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Die Manns in Übersetzung
Heinrich und Thomas Mann in tschechischen Übersetzungen

Prag, Hradschin und Karlsbrücke
Prag, Hradschin und Karlsbrücke | Foto: #1914, Colourbox

Als im benachbarten Deutschland der Hitlerfaschismus die Macht ergriff, setzte ein massenweiser Exitus von Künstlern ins Exil ein.

Von Milan Tvrdík

Ein wichtiges Land, wo viele deutsche Künstler und Schriftsteller Exil suchten, war die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. Eine spezifische Form der Hilfeleistung war die Verleihung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft, wie es im Falle der Familien Heinrich und Thomas Manns geschah. Die Rezeption des Werks der beiden Autoren entwickelte sich im tschechischen Kontext jedoch unterschiedlich. 

Heinrich Mann in tschechischer Übersetzung

Heinrich Mann (1871-1950) wurde nach einer kurzen frühen Phase der Bewunderung für neoromantische Kapitalismuskritik im Geiste von Nietzsches „Kulturkritik“  zum Bekenner sozialer Gerechtigkeit, der Umsetzung des Gedankens in die Tat. So wurden ihm die mehrfachen revolutionären Versuche, in Frankreich eine neuen Gesellschaft zu errichten und damit auch eine neue Kunst zu begründen, zum Vorbild und er arbeitete unermüdlich daran, das französische Gedankengut als Vorbild modernen Lebens in die deutsche Kultur zu transferieren. Er war ein scharfer Kritiker der Verhältnisse besonders im deutschen Kaiserreich (genannt seien seine freie Kaiserreich-Trilogie mit dem berühmten Roman Der Untertan (1912) oder der Roman Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen ersch.1905) und Gegner des aufkommenden Nationalismus und Chauvinismus, denen er Lektionen in französischer Demokratie als Lösung entgegenzusetzen versuchte.
 
Eine intime familiäre Beziehung zum tschechischen Umfeld hatte er bereits ab 1914 (seine Frau war Tschechin), sein Werk wurde seit 1900 übersetzt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs waren dies die Novellen (drei Bände mit frühen Novellen erschienen 1900, 1906 und 1915) und zwei Übersetzungen des Romans Im Schlaraffenland  (1900): im Jahr 1909 (V zemi hojnosti) und dann 1912 (V zemi blahobytu). Heutzutage erscheint der Roman gewöhnlich unter dem Titel V zemi hojnosti in der Übersetzung Valter Feldsteins (erstmals 1954). Nach Böhmen kam Heinrich Mann erstmals 1916 mit seinem berühmten Essay über Zola, später erst wieder 1924  als das Theater in den Weinbergen sein in der Französischen Revolutions spielendes Stück Madame Legros (1913) in der Übersetzung Jan Löwenbachs einstudierte. Bei dieser Gelegenheit wurde er in Lány von Präsident Masaryk empfangen.
 
In den Zwanziger Jahren erschienen in schneller Folge seine epischen Werke: 1925 die freie Romantrilogie Das Kaiserreich mit den Bänden Poddaný - Der Untertan (1912, erschienen erst 1918), Chudáci - Die Armen (1917) und Hlava - Der Kopf (1925) in der Übersetzung František Bicks, 1930 erstmals der berühmte Roman Professor Unrat (Profesor Neřád) in der Übersetzung Pavel/Paul Eisners. In dieser Zeit erschienen in der Tschechoslowakischen Republik auch zahlreiche Essays Heinrich Mans zu politischen Themen, und zwar sowohl in der tschechischen (Tribuna, Přítomnost) als auch in der lokalen deutschen Presse (Prager Tagblatt, Die Wahrheit). Nach der Einbürgerung als tschechoslowakischer Staatsbürger besuchte er das Land nur noch einmal 1934 mit Vorträgen über Freiheit und Demokratie, die große Erfolge feierten. Sein umfangreiches, gegen Hitler gerichtetes essayistisches Schaffen, das sowohl in der tschechischen Presse (Index, Lidové noviny, Národní osvobození, Tvorba, Rudé právo u.a.), als auch in der inländischen deutschen Presse (Prager Presse, Prager Tagblatt, Der Sozialdemokrat, Die Wahrheit) und in der deutschen Exilpresse (Der Gegen-Angriff, Neue deutsche Blätter, Die neue Weltbühne, Europäische Hefte) publiziert wurde, stieß auf beachtliche Resonanz. 1937 erschien in Olomouc eine Auswahl aus seinen Essays unter dem Titel Přijde den (Der Tag wird kommen) in der Übersetzung Bedřich Václaveks und Jiří Taufers mit einem Vorwort von Marie Pujmanová und 1938 der erste Teil des Romans über Henri IV. Mládí krále Jindřicha Čtvrtého - Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935) in der Übersetzung von Josef Falta. Nach dem Krieg erschienen Manns wesentliche Werke in weiteren Ausgaben und neuen Übersetzungen Poddaný – Der Untertan  (zuletzt 1987), Profesor Neřád – Professor Unrat  (zuletzt 1964) und vor allem der zweiteilige Roman Mládí (Zrání) krále Jindřicha Čtvrtého – Die Jugend (Die Vollendung) des Königs Henri Quatre (zuletzt 1999 und 2000). In der Bibliothek der Klassiker des Staatlichen Verlags für schöne Literatur, Musik und Kunst (Státní nakladatelství krásné literatury, hudby a umění, SNKLHU, später Odeon) erschienen die Spisy Heinricha Manna – Schriften Heinrich Manns in fünf Bänden (1954-1960).

