Änderst Du mich, ändere ich Dich

Kuratorin: Clelia Coussonnet          

Petja Dimitrova, Sophia Grancharova, Jacob Kirkegaard, Vesselina Nikolaeva, Andrea Popyordanova, Sevda Semer
mit der besonderen Teilnahme von Ioana Nemes

27. Juli - 29. August 2018

Zu Beginn dieses Jahres startete in Sofia die erste internationale Residenz für Kurator_innen aus dem Bereich der zeitgenössischen Kunst. CLICK ist ein Projekt der Stiftung “Art Affairs and Documents“ und des Goethe-Instituts Bulgarien, unterstützt vom Kulturprogramm der Stadt Sofia. Nach Eingang von fast 100 Bewerbungen aus verschiedenen Ländern, z.B. aus Frankreich, Neuseeland, Kanada und Argentinien, wurden drei Kurator_innen ausgewählt, die 4 bis 5 Wochen in Sofia verbringen und bulgarische zeitgenössische Kunst kennenlernen.           

Die Erste ist die junge Kuratorin Clelia Coussonnet aus Frankreich, die ihren fünfwöchigen Aufenthalt in Sofia mit der Ausstellung „Änderst Du mich, ändere ich Dich“ abschließt und diese am Donnerstag, den 26. Juli, um 18:30 Uhr im Goethe-Institut eröffnet.     

Durch ihre eigene Position als „Ausländerin“ in Sofia und ihrer „fremden“ Perspektive auf das künstlerische Leben in unserem Land arbeitete Coussonnet mit der Idee der „Andersartigkeit“ und der Begegnung zwischen den Menschen - wie wir neue und andere Menschen erleben, und wie wir Unterschiede akzeptieren. In ihrem Ansatz und der Auswahl der Künstler_innen und Werke untersucht die Kuratorin sowohl die persönlichen als auch die soziopolitischen Aspekte von Andersartigkeit.         

In ihrem Abschlussprojekt, das in ihrem Residenzort Sofia seinen Höhepunkt findet, arbeitet Clelia Coussonnet mit Künstler_innen aus den Bereichen Malerei, Fotografie, Illustration, Ton und Digitaldruck.          

Clelia Coussonnet ist eine unabhängige Kuratorin, Redakteurin und Kritikerin Frankreichs. Ihr neuestes Projekt beschäftigt sich mit Machtstrukturen in der Politik und in der Botanik.
Ergebnisse ihrer Arbeit zeigte sie in der Ausstellung „Botany under Influence“ im Apexart in New York (September – Oktober 2016) und in „Leave No Stone Unturned“ (Remuer la terre) im „Le Cube - independent art room“ im marokkanischen Rabat (2019). Zusammen mit Claire Astier kuratierte sie die Ausstellung, die Performance bzw. das Nacht-Screening „Au loin les signaux, al lou'lou“ während der Tage des Kulturerbes in L'Anse du Pharo in Marseille, Frankreich (September 2017). Coussonnet interessiert sich für interdisziplinäre Projekte jenseits traditioneller künstlerischer Systeme, insbesondere in Bezug auf Kunsthandwerk oder kulturelles Erbe und in für die Kunst ungewöhnlichen Räumen. Ihre Interessen und Forschungsgebiete umfassen Kartierung und Ort, Mystizismus, dekoloniale Ästhetik, Botanik, Erinnerung und ihre Fragmentierung, Mündlichkeit, Klangkunst und Rhythmus, Design und das Universum der Textilkunst.         
     
Die internationale kuratorische Residenz CLICK ist ein Projekt der Stiftung “Art Affairs and Documents“ und des Goethe-Instituts Bulgarien, unterstützt von dem Programm Kultur der Stadt Sofia. Die Teilnahme von Clelia Coussonnet am Programm wird außerdem durch den STEP Travel Grant der Europäischen Kulturstiftung in Zusammenarbeit mit der Compagnia di San Paolo unterstützt. Die Kunstwerke von Ioana Nemes sind in der Ausstellung dank der Unterstützung von KILOBASE BUCHAREST | Ioana Nemes Archive.

