Schönefeld Boulevard

Schönefeld Boulevard Foto: © Claudia Rorarius credofilm GmbH Regie: Sylke Enders
Deutschland 2013/14, 102 Min.
Mit Julia Jendroßek, Daniel Sträßer, Ramona Kunze-Libnow, Uwe Preuss, Jani Volanen, Kyra Sophia Kahre, Andrea Hintermaier, Yung Ngo


Ödes Brachland: mehr ist vom neuen Großflughafen Berlin-Schönefeld eingangs nicht zu sehen. Cindy und ihr Kumpel Danny spielen am Zaun mit Puppen – ein Traumbild, das am Ende des Films eine Wiederholung als Horrorbild findet. Zwei bestenfalls mäßig geliebte Jugendliche haben sich da zusammengetan und doch nicht wirklich gefunden. Danny redet Cindy ein, dass ihre Eltern wohl das Kind des Hausmeisters bevorzugt hätten, weil dies schon tot auf die Welt gekommen sei. Und den kleinen Hund hätte sie auch nur bekommen, damit der von ihrer Hässlichkeit ablenken solle. Danny hat genug von allem, er geht als Freiwilliger mit der Bundeswehr nach Afghanistan; bei seiner Rückkehr ist er noch zynischer als vorher. Cindys Vater bezeichnet seine übergewichtige Tochter als „Rosinenbomber“ (so nannte der Volksmund einst die Frachtflugzeuge, mit denen die USA während der Blockade die Westberliner versorgte). Der Bau des neuen Airports hat sich bereits um Jahre verzögert, und damit auch die Eröffnung eines Hotels, in dem Cindy nach dem Abitur eine Ausbildung als Hotelfachfrau antreten wollte. Noch ist nicht einmal sicher, dass das Mädchen das Abi überhaupt bestehen wird; vor allem ihr Vater entmutigt seine Tochter immer wieder. In der Schule ist sie ein bequemes Opfer der anderen Mädchen.

Sylke Enders hatte die Idee zu Schönefeld Boulevard am zentralen Schauplatz ihres Films: „Die vielen Flughafen-Motels, die Bushaltestellen, ein paar herumstehende Jugendliche. Vor meinem inneren Auge erschien sofort so ein Mädchen mit einer etwas korpulenteren Figur, das mit ihrem Hund an einer dieser Bushaltestellen wartet. Und dieses Bild habe ich in einen Zusammenhang mit den vielen Gästen in den Motels gesetzt. Die sind wie dieses Mädchen oft genauso in Abhängigkeiten gefangen, gelangweilt und vereinsamt. Wie wäre es, wenn diese beiden Welten zusammenträfen und diese Zufallsbekanntschaft mit beiden etwas macht? Und dieser jungen Frau erlaubt, sich mal auszuprobieren, sich ganz anders zu erfahren und etwas zu machen, was andere ihr nicht zutrauen?“

Also ergreift Cindy endlich die Initiative. Sie bringt einem Fremden das verlorene Handy ins Hotelzimmer; der Ingenieur aus Finnland weiß gar nicht so recht, wie ihm geschieht. Aber irgendwann sinken die beiden in einer innigen Umarmung aufs Sofa, in Großaufnahme und slow motion öffnet sich eine Blüte. Dann quatscht Cindy den japanischen IT-Spezialisten Park an und sichert sich so einen Begleiter für den Abi-Ball.

Schönefeld Boulevard erzählt vom mühsamen und beschwerlichen Erarbeiten eines zum Überleben notwendigen Selbstvertrauen – und dessen endgültigen Verlust. Denn der Afghanistan-Heimkehrer Danny kommt mit Cindys Entwicklung überhaupt nicht zurecht; er stürzt immer mehr in Alkohol und Drogen ab und verliert bei einer wahnsinnigen Autofahrt sein Leben. Cindy reagiert verzweifelt, denn sie fühlt sich für diesen Tod verantwortlich. Das Schlussbild zeigt sie, wie sie sich auf einer Straße parallel zur Startbahn des Airports entfernt. Sie geht genau auf dem Mittelstreifen, wie einst Charlie Chaplin in Modern Times. Nur hatte der Paulette Goddard als Partnerin dabei. Cindy ist allein. Aber im Hintergrund hebt, zum ersten Mal in diesem Film, ein Flugzeug ab – ein Zeichen des Aufbruchs.

Hans Günther Pflaum, 09.04.2015