Workshop mit Rimini Protokoll | 03.11.2021
Zwischen Ethik und Politik, Überlegungen zur „Konferenz der Abwesenden“

Workshop im Goethe-Institut Rom
Workshop im Goethe-Institut Rom | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Carlei e Gaia Del Bosco

Am vergangenen 3. November fand im Goethe-Institut Rom in der Via Savoia ein von Helgard Haug von Rimini Protokoll geleiteter Theaterworkshop statt. Nach der durchlebten Premiere des Stücks „Konferenz der Abwesenden“ am Vortag trafen sich die Regisseurin und Mitglieder der Zivilgesellschaft, um über einige Schlüsselthemen der Performance zu diskutieren und die verschiedenen Überlegungen anschließend in eine praktische Schreibübung zu überführen.

Von Giulia Carlei und Gaia Del Bosco

Das Private ist politisch

Sehr spannend waren die Fragen der diversen Teilnehmer*innen. Viele derjenigen, die die Erfahrung als aktives Publikum auf der Bühne der Konferenz der Abwesenden gemacht hatten, warfen insbesondere Fragestellungen ethischer Art auf: „Ich habe mich nicht sonderlich wohl gefühlt, bestimmte Dinge zu sagen, hatte aber keine Zeit, innezuhalten und nachzudenken“, „Eine wirklich bewegende Erzählung, aber es kam mir vor, als eigne ich sie mir an“, „Ist es je vorgekommen, dass jemand abgelehnt hat, ein Thema anzusprechen, weil es nicht mit seiner eigenen Ethik im Einklang stand?“ Zu den interessantesten Fragen zählte die von Piero, einem 24-jährigen Studenten der Kunst- und Theaterwissenschaften an der Universität La Sapienza in Rom: „Ich schätze die Recherchearbeit des Kollektivs in Bezug auf die erzählten Geschichten, die alle wahr sind, sehr. Aber inwieweit ist dieses Erzählen richtig und kann zu Theaterzwecken instrumentalisiert werden, gibt es da eine Grenze?“

Helgards Antwort war schlicht und direkt: „Jede Person erzählt ihre eigene Geschichte, unsere Aufgabe ist es, sie dazu zu bringen, uns so viele Details wie möglich mitzugeben, aber wenn sie beschließt, aufzuhören, wird damit eine Schranke gesetzt, die wir respektieren müssen.“ Offensichtlich ruft diese Frage aber weitergehende Überlegungen hervor, vor allem solche im Zusammenhang mit dem so bekannten wie oft missbrauchten feministischen Motto „Das Private ist politisch“. Die bei der Konferenz der Abwesenden erzählten Geschichten sind in der Tat privat: Es handelt sich um reale Lebensgeschichten individueller Persönlichkeiten, und doch stecken sie voller Politik. Ihre Abwesenheit ist politisch; viele Abwesenheiten in ihrem Leben werden durch Krisensituationen globaler Art verursacht (durch Kriege, das Fehlen von Bürgerrechten und Schutz für bestimmte gesellschaftliche Gruppen, weltweite Umweltverschmutzung) sowie von Machtbeziehungen, die (nicht nur) unsere Epoche durchziehen und die Anwesenheit einiger in der öffentlichen Debatte garantieren – auf dem Rücken der Abwesenheit anderer.

Die Frage der Verantwortung

Die Bühne des Theaters 1 im Mattatoio an den Abenden des 2., 3. und 4. November und das Auditorium des Goethe-Instituts am Nachmittag des 3. November standen als dramaturgische Metapher also für das, was häufig in der Gesellschaft passiert: Menschen, die keine Stimme haben, bekommen diese dank derer, die, soziologisch gesprochen, das Privileg besitzen, dass ihnen von vorneherein zugehört wird. In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die berechtigte Frage: Bis zu welchem Punkt kann der Avatar die Geschichte eines anderen Menschen erzählen? Wo ist die Grenze zwischen Repräsentation und Aneignung, und wen können wir überhaupt repräsentieren? In diesem Fall entstand die Debatte aus einigen Zweifeln der Teilnehmenden. Viele gaben zu, dass sie, als sie zum ersten Mal die Bühne betraten, nicht sicher waren, was sie da taten, und vor allem, was sie da tun sollten: schauspielern, etwas sagen, wie es die Hauptfigur ihrer Wortmeldung gesagt hätte, oder einfach nur als deren Sprecher*in auftreten?

Die Antwort ist letzteres, so jedenfalls die Absicht von Rimini Protokoll für das Stück. Einige Teilnehmer*innen brachten das Thema der Verantwortung auf, die sie beim Erzählen der Geschichte einer anderen Person spürten, während andere, gerade weil sie Avatare waren, sich unbeschwert von der Erzählung mitreißen ließen. Ungeachtet der möglichen Interpretationen ist das Konzept der Verantwortung zentral.

Diesbezüglich bekräftigte Helgard, wie die Verantwortung des Publikums in ihren verschiedenen Ausbildungen nicht nur Hauptthema des Stücks, sondern vor allem Motor für dessen Gelingen sei. „Normalerweise findet die Produktion eines Theaterstücks an einem Ort, die Aufführung an einem anderen Ort statt beziehungsweise an anderen Orten, wenn es sich um eine Tournee handelt. In diesem Fall werden sehr viele Aspekte der Produktion, sowohl vom kreativen wie vom technischen Gesichtspunkt aus, zusammengepackt, um sie von Stadt zu Stadt zu bringen und so eine Reihe von Kopien des ursprünglichen Stücks zu erschaffen. Aus ökologischen (indem wir Ortswechsel der Crew vermeiden, sparen wir tonnenweise CO2) und künstlerischen Gründen haben wir versucht, die Tourneeroutine zu brechen und das Team vor Ort sowie vor allem das Publikum in die Verantwortung zu nehmen.“

Wenn wir eine Parallele zur Alltagsrealität ziehen, können wir schlussfolgern, dass es vielleicht nicht unsere Verantwortung sein mag, wenn jemand keine Stimme in der öffentlichen Debatte hat, es aber zu unserer Verantwortung wird, wenn wir unsere Privilegien nicht zur Disposition stellen – so wie es in dem Stück mit den Körpern passiert, die über reine Körperlichkeit hinaus zum Medium werden – um jemand anderen sprechen zu lassen, das Eigene und das Andere zu politisieren, in den selbstgesetzten Grenzen der jeweiligen Personen.

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