 

  • Alter me alter you ©Meryan Nikolova / Фото-Корпус
  • Alter me alter you ©Meryan Nikolova / Фото-Корпус
  • Alter me alter you ©Meryan Nikolova / Фото-Корпус

  

Kuratorischer Text

Das Andere ist für uns, ob bewusst oder unbewusst, eine stetig andauernde Beschäftigung, zugleich eine Grenze, die nur darauf wartet, überschritten zu werden, während wir uns im Raum ausbreiten. Es ist ein Wesen, das zu Auf- und Abbewegungen führt: in uns selbst, zwischen uns und dem Anderen, und zwischen dem Anderen und uns.
 
Die Gemeinschaftsausstellung Änderst Du Mich, Ändere Ich Dich schaut auf die Andersartigkeit im Sinne des philosophischen Konzepts der Alterität. Dabei geht es um die Idee, aus sich selbst heraus zu treten, um dem/der/den Anderen zu begegnen und mit ihm/ihr/ihnen in Beziehung zu treten. Der erste Kontakt mit dem Fremden mag darin bestehen, dass wir mit all unseren Sinnen – dem Geruchs-, Tast-, Hör-, Seh- und Geschmackssinn – auf dessen Anwesenheit reagieren. Die Begegnung ist anstrengend und fordernd und bewegt sich an den Grenzen zwischen Verführung und Gewalt, Liebkosung und Auseinandersetzung, Verwirrung und Peinlichkeit. Selten ist sie fade, da sie stets eine neue Erfahrung des Selbst mit sich zieht. reagieren. Die Begegnung ist anstrengend und fordernd und bewegt sich an den Grenzen zwischen Verführung und Gewalt, Liebkosung und Auseinandersetzung, Verwirrung und Peinlichkeit. Selten ist sie fade, da sie stets eine neue Erfahrung des Selbst mit sich zieht.
 
Durch Alterität haben wir die Möglichkeit das Vielfache in uns, zu entdecken. Aber Andersartigkeit kann sie uns auch tief in angespannte soziopolitische Bedingungen verstricken. Das Andere es kann auch Ängste erzeugen. Es wird zum außerirdischen Körper mit dem Zweck, zu zerstören, zum möglichen Symbol latenter Konflikte und Anlass sozialer Desintegration. In letzter Zeit offenbarte der Wandel in der europäischen Politik, dass die Andersartigkeit das Thema schlechthin von Machtverhältnissen und Herrschaft ist. Das Nachdenken über unsere Unterschiede wirft die entscheidenden Fragen nach Akzeptanz und Toleranz auf, um gemeinsam zu aufzubauen, zumal Minderheiten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung oder ihrer Überzeugungen ständig am Rande der Gesellschaft steht oder diskriminiert.
In diesem Sinne greift die Andersartigkeit in die bestehenden Grenzen zwischen Inklusion/Exklusion, Solidarität/Wettbewerb, Dissens/Symbiose, Intimität/Öffentlichkeit und Individuum/Kollektiv ein. Der Blick auf das Andere in mir, und auf mich im Anderen wird zu einem politischen Thema, das die Ambivalenz und Dualität unserer sozialen Modelle deutlich werden lässt und zu Aktivismus aufruft.
 
Änderst Du Mich, Ändere Ich Dich zeigt 7 Künstler_innen unterschiedlicher Herkunft, die sich mit Andersartigkeit durch den Blick mehrerer Prismen auseinandersetzen.
 
