Brasiliens Weg aus der Armut
Das Internet als Bildungswerkzeug

Illustration von Rosana Paulino und Kwang Sun Joo
Illustration von Kwang Sun Joo und Rosana Paulino | Illustration (Ausschnitt): © Nik Neves

Die brasilianische Künstlerin Rosana Paulino antwortet auf die von der indischen Autorin Paromita Vohra gestellte Frage: „Welche Fragen zum brasilianischen Bildungssystem werden als Konsequenz aus der Pandemie diskutiert?“ Dabei zeigt sich besonders die soziale Ungleichheit, die im Bildungssystem deutlich zu Tage tritt. Aber auch neue Chancen tuen sich durch das Internet auf.

Von Rosana Paulino

Eine der wichtigsten Fragen betrifft neue Formen des Lernens, oder besser gesagt: Wie gelingt Bildung für eine Generation, deren Eltern nie gelernt haben, in einer digitalen Umgebung selbstständig zu lernen? Brasilien war immer schon eine Gesellschaft, in der Bildung ein Mittel war, Arme an der Ausübung ihrer Rechte zu hindern. Formale Bildung bedeutet nicht selten, den unerträglichen Kreislauf der Armut zu durchbrechen.

Das gegenwärtige Grundgesetz unseres Landes, die Verfassung von 1988, garantiert Bildung als ein verpflichtendes Staatsziel. Das hat eine riesige Menge an Menschen, die zuvor keinen Zugang zu Bildung hatten, auf die Schulbank gebracht. Die sogenannte „Grundbildung“ geht über neun Jahre und erfasst Schülerinnen und Schüler vom sechsten Lebensjahr an. Im Ergebnis führte das zu einem bedeutenden Rückgang des Analphabetismus, auch wenn wir noch immer zahlreiche und gravierende Probleme haben, von der mangelhaften Ausbildung von Lehrkräften bis hin zum Einsatz von Technologien im Unterricht.

Die Folgen des digitalen Lernens

Mit der Pandemie haben sich weitere Probleme zu den schon bestehenden hinzugesellt, eins der gravierendsten ist der mangelnde Internetzugang. Schülerinnen oder Schülern auf Bäumen und Hausdächern auf der Suche nach besserem Datenempfang war kein seltener Anblick. Auch andere Fragen, nach der Beherrschung des Internets durch die Eltern sowie Probleme der sozialen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler müssen betrachtet werden. Bei Schülerinnen und Schüler mit niedrigem Einkommen müssen wir außerdem die Ernährungssituation und die körperliche und geistige Gesundheit der Kinder und Jugendlichen im Auge behalten. Auch hier spielt die Schule eine entscheidende Rolle.

Die meiner Meinung nach wichtigste Frage ist allerdings, wie Modelle des hybriden Lernens, die in der Pandemie eingeführt wurden, sich auf die Bildung einer Generation auswirken, deren Eltern nie gelernt haben, selbstständig in digitaler Umgebung zu lernen. Der Übergang zu einem hybriden Modell, in dem das Internet die entscheidende Rolle spielt, perpetuiert ein altbekanntes Problem in Brasilien. Familien der Mittel- oder Oberschicht, in denen Lesen, Diskussion und Kritik selbstverständlich sind, übertragen dies auf ihre Kinder. Wir wissen, in welchen Rückstand Familien mit niedrigem Einkommen dadurch in ihrer schulischen Entwicklung geraten. Für einen Großteil der Familien dieser Nutzerschicht ist Internet gleichbedeutend mit sozialen Netzwerken. Laut einer Untersuchung von 2013, und vermutlich gab es seitdem auf diesem Gebiet keine große Veränderung, glauben 77 Prozent der Nutzer*innen mobiler Daten - der hauptsächliche Zugang zum Internet für Personen mit niedrigem Einkommen -, dass Internet sich auf soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube beschränke.

Strukturelle Probleme

Die Menschen wissen schlicht nicht, wie sie das Internet für die Beschaffung von belastbaren Informationen nutzen können, von der Planung einer einfachen Busreise bis hin zur Recherche für die Schule. Wie sollen wir angesichts dessen nicht fürchten, dass sich Ungleichheit in der schulischen Bildung der Ärmsten nicht weiter verschärft? Wenn wir noch die Kosten des Internets hinzurechnen, ist die Aussicht, eine wirkliche Bildungsapartheid zu bekommen, sehr groß. Wie lässt sich dies umkehren? Wie können wir Nachteile dieser Schulgeneration, die von COVID-19 betroffen ist und unter der Pandemie leidet, verringern?

Die Fragen, die die Pandemie aufwirft, sind nicht wirklich neu, sie stellen sich nun nur in anderer Umgebung. In virtueller Umgebung anstatt an realen Orten. Die Probleme bleiben dieselben, verschärft noch durch das Risiko, sich mit einer tödlichen Krankheit anzustecken. Ich glaube, erreichen können wir nur etwas, wenn wir die historischen Probleme der Bildung in Brasilien angehen. Nur mit der Lösung struktureller Probleme werden wir die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft meistern können.

Mit Blick auf die Situation in anderen Ländern frage ich mich, ob Südkorea so ähnliche Probleme mit dem digitalen Zugang zu Bildung hat. Wie reagieren Eltern dort auf die neue Rolle als digitale Assistent*innen der wirklichen Lehrkräfte? Wie funktioniert dort die Unterstützung der Schüler*innen durch die Familien in Hinblick auf Bildung mit stark digitalem Anteil?

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