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Übersetzungen
Die Sockenfresser sind da

Ein Mädchen mit dem Buch
© Pixabay.com

Spätestens seit Josef Ladas Kater Mikesch in der Nacherzählung von Otfried Preußler (1962) ist die tschechische Kinderliteratur im deutschsprachigen Raum angekommen. Nach einer Zeit des intensiven Kontakts zwischen den deutschsprachigen und tschechischen Kinderliteraturen brach nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Verbindung zwischen ihnen weitgehend ab. Seit 2010 gelangen wieder mehr tschechische Bilder- und Kinderbücher sowie Comics auf die Buchmärkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dabei bringen sie neue Kinderbuchhelden wie die Sockenfresser oder Tippo und Fleck mit und bereichern die deutschsprachige Kinderliteraturszene durch ungewöhnliche Kindersach- und Sachbilderbücher.
 

Von Dr. Katja Wiebe

Für die tschechische Kinderliteratur und ihre Präsenz im deutschsprachigen Raum bedeuteten die 1970er-Jahren eine Hochphase: Zwischen 1969 und 1979 war in nahezu jedem Jahr mindestens ein tschechisches Kinder- oder Jugendbuch auf der Auswahlliste zum Deutschen Jugendbuchpreis zu finden. Der tschechische Kinder- und Jugendbuchautor Jan Procházka war allein sechsmal in der Liste vertreten. In den 1980er-Jahren bestand mit den Kinder- und Jugendbüchern von Iva Procházková der ausgeprägte Kontakt zwischen den tschechischen und der deutschsprachigen Kinderliteraturen fort. Auch nach dem Ende des Eisernen Vorhangs und großen gesellschaftlichen und kulturpolitischen Umbrüchen für den tschechischen Buchmarkt gelangten immer weniger neue kinderliterarische Titel aus Tschechien auf den deutschsprachigen Buchmarkt. Im unabhängigen Tschechien geriet die originalsprachliche Kinderliteratur ins Hintertreffen zugunsten von Übersetzungen aus anderen Sprachen und in der Konsequenz auch aus dem deutschsprachigen Blickfeld.
 

Klassiker und Kontinuitäten – die tschechische Kinderliteratur im deutschsprachigen Raum zwischen 2000 und 2010

Während sich in Tschechien seit der Jahrtausendwende eine neue tschechische Kinder- und Jugendliteratur zu formieren begann mit einer jüngeren Autor/innengeneration und einem neuen kinderliterarischen Themen- sowie Genrespektrum, blieben dem deutschsprachigen Publikum vieles dieser Entwicklungen verborgen: Es wurde wenig übersetzt. Nach wie vor erschienen tschechische Kinder- und Bilderbuchklassiker, die sowohl in im westlichen deutschsprachigen Raum als auch in der DDR beliebt waren, wie Zdeněk Milers Der kleine Maulwurf, Ondřej Sekoras Ferdinand, Josef Kolárs Kater Schnurr mit den blauen Augen oder Eduard Petiškas Birliban. Daneben wurden auch Ota Hofmans Kinderbücher zu den TV-Kinderserien der 1970er- und 1980er-Jahre immer wieder aufgelegt (Pan Tau, Luzie). Neuerscheinungen aus Tschechien waren für deutschsprachige Leser/innen rar und beschränkten sich weitgehend auf Werke etablierter Autor/innen und Illustrator/innen wie Iva Procházková.
 
Mit Jugendromanen wie Die Nackten (2008) oder Orangentage (2012), die in den 2000er-Jahren meist parallel auf Tschechisch und Deutsch erscheinen, blieb eine Bindung zwischen tschechischer und deutschsprachiger Kinderliteraturszene erhalten. Auch die Bilderbücher der Illustratorin Květa Pacovská, die sich nach 2000 besonders den Märchen der Brüder Grimm und Hans Christian Andersen widmete, wurden zusammen mit den denjenigen des Illustrators Petr Sís zu Repräsentanten tschechischer Kinderliteratur im deutschsprachigen Raum. Wenngleich Sís bereits 1984 in die USA emigriert war, setzen sich einige seiner Bilderbücher mit dem Leben in der Tschechoslowakei auseinander (Die Mauer. Wie es war, hinter dem Eisernen Vorhang aufzuwachsen, 2007).
 
Für deutschsprachige Leser/innen boten auch die Veröffentlichungen des historischen Prager Tagebuchs von Petr Ginz (hrsg. Chava Pressburger, 2006) und die Comics um Alois Nebel (2008) von Jaroslav Rudiš und Jaromír 99 eindrücklich Einblick in die Vergangenheit, zumal die gemeinsame: Während das Prager Tagebuch die Aufzeichnungen des 14-jährigen Petr Ginz aus dem Ghetto Theresienstadt zwischen 1941 und 1942 dokumentiert, befasst sich Alois Nebel in Rückblenden mit der Vertreibung der Deutschen und der sowjetischen Besatzung des Sudetenlandes während des Zweiten Weltkriegs.
 

Ahoj – neue Kinderbücher voraus! Tschechische Kinderliteratur im deutschsprachigen Raum seit 2010

Als eines der wenigen Beispiele der „neuen“ Kinderliteratur aus Tschechien, die bereits 2002 im deutschsprachigen Raum erschien, gilt die märchenhafte Bilderbuchgeschichte Strado & Varius von Martina Skala über den Geiger Varius und seine sprechende Geige Strado. Im Jahr 2011 folgt das Kinderbuch Josef und Li von Anna Vovsová. Es erzählt als Migrationsgeschichte von einer tschechisch-vietnamesischen Freundschaft über kulturelle Grenzen hinweg.
 
Wie in vielen Kinderliteraturen Europas entwickelten sich auch in Tschechien seit der Jahrtausendwende neue Formen des Erzählens in Wort und Bild, die Gattungs- und Mediengrenzen aufzulösen scheinen: Neben visuellen Erzählformen, die Anleihen bei Film- oder Videoclip machen, zeigen sich insbesondere im tschechischen Kindersach- und Sachbilderbuch Mischformen aus fiktional-erzählerischer und faktischer Wissensvermittlung. Deutschsprachigen Leser/innen konnten diese Entwicklung anhand der tschechischen Sachbilderbücher Kopf im Kopf (2016) und Wie kommt Kunst ins Museum (2017) mit Illustrationen von David Böhm verfolgen. Nach dem Erscheinen dieser Titel auf Deutsch und der Nominierung von Kopf im Kopf für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 erhöhte sich die Aufmerksamkeit gegenüber der aktuellen tschechische Kinder- und Jugendliteratur im deutschensprachigen Raum deutlich.
 
2018 folgten gleich drei weitere kinderliterarische Übersetzungen, die allesamt aus dem Bereich des erzählenden Kinderbuchs stammen: Bei dem kinderliterarischen Debüt von Vratislav Maňák Der Mann in der Uhr handelt es sich um feinsinnige Jugendstilzeit-Kriminalgeschichte; der großformatige, reich illustrierte Kinderroman Tippo und Fleck von Tomáš Končinský und Barbora Klárová erzählt vom Zahn der Zeit, dem alle Dinge anheimfallen. Mit einer Verspätung von zehn Jahren erschienen 2018 auch die in Tschechien überaus populären Sockenfresser von Pavel Šrut und Galiná Miklínová. 2019 setzt sich der Trend fort mit dem Sachbilder- und Mitmachbuch Komm mit raus, Entdeckermaus von Tereza Vostradovská und zeugt von einer echten Belebung der Beziehungen zwischen den tschechischen und deutschsprachigen Kinderliteraturen.

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