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Kunst
Eine Wooden Cloud für Prag

Martin Steinert (Ausschnitt)
Martin Steinert | © André Mailänder

Drei Wochen lang baute Martin Steinert (*1959) am Smetana-Kai aus unzähligen Holzlatten ein Schiff. Die Prager Passanten konnten ihm dabei zusehen und die Skulptur mit ihren Wünschen beschriften. So wurde Prag zum sechsten Standort der Wooden-Cloud-Reihe des gebürtigen Saarländers, der als „Artist in Residence“ des Goethe-Instituts Prag am Sculpture-Line-Festival 2020 teilnimmt.

Von Lucie Drahoňovská

Auch hier in Prag füllte sich Ihre Holzskulptur bereits beim Aufbau rasch mit persönlichen Botschaften. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
 
Die Idee ist mir bei meiner Arbeit im öffentlichen Raum in Österreich gekommen, als ich in der Johanniterkirche in Feldkirch eine große Installation gebaut habe. Ich habe erlebt, wie emotional die Leute an meiner Arbeit Anteil nehmen. Daraus ist der Gedanke entstanden, die Menschen ganz gezielt miteinzubeziehen, indem sie ihre Ängste und Hoffnungen mitteilen und sie auf die Holzlatten schreiben.
 
Welche Botschaften lasen sie dort am häufigsten?
 
Es hat sich meine ursprüngliche Behauptung bestätigt, als wir zum ersten Mal in der Öffentlichkeit über den Gedanken von Wooden Clouds, „die Architektur der Wünsche“, diskutierten: Dass die menschlichen Wünsche, egal, wohin man auch kommt, immer die gleichen sind. Anders gesagt: Sie haben eine große gemeinsame Schnittfläche. Das hat sich bewahrheitet, als wir mit Wooden Clouds in Saarbrücken, St. Petersburg oder in Paris waren. Oder das letzte Jahr an einem ganz speziellen Standort, in Ramallah. Es gibt tatsächlich eine große Menge an gleichen essentiellen Wünschen, wie Gesundheit, Frieden, Liebe, oder dass die Kinder glücklich werden.
 
Lange Zeit arbeiteten Sie mit Stein, bis Sie zu Holzlatten aus Fichte und Tanne wechselten. Warum?
 
Der Wechsel von Sandstein, Granit oder Marmor zu den profanen Holzlatten ist bei mir ganz bewusst geschehen, da man damit sehr leicht monumental arbeiten kann. Außerdem spielen beim Stein ein logistisches Problem, ein Transportproblem und der Kostenfaktor eine Rolle. Holz kostet dagegen nicht viel und erlaubt jedem Auftraggeber, wie den Kommunen, wo ich oft meine Arbeit an öffentlichen Plätzen baue, so etwas zu finanzieren. Ein weiterer Vorteil von Holz ist es, dass aus dem Nichts ein geschlossener Raum, oder, wie ich es nenne, eine Rauminstallation entsteht, die begehbar ist. Dazu hat es auch wirklich angeregt. Und da man mit  profanem Holz arbeitet, liegt es einfach in der Natur der Sache, dass es vergänglich ist und im Laufe der Zeit verwildert, dass diese Arbeit immer temporär ist.
 
Nun präsentieren Sie eine Ihrer temporären Skulpturen auch in Prag. War das ein Zufall?
 
Nicht ganz. Denn während sich die anderen fünf Orte zufällig ergeben haben, entschied ich mich für Prag bereits bewusst vor eineinhalb Jahren. Es ist eine wunderbare Stadt mit einer schönen Atmosphäre. Ich habe Kontakt zum Goethe-Institut aufgenommen und den Lieblingsstandort für meine Skulptur gefunden. Es war die in Moldau langgezogene Schützeninsel, wo es sich ganz natürlich angeboten hat, der Skulptur die Form eines Schiffes zu verleihen. Denn obwohl es um einen Teil der Cloud-Projektreihe geht, muss es nicht immer eine Wolke sein. Denn die Wolke ist ein pauschaler, allgemeiner Überbegriff für diesen Teil meiner Arbeit, wobei sie, auf das Temporäre bezogen, mit der Zeit wieder verschwindet und sie wieder woanders hinzieht. Die Wolke lässt sich treiben, und deswegen hat sie auch eine solche Form.
 