Um sich selbst im Fluss der Zeit und im Verhältnis zu anderen, ihrer Umgebung und ihren Erfahrungen zu verstehen, entwickelt Ioana Nemes ein komplexes System der Selbsteinschätzung, das ihr Innenleben nachzeichnet. Sie untersucht, wie uns sprachliche, visuelle und psychologische Systeme definieren und wie Ioana selbst in ihrem täglichen Leben und ihrer Existenz funktioniert und reagiert. Als poetisch-wissenschaftliches Experiment präsentiert ihre Reihe Monthly Evaluation (Time Exposure) (2004-2011) ein ungewöhnliches Archiv in Form von Objekten, Wandbildern und Installationen. Ioana sammelt Daten, die ihren mentalen Zustand, ihre Gedanken und Gefühle anhand von fünf Parametern verkörpern: physisch, emotional, intellektuell, finanziell und bezogen auf den Faktor Glück. Ihr Protokoll gibt – neben einer bestimmten Farbe – ein Zitat zu diesen fünf Faktoren aus, klassifiziert als P, E, I, F, L. Frühe Beispiele aus dieser Serie öffnen die Ausstellung „Änderst Du mich, ändere ich Dich“.
 
Sevda Semer erkundet in ihrer Arbeit, wie sich der Körper bestimmter Emotionen und Gedanken erinnert und sich entsprechend bewegt. Ihre Bilder ebenso wie ihre Untersuchungen in Form von Texten, Tagebüchern und neuerdings auch in Textil- und sogar Soundarbeiten, flirten mit der Erfahrung des Selbst als einem Anderen. Ihre Arbeiten drängen dazu, sich tiefer in die Gefühle hineinzubegeben. Sie eröffnen damit dem Publikum und der Künstlerin selbst die Möglichkeit, völlig unbekannte Innenräume zu betreten. Semer lädt die Zuschauer_innen ein, nach innen und nach außen zu schauen, um Platz für die Begegnung mit Alterität/Andersheit zu schaffen. Für die Ausstellung, die an ihre Produktionen im Studio erinnert, lud ich sie ein, mit dem Display zu experimentieren: während Recognizing your words as something else (2018) an der Wand installiert ist, wird um Have you been here before, body?, I (2018) eine andere Zirkulation näher am Boden erzeugt.           


Das Experimentieren mit Texturen und Farben, die Überlagerung und der Einsatz von Mischtechniken sind wichtige Werkzeuge für die Illustratorin Andrea Popyordanova. Sie untersucht verschiedene Formen des Ausdrucks, eine davon die sequenzielle Erzählung. Ihr Werk Oформяне (Moulding) (2018), ein fortlaufendes Stück, das noch unvollendet in der Ausstellung präsentiert wird, verkörpert diesen Entstehungsprozess. Sie zielt auf Abstraktion und auf die Frage, wie sie eine Erzählung schaffen kann, die sich in erster Linie einem Gefühl widmet. Ihren Blick auf den Horizont und das Meer richtend sieht sich eine Frau mit sich selbst konfrontiert. Sie versucht, aus ihrem eigenen Körper „auszusteigen“ und betrachtet ihr Gesicht auf Abstand, ganz so, als wäre es das eines anderen. Ihre Gesten lassen Spannung und Zwang, Selbstdarstellung und Freiheit schließen und erinnern daran, wie aufreibend Andersartigkeit sein kann und wie wir ständig einer Normierung und sozialer Konditionierung ausgesetzt sind.
 
Der Künstler und Komponist Jacob Kirkegaard erforscht ungehörte Klangphänomene und präsentiert den Akt des Zuhörens als ein Mittel, die Welt zu erfahren. Kirkegaard hat mehrere Klangarbeiten geschaffen, die auf otoakustischen Emissionen beruhen. Bei diesen Emissionen handelt es sich um Töne, die vom Ohr selbst erzeugt werden. Die Ohren mancher Menschen geben leise Geräusche vonsich, die mit einem kleinen Mikrofon im Ohr selbst aufgenommen werden können. Diese Ohr-Ton-Kombinationen können komplex und mikrotonal sein. Der Wechsel zwischen dem, was wir hören, und dem, was unsere Ohren ausstrahlen, ruft endlose Kommunikationsmuster hervor und fordert die Art und Weise heraus, wie wir auf die innere und die äußere Welt reagieren. Die Klangarbeit Stereocilia for 7 Ears (2016) wird im Treppenhaus des Goethe-Instituts abgespielt, es ist, als ob die Zuhörer selbst in die Gehörschnecke des Ohres eindringen.

