Walter Scheel
Heiterer Brückenbauer, harter Verhandler

Regionalleiterkonferenz mit Walter Scheel und Klaus von Bismarck, 1978, Bonn
Regionalleiterkonferenz mit Walter Scheel und Klaus von Bismarck, 1978, Bonn | © Jupp Darchinger

Als Außenminister prägte Walter Scheel in den 1960er- und 1970er-Jahren die deutsche Ostpolitik und machte die Kulturarbeit zur „dritten Säule“ der Außenpolitik. Am 24. August 2016 ist er im Alter von 97 Jahren gestorben.
 

Weit war der Weg vom ruinierten Nachkriegsgebiet zum heutigen Deutschland. Walter Scheel war einer, der diesen Weg entscheidend mit bestimmt hat. Scheel war Vorsitzender der Freien Demokratischen Partei (FDP), 1969 wurde er Außenminister. Gemeinsam mit Bundeskanzler Willy Brandt hat er einen entscheidenden Kurswechsel in der deutschen Außen- und Ostpolitik durchgesetzt. Als Parteichef der Liberalen war er aber auch mit verantwortlich für tiefgreifende Reformen, die das Land öffneten für Frauenemanzipation, eine liberale Justiz, mehr Bildungsgerechtigkeit und eine bis dahin ungekannte kulturelle Vielfalt. 

So haben er und seine Generation von FDP- und SPD-Politikern das heutige Deutschland geprägt. Anfangs war diese Politik umstritten, ja umkämpft. Heute gehört sie zu dem Teil der Vergangenheit, auf den das Land stolz ist. Denn die bundesdeutsche Außenpolitik hatte drei große Wegmarken: die Westbindung, die Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler vollzog, die Ostverträge mit Polen und der Sowjetunion von Brandt und Scheel und dann das Gelingen der Einheit unter Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Nichts davon wäre ohne das jeweils Vorhergehende möglich gewesen. 

So zivil und offen wie nur wenige in der Politik

Es war nicht selbstverständlich, dass die Bundesrepublik so erfolgreich sein würde, die 1949 als Halbstaat der Westalliierten begann. Sie wurde misstrauisch beäugt und bewacht von den Nachbarn in West und Ost und war scharf getrennt von der sowjetisch bestimmten DDR. Scheel war als Soldat im Zweiten Weltkrieg gewesen. Im Alter von 20 Jahren kam er 1939 zur Wehrmacht und war dann jahrelang an etlichen Fronten eingesetzt, auch gegen die Sowjetunion. Zuletzt diente er als Jagdflieger bei der Luftwaffe, wo die Chance des Überlebens besonders gering war. Ein hoch dekorierter Soldat des Krieges, wirkte er dennoch so zivil und offen wie nur wenige in der deutschen Politik. Scheel brachte eine bis dahin selten gekannte Heiterkeit mit.

Heiter und hart, so war er in der Politik. Der Mann aus Solingen, der nach der Schule eine Banklehre absolviert hatte, kam in der Nachkriegszeit zur FDP. Die war damals die Partei der Selbstständigen und Freigeister, aber auch mancher alter Wehrmachts-Kameradschaften. Scheel setze auf Liberalität – und setzte sich durch. Über sein Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen schaffte er allmählich den Aufstieg in die Bundespolitik. Anfangs noch mit einem Bein in der Geschäftswelt, später als Berufspolitiker im Parlament.

Erste sozialliberale Koalition Deutschlands

Wer annahm, dieser froh wirkende Mann sei ein Leichtgewicht, der unterschätzte ihn. Scheel war verbindlich im Ton und konsequent in der Sache. Das wusste sein Koalitionspartner Willy Brandt von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) zu schätzen. Mit Brandt riskierte Scheel nach der Wahl im September 1969 den Sprung in die erste sozialliberale Koalition Deutschlands aus SPD und FDP. Gemeinsam mit Brandt und dessen Mitarbeiter Egon Bahr gewann Scheel das Vertrauen der damaligen Sowjetführung und konnte in Moskau, Warschau und mit Ost-Berlin Verträge und Vereinbarungen schließen, die auf bessere Nachbarschaft und friedliche Koexistenz setzten. Scheel war einer derjenigen, die Türen öffnen und Gehör finden konnten. Internationale Erfahrungen hatte er zuvor als Minister für die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern gesammelt, Scheel war der erste in diesem Amt.

Die deutsche Außenpolitik bestand für den kunstsinnigen Scheel aber nicht bloß aus Paragraphen. Es gab auch etwas, für das Deutschland – trotz seiner Vergangenheit – in der Welt geachtet und geliebt wurde: seine Kultur und Sprache. Wer einen Eindruck bekommen möchte, wie intensiv Scheel selbst las und dachte, der kann in der Berliner FDP-Zentrale seine Bibliothek bestaunen, die dort aufbewahrt wird. Kultureller Austausch wurde mit Scheel integraler Bestandteil deutscher Außenpolitik, und ist es bis heute, auch in Form der Goethe-Institute weltweit.
 
Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, zum Tod Walter Scheels:

„Walter Scheel war als Außenminister ein Reformer und Modernisierer. Für das Goethe-Institut schuf er erstmals in Form eines Rahmenvertrages mit dem Auswärtigen Amt die Grundlagen für eine gesicherte Zukunft als unabhängiger Kulturmittler. Die Struktur gilt noch immer. Mit einem erweiterten Kulturbegriff, der den ästhetisch-akademischen Rahmen sprengte, öffnete er für das Institut die Möglichkeit, gesellschaftspolitisch kritische Themen aufzugreifen, und mit dem dialogischen Prinzip des Kulturaustausches nahm er den modernen Begriff der ‚Lerngemeinschaft‘ vorweg. Unsere weltweite Präsenz mit 160 Goethe-Instituten führt dieses partizipatorische Grundmuster des Wegbereiters Walter Scheel bewusst fort.“

Er repräsentierte ein neues, verändertes Deutschland

In Scheels Amtszeit als Außenminister wurde die Kulturarbeit im Ausland als „dritte Säule“ der deutschen Außenpolitik definiert. Scheel wechselte 1974 in das Amt des Bundespräsidenten. Damals spielte er auch ein Lied auf Schallplatte ein, das zum Hit wurde: „Hoch auf dem Gelben Wagen“. Viele verbinden es bis heute mit ihm. Das ist zwar nicht sehr politisch, hat ihm aber einen Platz in den Herzen auch derer bewahrt, die mit Politik wenig anfangen können.

Mit seiner Familie und seiner freundlichen Art repräsentierte der Bundespräsident Scheel ein neues, verändertes Deutschland. Seine damalige Frau, Mildred Scheel, gründete eine Stiftung zur Krebsbekämpfung, die bis heute wertvolle Arbeit leistet. Als Scheel 1979 aus dem Amt schied, war er mit damals erst 59 Jahren ein Präsident im Ruhestand. Diese Position zwingt in Deutschland zu großer Zurückhaltung – politisch, aber auch beruflich. Für einen so aktiven, durch und durch politischen Mann wie Walter Scheel ist das gewiss eine schwere Prüfung gewesen. Er hat sie gemeistert – heiter, elegant, nur manchmal durch einen Zwischenruf die Angelegenheiten seiner FDP oder des Gemeinwesens kommentierend. Am 24. August 2016 ist er nach langer Krankheit im Alter von 97 Jahren gestorben.