualisierung nennt ihre Arbeiten begehen den Versuch feste Vorstellungen zu entrücken und ihnen eigenmächtig einen neuen Antlitz zu verleihen. Denn was vorstellbar ist, ist möglich und damit potenziell auch Teil der definitorischen Bühne unserer Geschichte. Gekonnt werden Referenzsysteme und deren Funktionsweisen ausgehöhlt, entleert und wieder befüllt. Eine Rückeroberung der Identität der Dinge. Erinnernd werden sie zu Versatzstücken von Mitsprache und zu Werkzeugen einer uns umgebenden Wirklichkeit und stehen als Entzauberung der “Wertebidel” eines kapitalistischen Mühlrades unserer Jetztzeit gegenüber. Eine Destabilisierung der Grenzen zwischen dem Werk und seinem Außen, dem Eigentlichen und dem Uneigentlichen und dessen Zusammenhang. Die Erzählungen bringen fiktive und tatsächliche Begebenheiten zusammen und bedienen sich einer Reihe ästhetischer Register, um Alternativen zum gesellschaftlichen Status Quo zu entwerfen. Sie kreieren einen Ort. Eine Zusammenkunft, die man eine Sitzung, oder Rat, nennen könnte, an dem eine Frage, ein Anliegen, oder Thema verhandelt werden. Sie laden zum spekulieren ein und verhandeln Zuschreibungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft neu.
(Text: Iris Dankemeyer)

Während ihres Aufenthaltes in Bangalore möchte Lucie gemeinsam mit Video Akteuren und Videokünstlerinnen vor Ort verschiedene 3D Animationen realisieren. Das entstandene Material soll in Form von Videocollagen für die Webserien des 2021 begonnenen Kunstprojektes ContentContent und auch als Projektion für kommende Bühnenstücke dienen.

ContentContent ist ein Multimedia-Performance Format, das in digitalen künstlerischen und thematischen Videoformaten mündet und sich als Serie formiert. Ausgehend von unterschiedlichen kreativen Hintergründen als Musiker, Tänzer, und Medienkünstler erforscht ContentContent die "Normalität" in Bezug auf die zeitgenössische Kultur und präsentiert sich als ein postmoderner Dschungel verschlungener Systeme und kultureller Meme, in dem die Performer entweder Experten, Forscher, Gefangene oder Überlebende sind. ContentContent experimentiert mit verschiedenen Möglichkeiten, Text in performative Szenarien zu übersetzen, manchmal direkt in vollwertige musikalische Szenen und manchmal in nüchterne oder abstrakte Szenarien, die an wissenschaftliche Erklärungen erinnern. Zwischen streng choreographierten, vorproduzierten Szenen und "konzeptueller"Improvisation, erforscht ContentContent die Spannung zwischen Busby Berkley und den esoterischsten Stücken von William Forsythe. Im Rahmen der seriellen Videoformate wird zudem eine Mischung aus elektronischer, elektroakustischer und analoger Musik entwickelt, welche musikalische Algorithmen, Sample-Sourcing und von vaporwave* beeinflusste Tracks, sowie traditionelles Songwriting, nutzt und von “nostalgic or surrealist engagement with the zeitgeist, technology and advertising of previous decades” beinflusst ist. *Vaporwave ist eine Musik- und Kunstbewegung, die in den frühen 2010er Jahren als Internet-Phänomen der Netzkultur entsprang und bis heute in Teilen eine große Nähe zur dortigen Memekultur aufweist. Prägend für den Stil waren vor allem zu Beginn unter anderem Technologie, Videospiele, der Postmodernismus, die Konsumkultur sowie die Design-, Werbe- und Musikästhetik dieses Zeitraums.

ContentContent ist eine Medienperformance über die Dringlichkeit, Kunst am "Ende der Welt" zu machen, oder am Ende einer Sammlung von sich verändernden Realitäten, die die Traumlandschaft des Spätkapitalismus ausmachen. Es ist Performance, Live-Musik, Computerkunst, verkörperter Text, Tanz, Choreographie und Video. Die Performance spiegelt die Voraussetzung der rasenden Verinnerlichung von Information in der heutigen Gesellschaft wider, indem sie ständig zwischen den verschiedenen Darstellungsformen hin- und her rutscht. Im Rahmen der seriellen Videoformate werden uns Opernarien, Tanznummern, Monologe und Vorträge präsentiert, die sowohl ContentContent sind und es wiederum kommentieren. Das Format wechselt zwischen der erstarrten und sterilen Präsenz TedTalk-artiger Diskussion und Intrigen eines Musicals, das ein komplexes, nicht-lineares Ungetüm ist und meist von nicht-menschlichen Schauspielern in schwindelerregenden emotionalen Höhen aufgeführt wird. Insgesamt wirft ContentContent einen harten Blick auf die Lähmung einer Generation, die in einer post-ironischen Rückkopplungsschleife gefangen ist, die Gamifizierung, Memeifizierung und sofortige Wunscherfüllung durch algorithmische Vorhersagen beinhaltet. Diese Ideen werden in einen performativen Kontext gestellt und dann von unseren beiden Haupt-Protagonisten diskutiert: zwei "Kinder der 90er Jahre", die allwissend und allgegenwärtig sind, aber nicht in der Lage, die von ihnen als notwendig erachteten Veränderungen in ihrer Umgebung zu bewirken.

Auf diese Weise kann ContentContent dazu genutzt werden, Wahrheiten hervorzuheben, die das letzte Jahrzehnt geprägt haben, wie das immer stärker werdende Gefühl der Isolation innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft, die Werte, die über alles andere ausgegeben werden, oder die wachsende Menge an Existenzangst, die von jeder nachfolgenden Generation geerbt wird, während der Planet durch unerträgliche Mengen an Kohlendioxid dem sicheren Untergang entgegenschleudert. Die zeitgenössische Gesellschaft durch die Linse des traditionellen Musicals zu betrachten, bedeutet, die Spannung zwischen den Dingen, die wir vom Dasein wollen, und den Dingen, mit denen wir uns befassen müssen, um sie zu erreichen und zu erhöhen.

Diese Residency erfolgt in Partnerschaft mit der Stadt Dresden.

Abschlussbericht