Das Projekt Transcultural Attentiveness (Transkulturelle Achtsamkeit) möchte einen Beitrag zu einer generationenübergreifenden Bildungsgemeinschaft zum kolonialen Erbe leisten. Diese Initiative des Goethe-Instituts Rom wird von Giulia Grechi und Viviana Gravano kuratiert und findet in enger Zusammenarbeit mit dem MuCiv Museo delle Civiltà di Roma statt.
In unseren beiden Ländern, Italien und Deutschland, wurde der Kolonialismus erst viel später zu einem bedeutenden nationalen Thema als in vielen anderen europäischen Nachbarländern, und er verursachte entsetzliche Ungerechtigkeiten mit Folgen, die bis heute nicht überwunden wurden. Obwohl es in Deutschland und Italien Menschen und Institutionen gibt, die sich intensiv mit der Frage der Dekolonisierung auseinandersetzen, werden in beiden Ländern junge Menschen in den Schulen immer noch nicht dazu erzogen, sich der grausamen kolonialen Vergangenheit zu stellen und Verantwortung dafür zu übernehmen – oder es ist umgekehrt, und brennende Fragen junger Menschen bleiben unbeantwortet. Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern sind wir davon überzeugt, dass sich dies ändern muss. Wir müssen eine internationale, generationenübergreifende Gemeinschaft aufbauen, die sich selbst hinterfragt und weiterbildet, die die koloniale Vergangenheit anerkennt und unsere zukünftigen Gesellschaften dekolonisiert, indem sie ihre transkulturelle Achtsamkeit ständig weiterentwickelt und verantwortungsbewusst handelt.
Dieses Projekt unternimmt mit der Realisierung von drei Modulen erste Schritte in diese Richtung. Erstens soll eine Reihe von Podcasts als permanente Konferenz zur Verfügung stehen, die jederzeit und in Ihrem ganz persönlichen Hörrhythmus zugänglich ist. Jede Folge konzentriert sich auf einen Kernbegriff, was auch mit dem Titel Riguardo (al)le parole („Betreffend: Worte“) zum Ausdruck kommt. Zweitens befasst sich eine Ausstellung mit mehreren künstlerischen Positionen im KunstRaum des Goethe-Instituts Rom mit Fragen, die normalerweise nicht in unsere typisch europäische Vorstellung von Archiven und Museen passen, und trägt daher den Titel L’inarchiviabile („Das Unarchivierbare“). Drittens entwickeln die Bildungsabteilung des Goethe-Instituts Italien und ihre Kooperationspartner an italienischen Schulen Attività educative – Materialien für Schüler*innen und Lehrer*innen, die den künftigen Dialog zu den Themen des kolonialen Erbes und der Notwendigkeit dekolonialer Praktiken erleichtern sollen.
Wir danken Ihnen für die Lektüre dieser Zeilen und für Ihr Interesse, Teil einer Gemeinschaft der Transkulturellen Achtsamkeit zu sein.
Die Kuratorinnen
Giulia Grechi ist Professorin für Kulturanthropologie und Kunstanthropologie an der Akademie der schönen Künste Brera in Mailand. Ihr Interesse gilt kulturellen und post-/dekolonialen Studien, Migration und Museologie, mit den Schwerpunkten Körperlichkeit, kulturelles Erbe des Kolonialismus und zeitgenössische künstlerische Praktiken, die diese Vorstellungswelten in Frage stellen und berichtigen. Sie ist stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Roots§Routes und leitendes Mitglied des Kuratorenkollektivs Routes Agency und hat an internationalen Forschungsprojekten teilgenommen, darunter Mela – European Museums in an Age of Migrations. Überdies hat sie Symposien und Ausstellungen über das kulturelle Erbe des italienischen Kolonialismus organisiert. Von ihr sind erschienen: Decolonizzare il museo (Mimesis, 2021) und La rappresentazione incorporata (Mimesis 2016). Zusammen mit I. Chambes und M. Nash hat sie The Ruined Archive und, mit V. Gravano, Presente Imperfetto. Eredità coloniali e immaginari razziali contemporanei herausgegeben (Mimesis 2016).
Viviana Gravano ist Kuratorin und auf zeitgenössische Kunst spezialisierte Kunsthistorikerin. Sie unterrichtet Geschichte der zeitgenössischen Kunst an der Akademie der Künste Brera in Mailand und ist Gründungsmitglied des Kuratorenkollektivs „Routes Agency. Cura of contemporary arts“, das die Online-Zeitschrift Roots_Routes_Research on visual culture herausgibt. Sie hat bei verschiedenen europäischen und internationalen Forschungsprojekten mitgearbeitet, darunter: REcall – European Conflict Archaeological Landscapes Reappropriation; TML_Transnationalizing Modern Languages, und hat, mit Giulia Grechi, die abschließende Ausstellung Beyond Borders (Rom, London, New York, Melbourne, Addis Abeba und Tunis) kuratiert; SPEME Questioning Traumatic Heritage: Spaces of Memory in Europe, Argentina, Colombia. Gravano ist Cultural Advisor der Projekte für zeitgenössischen Tanz Excelsior und Amor von Salvo Lombardo/Compagnia CHIASMA, Rom.
Sie hat folgende monografische Schriften veröffentlicht: (mit Giulia Grechi) Presente Imperfetto. Eredità coloniali e immaginari razziali contemporanei, Mimesis, Mailand 2016; L’immagine fotografica, Mimesis, Mailand 1997; Crossing. Progetti fotografici di confine, Costa & Nolan, Mailand 1998; Paesaggi attivi. Saggio contro la contemplazione, Mimesis, Mailand 2012; Food Show. Expo 2015. Una scommessa interculturale persa, Mimesis, Mailand 2016.