Fotografie für Kinder
Was sich mit Fotos alles anstellen lässt

Kinder arbeiten im Arbeitsheft
Beim Eintritt erhalten Kinder ein Arbeitsheft mit verschiedenen Aufgaben, die sie erledigen können. | Foto: Christine Kühn © Kunstbibliothek, Staatliche Museen Berlin

Noch bis zum 19. Februar 2023 zeigt das Berliner Museum für Fotografie unter dem Titel „Vogelschau und Froschperspektive. Fotografie für Kinder“ erstmals eine Ausstellung (mit ca. 240 Arbeiten), die sich explizit an Kinder richtet, aber in der sich auch Erwachsene keinesfalls langweilen.

Von Giulia Mirandola

Die Bedeutsamkeit eines fotografischen Archivs kann auf unterschiedliche Weise in der Öffentlichkeit gezeigt werden. Die Ausstellung Vogelschau und Froschperspektive. Fotografie für Kinder und der dazugehörige Katalog (Snoeck Verlagsgesellschaft, 2022) sind ein Beispiel dafür, wie sie in ein kulturelles Erlebnis übersetzt werden kann, das sich an die Stadt und insbesondere an ihre Kinder richtet. Mit Hilfe von Fotografien aus der Sammlung der Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, verbindet die Ausstellung die Sprache der Fotografie mit dem visuellen Lesen. Ein Teil der Ausstellung ist der Thematik Fotobücher für Kinder gewidmet. Ein reichhaltiges Programm an Workshops und öffentlichen Führungen bietet Raum für vertiefende Studien. Um mehr über die Ausstellung zu erfahren, haben wir der Ausstellungskuratorin Christine Kühn und der Assistentin Katja Böhlau einige Fragen gestellt.

Woher kommt die Idee, diese Ausstellung zu organisieren?

Bei unseren Ausstellungen sind wir immer wieder verblüfft, wer – unabhängig von den Fotointeressierten – zu uns kommt. Das Publikum unterscheidet sich jedes Mal: Zur Ausstellung Ruth Walz. Theaterfotografie z.B. strömten Theaterleute. Japanbegeisterte und Ostasienforscher interessierte die Schau Zartrosa und Lichtblau. Fotografie der Meiji-Zeit, während das Werk von Candida Höfer viele Menschen aus der Kunstszene anzog. Wir sehen hier Jung und Alt, doch Kinder? Sie waren bei uns seltener zu Gast. Dabei leben sie in keinem fremden Kosmos, sie beschäftigen dieselben Fragen wie alle anderen. Das zeigte uns einmal mehr das Bauhaus-Jahr 2019, als wir mehrfach regen Kinderbesuch hatten, der durch die Ausstellung Bauhaus und die Fotografie. Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst zu führen war. Zu dieser Zeit überlegte ich, wie eine Schau zur künstlerischen Fotografie um 1900 für ein wirklich bunt gemischtes Publikum aussehen müsste. Also habe ich die Gelegenheit genutzt und die Kinder gefragt: Gibt es hier etwas, das Euch gefällt oder anspricht? Habt Ihr Fragen? Was wünscht Ihr Euch von einem Fotomuseum? Diese Gespräche waren geradezu beglückend, weil sie zeigten, dass wir eigentlich (fast) alles machen und bieten können. Die Kinder fanden so vieles schön und spannend oder auch schräg. Wenn Zehnjährige sich über ein Rückenporträt von 1843 freuen oder über ein abstraktes Fotogramm von Thomas Ruff reden, wenn sie nicht alles sofort erkennen, sondern schauen und rätseln wollen, ja sogar über Persönlichkeitsrechte nachdenken, ist das eine große Freude. Und so ist die Idee entstanden, einen Versuch für Kinder zu wagen.

Was bedeutet der Titel „Vogelschau und Froschperspektive“? Und der Untertitel „Fotografie für Kinder“?

Der Titel bezieht sich zum einen auf Gestaltungsmöglichkeiten und die ungewöhnlichen Perspektiven, die in den 1920er Jahren explizit genutzt und als fotografisches „Neues Sehen“ propagiert worden sind. Zum anderen hoffen wir, dass diese Fachbegriffe auf Kinder zuerst im Wortsinne wirken, also über die Tierliebe neugierig auf das Gezeigte machen. Der Untertitel adressiert sie dann ganz direkt. Da wir unseren Anspruch, Fotografie in all ihren Facetten zu zeigen – und zwar selbstverständlich Originale in hoher Qualität – auch hier vertreten, wäre es jedoch schade, wenn sich erwachsene „Kinder“ diese Schau entgehen ließen.

