Ulrike Ottinger.
Eine Hommage

Ulrike Ottinger © Foto: Anne Selders MIFF © MIFF

Im Rahmen des 38. Moskauer Filmfestivals

In einer gemeinsamen Retrospektive präsentieren das Goethe-Institut und das Internationale Moskauer Filmfestival das Schaffen einer der bedeutendsten und bildmächtigsten Filmemacherinnen Deutschlands. Gezeigt werden Klassiker wie „Bildnis einer Trinkerin“ (1979) und „Freak Orlando“ (1981) ebenso wie „Johanna d'Arc of Mongolia“ (1989) und „Unter Schnee“ (2011). Höhepunkt der Retrospektive ist Ottingers jüngster Film „Chamissos Schatten“ (2016), der unter anderem in Kamtschatka und Tschukotka gedreht wurde und in Moskau seine Russlandpremiere hat. Während des Festivals hält die bekannte Filmtheoretikerin Katharina Sykora einen Vortrag über Ottingers Umgang mit Bildern.

Unterwegs
 
Ulrike Ottingers Filme sind filmische Erkundungen. Bildmächtig, voller Neugierde auf das Fremde im Vertrauten und die Begegnung mit dem noch Unbekannten erschließen sie neues Terrain, bringen verschiedene Wirklichkeiten zusammen, verschränken Fiktion und Dokumentation, Erfundenes und Gefundenes. Sie entführen die Betrachter an entlegene Orte – in die Mongolei etwa, nach Japan oder in den fernen Nordosten Russlands, wie in Ottingers neuestem Film „Chamissos Schatten“ (2016), der im Rahmen ihrer gemeinsam vom Goethe-Institut Moskau und dem 38. Moskauer Internationalen Filmfestival ausgerichteten Retrospektive im Jahr seines Erscheines Russlandpremiere haben wird. Mitunter findet sich das Entlegene jedoch auch ganz in der Nähe, in Berlin zum Beispiel, wo Ottinger die skurrilen Geschöpfe ihres „Welttheaters“ „Freak Orlando“ (1981) mit artifiziellen Requisiten vor den realen Kulissen Berliner Industriearchitektur auftreten lässt und in einer Art Zeitreise und konstanter Metamorphose vergangene Epochen mit der Gegenwart verbindet.

Das Reisen, die Bewegung durch Zeit und Raum ist ein wiederkehrender Topos in Ottingers Filmen, in ihren Spielfilmen ebenso wie in ihren Dokumentationen, die häufig im Rahmen einer Reise stattfinden. So beginnt „Bildnis einer Trinkerin“ (1979), der erste Film der Berlin-Trilogie, die mit „Freak Orlando“ und „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“ (1984) vollständig in Moskau zu sehen sein wird, mit der fiktionalen Reise der Hauptfigur von Paris nach Berlin. In „Johanna d'Arc of Mongolia“ (1989) macht sich eine Schar abenteuerlustiger Frauen in der Transsibirischen Eisenbahn auf den Weg gen Osten, um dort einer ihnen fremden Kultur und im Spiegel des anderen sich selbst zu begegnen. In „Unter Schnee“ (2011) erkundet Ottinger, vermittelt üebr zwei Kabuki-Darsteller, den Alltag im tief verschneiten Nordzentral-Japan. Und in „Chamissos Schatten“ begibt sich Ottinger auf die Spuren von Naturforschern wie Chamisso, Humboldt und Forster.

Die Struktur des Reisens kommt der des Films entgegen. Sie ist, als bestimmte Bewegung in einen unbestimmten Raum, „von ihrer Form her bereits ein Spiel aus Determination und Unbestimmtheit“, wie die Filmkritikerin Gertrud Koch schreibt. Und sie erfordert eine Aufmerksamkeit, die gerichtet oder ungerichtet sein kann, wie Katharina Sykora festhält, deren erstmals in Russische übersetzter Essay „On Showing: The Deictic Gesture in Ulrike Ottinger’s Work” in dieser Publikation eine fundierte Analyse von Ulrike Ottingers Umgang mit Bildern, mit dem Prozess des Findens, Zeigens und Rekombinierens, bietet. In eben dieser Verdichtung von Bildern, dem Zusammentreffen von Erfahrung und Imagination, werden neue Einblicke und Wahrnehmungen möglich. Oder wie Ulrike Ottinger zu „Chamissos Schatten“ schreibt: „Aus dem Logbuch der Imagination, das mich auf meiner Reise begleitete, und dem Logbuch der Wirklichkeit, auf die ich traf, wird so eine Neuschöpfung: eine räumliche, eine poetische, eine filmische Realität.“
 
Astrid Wege, Leiterin Kulturprogramme Goethe-Institut Moskau
 

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