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Nachhaltigkeit
Wie tief ist sie gefallen, die Lebensmittelqualität?

Qual der Wahl: Unsicherheit in den Supermärkten
Qual der Wahl: Unsicherheit in den Supermärkten | © Colourbox

Die Erzählung von den bösen internationalen Konzernen, die für die Ostmärkte Lebensmittel von schlechterer Qualität herstellen, und von den guten, soliden einheimischen Lebensmittelherstellern ist zum größten Teil ein Mythos. Die Lebensmittel mit der schlechtesten Qualität, die für den tschechischen Markt bestimmt sind, werden in Tschechien selbst produziert.  

Von Petra Pospěchová

Die Geschichte kommt gut an und wird wahrscheinlich auch deshalb so oft wiederholt: Internationale Lebensmittelkonzerne liefern an die armen Tschechen und an andere mitteleuropäische Völker Waren von schlechterer Qualität als an deren westliche Nachbarn. Dazu müssen sie sich zwar zweierlei Rezepturen ausdenken, aber allein dafür, um die Bevölkerung der ehemaligen Ostblockstaaten ein bisschen unterdrücken zu können, nehmen das die Lebensmitteltechnologen gern in Kauf.
 
Die Realität ist nicht ganz so schwarz-weiß: Wenn der Kunde durch die Regale der Supermärkte in Tschechien geht und schaut, welche Würstchen den höchsten Anteil von Separatorenfleisch enthalten, welche Marmelade das wenigste Obst enthält und in welchem Saft nur zwei Prozent Obstanteile drinnen sind, dann stellt er fest, dass das in der Mehrheit Produkte tschechischer, slowakischer oder polnischer Herkunft sind. Das Problem liegt nämlich in Wirklichkeit gar nicht darin, dass es angeblich bei Lebensmitteln auf den mittel- und westeuropäischen Märkten zweierlei Qualität gäbe – ein Thema, das mehrfach auch auf dem Boden der Europäischen Kommission angesprochen wurde –, sondern das tatsächliche Problem besteht darin, wie tief die Untergrenze liegt, die im Rahmen der Lebensmittelqualität in dem jeweiligen Land akzeptiert wird, mit anderen Worten: Wie schlecht darf die Qualität von Lebensmitteln sein, dass sich die Hersteller erlauben, diese auf einem bestimmten Markt, in einem bestimmten Land noch zu verkaufen?  

Himbeer-Snack ohne Himbeeren

Ein aussagekräftiges Beispiel hierfür ist der Frucht-Gelee-Snack für Kinder „Fruit Jelly Raspberry“ des südmährischen Herstellers Liney Nivnice. Entgegen seinem Namen enthält der Frucht-Gelee keine Himbeeren, sondern nur Apfelsaftkonzentrat, künstliches Himbeeraroma, Wasser, Zucker und Emulgatoren. Vom selben Hersteller kommt auch das Produkt mit dem Namen „Hello ovocná přesnídávka s broskvemi“ (Hello Obst-Snack mit Pfirsich), das sich aus Apfelmark, ein wenig Pfirsichmark und aus Zucker und Wasser zusammensetzt. Dass der größte Anteil des Fruchtgehalts aus billigen Äpfeln gebildet wird und diese Tatsache nicht direkt deutlich sichtbar angegeben ist, ist dabei wohl das kleinere  Übel. Das viel schlimmere Übel ist der Zucker, der sich in einem Produkt befindet, das für Kinder ab fünf Monate bestimmt ist.  
 
Im Gegensatz dazu besteht das (in Tschechien angebotene) Birnen-Mus der deutschen Marke Alnatura tatsächlich aus Birnen. Ja, und damit ist die Liste der Zutaten auch schon zu Ende. Und wenn von derselben Marke hier auf dem tschechischen Markt ein Obst-Mus angeboten wird, in dem Äpfel und Bananen drinnen sind, wird das für den Kunden auch klar und deutlich als „Apfelmus mit Bananen“ gekennzeichnet. Zusätzlicher Zucker und Emulgatoren sind nicht enthalten.  
 