Schließlich hat Ihre Schiff-Wolke ihre Anlegestelle auf dem Smetana-Kai bekommen. Sind Sie damit zufrieden?
 
Für die Aufstellung der Installation am ursprünglichen Standort bekam man keine Erlaubnis. Doch nun steht sie mitten auf der Straße und dennoch am Rand der Moldau, und es ist trotzdem ein Boot geblieben. Das hat auch seinen Reiz. Die Passanten haben zum Werk einen direkteren Zugang, sie halten sich auf und sie können die Skulptur aus der Nähe betrachten. Und darüber bin ich sehr froh. Es ist für meine Arbeit ganz interessant, die Installation mal in ein ganz urbanes Umfeld zu setzen. Es ist natürlich nicht immer leicht, wenn man arbeitet, wo es ständig lärmt, und wo man stets auf die Straßenbahnen aufpassen muss. Doch bot der Standort wiederum schnelle Kontakte zu den Vorbeigehenden, wobei die Reaktionen zu 95 Prozent positiv waren. Es gab aber auch schon einige Auseinandersetzungen, einen Meinungsaustausch, das gehört einfach dazu, wenn man ein bisschen wie ein Störfaktor wahrgenommen wird.
 
Oder, wie Sie sagen, wenn die Skulptur zur Projektionsfläche für soziale Probleme wird?
 
Ganz genau. Es stellt sich heraus, dass es ganz spezifische Probleme gibt, mit denen sich die Menschen angeregt von und an meiner Skulptur auseinandersetzen. Das war in Berlin besonders interessant, als wir am Richardplatz fünf Wochen lang an einer Installation gearbeitet haben. Zu diesem Zeitpunkt war Neukölln ein Hotspot der Gentrifizierung. Wir haben miterlebt, wie sich die alten Anwohner von den jungen Bewohnern, die aus der Innenstadt kommen, gute Jobs haben, und die dort trotzdem nicht wohnen wollen, vertrieben fühlen. Für diese Auseinandersetzung hat sich das ganze Gebiet um den Richardplatz ganz gut geeignet, weil es einen bisschen dörflichen Charakter hat, so dass dieser Streit auch an und auf meiner Skulptur ausgetragen worden ist.
 
Bietet Ihnen daher die Arbeit an den Installationen in den Kirchen eine willkommene Abwechslung?
 
Es stimmt, dass ich bereits in mehreren Kirchen gearbeitet habe, doch das hat sich ganz zufällig ergeben und es hat für mich keinen religiösen Hintergrund. Es waren jedoch Orte, die bereits zu Kulturzentren umgebaut wurden. Doch die Sakralbauten stellen sehr schöne, ruhige und inspirierende Plätze dar, an denen ich immer wieder gerne arbeite.
 
Wohin wird Ihre nächste Holzwolke ziehen?
 
Die Wooden Cloud geht noch im Oktober in die albanische Hauptstadt Tirana, so dass es nun das erste Jahr ist, in dem ich gleich zwei Clouds baue. Sonst habe ich für dieses Jahr noch drei andere große Aufträge geplant, die leider wegen der Corona-Epidemie auf das nächste Jahr verschoben werden mussten. Es sollen große Installationen im öffentlichen Raum in Augsburg, Marktbreit bei Würzburg und im Biosphärenreservat Bliesgau im Saarland entstehen. Sie werden jedoch nicht wie hier in Prag nur für einige Wochen oder Monate errichtet, sondern gleich für mehrere Jahre.


So wie bei allen Installationen entsteht auch in Prag eine Publikation, die die Entstehung der Installation dokumentiert. Das Buch des Fotografen André Mailänder fängt nicht nur die Eindrücke aus der tschechischen Metropole auf, sondern dokumentiert die gesamte Wooden Clouds-Reihe an den jeweiligen Orten. 
  • Bau der Wooden Cloud in Prag © André Mailänder
    Bau der Wooden Cloud in Prag
  • Modell der Installation für Prag © André Mailänder
    Modell der Installation für Prag
  • Martin Steinert installiert die Wooden Cloud © André Mailänder
    Martin Steinert installiert die Wooden Cloud
  • Martin Steinert installiert die Wooden Cloud © André Mailänder
    Martin Steinert installiert die Wooden Cloud

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