Die tschechische Rezeption Thomas Manns

Thomas Mann (1875-1955) widmete sich in seinen Werken in unterschiedlichsten Formen der „verschwindenden Welt des humanistischen Bürgertums“. Diese fasste er künstlerisch in der Tradition der deutschen Klassik, Romantik, vor allem aber des philosophischen Denkens, des Interesses an Mythologie und Kunst des 19. Jahrhunderts (Schopenhauer, Nietzsche, Wagner), versenkte sich unter Verwendung der neuesten psychologischen Methoden (Freud) tief in die Psyche seiner Helden und gab eine merkliche Prise ironisch-parodistischer Kritik hinzu. Indem er das Außergewöhnliche deutschen Geistes betonte, der sich in der Vollendung der Philosophie und der Musik zeige, geriet er während des ersten Weltkriegs in einen Konflikt mit seinem politisch aktiven Bruder, der erst Jahre später beigelegt werden konnte. Der literarisch bedeutendere Thomas erhielt 1929 den Nobelpreis für Literatur und wurde zu einem der weltweit bekanntesten deutschen Autoren. Seine ursprünglich vorsichtige Haltung dem Faschismus gegenüber brachte ihm in den ersten Jahren der Hitler-Diktatur ablehnende und kritische Positionen europäischer, selbstverständlich auch tschechischer Künstler ein.
 
An das tschechische Umfeld band ihn zunächst kein auffälliges Interesse, er war jedoch ab 1905 im Rahmen von Autorenlesungen oder Vortragsreisen mit aufklärerischem Inhalt mehrfach in Prag oder Brünn. Sein wichtigster Besuch war wahrscheinlich derjenige aus Anlass der Goethefeierlichkeiten 1932, als er eine Vorlesung über den Dichter hielt und sich mit Vertretern des PEN-Klubs traf, u.a. mit Karel Čapek und Max Brod. Anders als Heinrich, der die Republik nur noch 1934 besuchte und im kulturellen Kontext vor allen durch seine zahlreichen essayistischen Publikationen, Artikel und Aufrufe in der tschechischen und deutschen Presse präsent war, kam Thomas Mann noch mehrfach im Rahmen von Vortrags-Reisen und Autorenlesungen (1937 holte er sich sogar persönlich die Heimat-Urkunde in Proseč ab). Mit tschechischen Literaten und Wissenschaftlern verbanden ihn persönliche Freundschaften, er korrespondierte mit Karel Čapek (1935-1938) und verfolgte dessen Schaffen in deutscher Übersetzung, ähnlich kannte er auch den Dramatiker František Langer, der in Deutschland bis 1933 en vogue war, und den Germanisten Otokar Fischer. 1937 lieh er dem Prager Unterstützerfonds für deutsche Exilschriftsteller seinen Namen.
 
Thomas Manns Werk wurde häufiger übersetzt als dasjenige Heinrichs – zuerst 1910 durch die Übersetzung des Romans Königliche Hoheit (1902, Královská výsost) und 1913 des Romans Buddenbrooks (1901,Buddenbrookovi) der bis heute in verschiedenen Übersetzungen in elf Ausgaben erschienen ist. Riesiges übersetzerisches Interesse rief die Erteilung des Nobelpreises 1929 hervor. In schneller Folge erschienen 1930 die Übersetzung Kouzelný vrch des Romans Der Zauberberg (1924) aus der Feder von Jitka Fučíková, im Jahre 1936 in der Übersetzung von Pavel Levit und Jan Zahradníček (zuletzt wurde er 2016 unter dem neuen Titel Čarovná hora von Vratislav Slezák neu übersetzt) und mehrere Bände mit Novellen-Zusammenstellungen, z.B. Malý pan Friedemann (Der kleine Herr Friedemann, 1930) oder Mario a kouzelník a jiné novely (Mario und der Zauberer und andere Novellen, 1932). Ein verlegerische Großtat war in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die Herausgabe der ersten drei Bände (1934-1937) der außerordentlichen Tetralogie Joseph und seine Brüder (1933-1943) in der Übersetzung von Ivan Olbracht und Helena Malířová unter dem Titel Josef a bratří jeho. Den vierten umfangreichen Band  Joseph, der Ernährer (1943, Josef Živitel) übersetzte Pavel/Paul Eisner 1951.
 
In der Nachkriegszeit herrschte hinsichtlich der Übersetzung der Werke Thomas Manns äußerst rege Aktivität, und diese dauert – anders, als es bei Heinrich Mann der Fall ist – bis heute an. Schon vor dem Krieg konnte im Melantrich Verlag eine Gesamtausgabe  Spisy Thomase Manna erscheinen (sechs der ursprünglich geplanten dreizehn Bände  konnten verwirklicht werden). Nach dem Krieg übernahm der Verlag SNKLHU (später Odeon) die Herausgabe seiner Schriften und gab in der Knihovna klasiků (Bibliothek der Klassiker) in den Jahren 1958-1987 zwölf Bände heraus (2. – 13.; Band 1 wurde nicht realisiert). In den letzten Jahrzehnten waren u.a. Anna Siebenscheinová, Vratislav Slezák und Hanuš Karlach (Doktor Faustus, 2016, in revidierter Ausgabe) mit Übersetzungen von Werken Thomas Manns beschäftigt. Das Werk dieses großen deutschen Klassikers ist dem tschechischen Leser also in zeitgenössischer Sprache zugänglich.

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