Ähnlich wie mit der Baby- und Kindernahrung verhält es sich auch mit anderen Lebensmitteln. Zu den „Rückfalltätern“ auf dem tschechischen Markt, was den geringen Anteil der gewünschten Zutaten angeht, gehört zum Beispiel die Firma Hamé, die sich gern als „der führende tschechische Lebensmittelhersteller“ präsentiert. Im negativen Sinne bekannt ist aus dem Sortiment der Firma ihre Marmelade namens „Jahůdka“ (Erdbeere), die nur zu 15 Prozent aus Erdbeeren besteht. Den Rest der Fruchtzutaten   bilden billige Äpfel und schwarze Karotte zur Farbgebung. Der Kunde, der sich darauf verlässt, dass der Hersteller solide ist, und ein Glas dieser Marmelade mit dem Bild reifer Erdbeeren und der dominierenden Aufschrift „Jahoda“ (Erdbeere) auf dem Etikett kauft, wird enttäuscht sein, und das vor allem auch dann, wenn er sich auf die angekündigte „einzigartige Harmonie von Geschmack und Duft sonnengereifter Früchte“ freut.  
 
Ähnlich unlautere Vorgehensweisen sind weder auf dem deutschen noch auf dem österreichischen Markt anzutreffen, und auch nicht bei Waren, die aus diesen Ländern nach Tschechien exportiert werden. Die sogenannte. „Untergrenze“ für Lebensmittelhersteller aus Westeuropa liegt bei Erdbeeren um die vierzig Prozent, und Äpfel kommen hier als Zutaten gar nicht in Frage. Die traurige Bilanz im Vergleich der Lebensmittelqualität wird durch die Tatsache abgerundet, dass die Preise der Produkte ziemlich ähnlich sind.
Wie schlecht darf die Qualität von Lebensmitteln sein, dass sich die Hersteller erlauben, diese auf einem bestimmten Markt, in einem bestimmten Land noch zu verkaufen?  Wie schlecht darf die Qualität von Lebensmitteln sein, dass sich die Hersteller erlauben, diese auf einem bestimmten Markt, in einem bestimmten Land noch zu verkaufen? | © Colourbox

Delikatessbutter .... aus Palmenfett

Zu den Lebensmitteln, deren Qualität relativ leicht vergleichbar ist, gehören Fleisch- und Wurstwaren. Wer an die Qualitätsuntergrenze in Tschechien geht, findet dort zum Beispiel Würstchen mit der Bezeichnung „Javořické párky Klasik“ (Jaborschützberger Würstchen Klassik), die in der Firma Kostelecké uzeniny (Wurstwaren aus Kostelec) hergestellt werden und nur fünf Prozent Fleisch enthalten. Die restlichen Zutaten sind Separatorenfleisch, Schweineschwarte, Kartoffelstärke und ähnliche billige Inhaltsstoffe.  
 
Solche Ingredienzien sind in Würstchen auf dem deutschen Markt nicht anzutreffen, und auch in deutschen Erzeugnissen, die bei uns verkauft werden, sind sie nicht enthalten. Selbst die billigsten deutschen Würstchen, die in Supermärkten in Tschechien verkauft werden, enthalten 70 bis 80 Prozent Fleisch. Schwarte, Separatorenfleisch und andere Abfallstoffe sind gar nicht enthalten. Diese werden nämlich in Deutschland oder auch in Österreich zur Herstellung von Konservenfutter für Haustiere verwendet.  
 