Die Kommunikation zwischen Individuen und die unendlichen Kombinationen, die aus einer Begegnung entstehen können, sind zentrale Elemente des künstlerischen Schaffens von Sophia Grancharova, seien es Installationen, Videos, Textilien, Collagen oder Druckarbeiten. Das Künstlerbuch Points of contact (2016) nimmt den Tanz als Ausgangspunkt, um darzulegen (oder: zu beweisen), dass Andersartigkeit ein Loslassen erfordert. Sie fotografiert Teile des Körpers, die als Kommunikationsplattformen zwischen Tänzer_innen dienen: Schultern, Hüften, Ellbogen. Indem sie auf diese unmerklichen Berührungspunkte zoomt, deutet sie an, wie man sich als Geführte/r dem/r Führenden hingeben muss. Beide Rollen scheinen zwar unterschiedlich zu sein, in Bezug auf Aktion, Anstrengung und Verantwortung sind sie einander jedoch ebenbürtig. Die Zuschauer_innen sind eingeladen, das Buch zu lesen und zu berühren, sogar die fragmentierten Gesten nachzuspielen, die ihnen durch ihre Körper- oder Menschen-Skala aus den Doppelseiten entgegentreten.
 
Die langjährige Beschäftigung mit den von ihr fotografierten Personen ermöglicht es Vesselina Nikolaeva, eine Serie von bemerkenswerter Authentizität zu präsentieren, in der sie den Subjekten ihrer Kunst, in Würde gefeiert, selbst das Wort gibt. In den vergangenen drei Jahren hat sie eine vertrauensvolle Beziehung mit einer Roma-Gemeinschaft in den Außenbezirken von Sofia aufgebaut, ihr tägliches Leben und ihre Familienbünde beobachtet, ihre Häuser besucht und hat die Zerstörung ebendieser Häuser durch öffentliche Eingriffe erlebt. Die Serie The Garden (2015 - fortlaufend), die zwischen Dokumentation und Fiktion balanciert, zeigt liminale Räume der Existenz. Von Einblicken in die Landschaften und Stillleben der Inneneinrichtungen bis hin zu Porträts von mehreren Mitgliedern der Gemeinschaft, sind ihre Fotografien ein respektvoller Einblick in die Intimität der Siedlung. Andersartigkeit bedeutet, zum einen dem Blick des Anderen zu begegnen und zum anderen dem, was es über uns selbst erzählt.     


Die Verurteilung der Ausgrenzungs- und Ausbeutungspolitik ist der Kern der Arbeit und des Engagements von Petja Dimitrova. Sie engagiert sich für Minderheiten, NGOs und Kunstkollektive und verteidigt Bürgerrechte durch ihre Zeichnungen, Comics, Videos und Mixed-Media-Stücke, aber auch durch Workshops, Medienbeiträge oder Bildungsmaßnahmen. Ihre Arbeit spiegelt aktuelle Proteste und Unruhen in einer angespannten europäischen politischen Situation wider, in der das Erstarken von Rechtspopulismus und Rassismus mit neuen Ausschlussmechanismen einhergeht. Plakate aus Dimitrovas Serie Let's collect/ivize progressive actions (2015) und Germany resist it! (2015) beschließen die Ausstellung Änderst Du Mich, Ändere Ich Dich. Sie evozieren kollektive Aktionen, die inklusive und respektvolle Sozialmodelle schaffen wollen.

Stefka Tsaneva