  • Der Titel der Ausstellung am Eingang Foto: © Giulia Mirandola

    Die Ausstellung beginnt mit einem merkwürdigen Ttel.

  • Ausgestellte Archivmaterialien und Kunstinstallationen Foto: Christine Kühn © Kunstbibliothek, Staatliche Museen Berlin

    Ausgestellte Archivmaterialien und Kunstinstallationen

  • Ein Ausstellungsraum Foto: Christine Kühn © Kunstbibliothek, Staatliche Museen Berlin

    Ein Teil der Sektion, die sich an Fotografie, Schule und Kindheit widmet.

  • Ausgestellte Materialien Foto: © Katja Böhlau

    Die Ausstellung bietet nicht nur Fotos, sondern auch Gegenstände und Fotobücher.

  • Teil der Sektion, die den Kinder-Fotobüchern gewidmet ist. Foto: © Katja Böhlau

    Teil der Sektion, die den Kinder-Fotobüchern gewidmet ist.

  • Ausstellungskatalog Foto: © Giulia Mirandola

    Der Ausstellungskatalog ist 2022 bei Snoeck Verlagsgesellschaft erschienen

Was machen die Kinder in dieser Ausstellung?

Sie fassen mit den Augen an, wie unsere Museumspädagogin gerne sagt. Das bedeutet, Fotografien klein wie Briefmarken oder groß wie Wandtafeln zu betrachten auf ganz unterschiedlichen Papieren oder auf Metall; Wirklichkeit in bräunlichen Tönen, auf Silber, in Blau oder Bunt vorzufinden sowie in Geschichten aus dem Leben und in Fantasiewelten einzutauchen.
Wie ein fotografisch illustriertes Buch aus dem kreativen Spiel mit Karton, Papier und Farbe entsteht, können sie entdecken oder laufende Bilder, also Filme, die alle mit der Fotografie zu tun haben. Es gibt viele Möglichkeiten, die Welt zu sehen. Die Kinder wissen das und kennen doch v.a. digitale Medien. Hier zeigen wir auch, wie alles angefangen hat.
Man kann also viel schauen, doch gibt es begleitend auch kleine Einführungen in die Kapitel oder kurze Texte zu den Werken. Man muss sie nicht lesen, aber man kann. Außerdem gibt es kleine Stationen, wo die Kinder selbst Hand anlegen können: Selbstporträts im Spiegel machen, sich vor einer Studiokulisse oder mit roten Eimern auf dem Kopf aufnehmen, Bilderbücher anschauen oder ein fotografisches Ausmalheft füllen oder eine Litfaßsäule mit eigenen Meinungen, Zeichnungen usw. beleben. Zudem führt ein Rätsel- und Aufgabenheft für alle als Wegweiser durch die Ausstellung.

„Fotografien lesen“ ist ein Schlüsselwort der Ausstellung. Wie kann man ein Bild lesen?

Indem man genau hinschaut und sich Zeit dafür gibt. Dann enthüllen Fotografien vielfältige Inhalte. Manchmal entdeckt man Details. Auch Bild- oder Werkkonstellationen, also Vergleiche, können helfen, Fotografien zu deuten. Diese sind heute so selbstverständlich. Doch im 19. Jahrhundert lösten sie Debatten aus. Manch einer fürchtete, eine Porträtsitzung vor der Kamera könnte die Lebenszeit verkürzen. Ausdrucks- oder Gestaltungsformen wie Vogelschau und Froschperspektive, Spiegel- und Mehrfachbelichtungen oder Lichtexperimente sind ebenso mühsam wie spielerisch ausgetüftelt worden. Das musste man damals lesen lernen. Das Verhältnis zur abgebildeten Wirklichkeit ist immer vielschichtig (gewesen) und bringt zunächst Verunsicherungen.

In der Ausstellung befinden sich nicht nur Fotografien, sondern auch viele Kinder-Fotobücher. Wie haben Sie diese Bücher gesammelt? Ist diese Kinder-Fotobüchersammlung nur für die Ausstellung konzipiert oder wird sie ab jetzt immer größer werden?

Die Buchsammlung ist von meiner Kollegin Katja Böhlau explizit für die Ausstellung zusammengestellt worden. Sie zeigt ganz verschiedene Spielarten des Mediums Foto-Bilderbuch zwischen Realismus und Poesie. Manches davon wird auch in künftige Projekte sinnvoll einfließen können. Und schließlich handelt es sich natürlich um einen Grundstock an Büchern, den wir gerne erweitern wollen.

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