Ein weiteres Phänomen, das von einheimischen Herstellern angewendet wird, sind verschiedenste Tricks, die dazu führen, dass der Kunde minderwertige Waren mit hochwertigeren Waren verwechseln kann. Zum Beispiel bei Butter findet man oft die Ausschrift „Lahodné“ (Delikatessbutter) und „82 %“. Das Fett, das von der Prager Firma Milkpol hergestellt wird, evoziert mit dieser Zahl – denn 82 % ist der häufigste und unter den Verbrauchern am meisten bekannte Anteil von in Butter enthaltenem Milchfett – und anderen äußerlichen Merkmalen Butter. Nur eben mit dem Unterschied, dass der Hersteller diesem Fett zu 73 % Palmfett zufügt, das hießt also einen um ein Vielfaches billigeren Ersatzstoff. Bei unseren westlichen Nachbarn käme niemand auf die Idee, an den Kunden ähnliche Tricks auszuprobieren.  

Gütesiegel KORNÄHRE führt in die Irre

Es hat den Anschein, dass die tschechischen Lebensmittelhersteller schamlos ausnutzen, dass die tschechischen Verbraucher die Begriffe „tschechisches Erzeugnis“ und  „gute Qualität“ automatisch miteinander verbinden. Auch der Staat hat in dieser Hinsicht nicht viel dazu beigetragen, um die Situation zu verbessern. Das Qualitätskennzeichen der Kornähre (Klasa) sollte als eine Art Gütesiegel vom Staatlichen Landwirtschafts- und Interventionsfonds nur den „solidesten und hochwertigsten Produkten“ verliehen werden. Es sollte „den Kunden eine Hilfe sein, sich im Lebensmittelangebot zu orientieren, und die Hersteller bei der Werbung für ihre Produkte unterstützen.“
 
Es bleibt demnach ein Rätsel, warum dieses Qualitätskennzeichen zum Beispiel dem Pfirsich-Gelee ohne Pfirsich, dafür aber mit Zucker – das heißt einer Ingredienz, die für Babys im Alter von fünf Monaten absolut ungeeignet ist –, und noch dazu mit einer Bezeichnung, die den Kunden irreführt, erteilt wurde. Mit dem Gütesiegel der Kornähre wurden ebenfalls Geflügelwiener aus Vodňany, die Geflügelhaut, Stärke, Raucharoma und Karottenextrakt enthalten, bedacht. Sieht so also „tschechische Qualität“ aus?
 
Sofern die Gesundheit der Verbraucher nicht geschädigt wird, überlässt die Europäische Union die Verantwortung für die Lebensmittelqualität den Mitgliedstaaten. Und die Mitgliedstaaten wälzen diese Last wiederum auf die Hersteller bzw. auf die Verbraucher ab. Häufig kommen die Hersteller mit Argumenten daher, wie „Wenn die Produkte nicht gekauft würden, würden wir sie ja gar nicht herstellen“ oder „Die Tschechen haben einen spezifischen Geschmack“, und schieben damit die Schuld für die miserable Qualität ihrer Erzeugnisse direkt den Verbrauchern in die Schuhe.
 
Von Seiten des Staates und der Hersteller handelt es sich um eine bequeme Alibiausrede. Und wenn es ganz schlimm kommt und sich jemand mit Lebensmitteln, denen billige Ersatzstoffe zugefügt werden, zu beschäftigen beginnt, dann wird das alte Märchen von zweierlei Qualität der Lebensmittel hervorgeholt. Mit diesem marginalen Thema wird in den Medien oft eine andere, wesentlich wichtigere Debatte bemäntelt, nämlich die Debatte darüber, wo die Qualitätsuntergrenze für Lebensmittel in Tschechien liegt bzw. wie tief sie gefallen ist. Denn selbst die größten Gegner jeglicher Regulierung würden wahrscheinlich nichts dagegen haben, wenn sie in einem Glas mit der Aufschrift „Jahoda“ (Erdbeere) vor allem Erdbeermarmelade vorfinden würden, wenn in Wiener Würstchen mehr als zehn Prozent Fleisch enthalten wären und wenn Schweineschwarte und Separatorenfleisch nicht zu menschlichen Nahrungsmitteln, sondern zu Hundefutter verarbeitet würden.  
Marmelade Marmelade | © Colourbox

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