Strukturwandel
Ein Neuanfang voller Unsicherheit

Weltweit ringen vom Strukturwandel betroffene Regionen um einen Neuanfang. Einigen ist das gelungen, andere tun sich schwer. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber aus den Erfahrungen lassen sich einige erfolgversprechende Ansätze ableiten.
Von Wolfgang Mulke
Am Rande des brandenburgischen Tagebaus Jänschwalde lässt sich die Bedeutung der Braunkohle für die Region am östlichen Rand Deutschlands erahnen. Fast bis zum Horizont erstreckt sich die gewaltige Grube, aus der seit Jahrzehnten Energierohstoff geschaufelt wird. Im Hintergrund ragen die Schornsteine des gleichnamigen Kraftwerks in den Himmel und speien weißen Rauch weit in den Himmel. Noch. Denn das Ende der Braunkohle ist besiegelt: Spätestens 2038 soll das letzte Kraftwerk abgeschaltet werden, so sehen es die Pläne der Bundesregierung vor. Vielleicht schafft es Deutschland auch, schon 2030 auf den Klimakiller Braunkohle zu verzichten, aber angesichts der Energiekrise mag darauf derzeit niemand wetten.
Kein Patentrezept für Strukturwandel
Für die Kohleregion Lausitz geht damit der wichtigste Wirtschaftszweig verloren. Das sind keine guten Aussichten für die Menschen, die hier leben. Noch gibt es rund 20.000 gut bezahlte Jobs in der Energiewirtschaft, deren Löhne mit einem Durchschnittsverdienst von rund 68.000 Euro im Jahr über dem Bundesdurchschnitt von 59.000 Euro liegen. Aber viele fragen sich, wie es weitergehen soll, wenn die Kohle wegfällt.
Zwar will die Bundesregierung den nun anstehenden Braunkohleausstieg mit viel Geld abfedern – bis zu 40 Milliarden Euro Fördermittel sollen vor allem für den Ausbau der Infrastruktur, die Wissenschaftslandschaft oder die Ansiedlung von öffentlichen Stellen aufgebracht werden. So sollen neue Cluster entstehen, an die neue Unternehmen andocken können. Doch ob der Ansatz trägt, ist offen. „Es gibt kein Patenrezept für einen erfolgreichen Strukturwandel“, sagt der Forscher Kai van de Loo vom Bochumer Forschungszentrum Nachbergbau, die Bedingungen seien standortspezifisch unterschiedlich.
Vom „Rust Belt“ zum „Brain Belt“
Aus den Erfahrungen der betroffenen Regionen lassen sich trotz fehlenden Patentrezepts einige erfolgversprechende Ansätze zur Bewältigung der Verluste ableiten. Eine wichtige Voraussetzung ist eine gut ausgebaute Infrastruktur. Die Ansiedlung von Hochschulen oder Forschungseinrichtungen etwa ist eine Basis für die Bildung von Netzwerken oder Clustern, die kleine und mittlere Unternehmen anziehen. So gibt es in Großbritannien die University Enterprise Zones, wo sich rund um 20 Universitäten kleine Wirtschaftszentren entwickeln.
Eine Hochschule allein löst die Probleme freilich nicht, der Staat muss die Ansiedlung von Unternehmen auch aktiv fördern. Das gelingt zum Beispiel im berüchtigten Rust Belt der USA, dem ehemals größten Industriegebiet des Landes zwischen Detroit und Pittsburgh. Auch hier begann in den 1970er-Jahren mit dem Ende der Stahlindustrie ein trauriger Niedergang vieler Städte und Gemeinden. Doch inzwischen gibt es wieder Lichtblicke – und das hängt auch mit gezielten Fördermaßnahmen zusammen, wie van de Loo feststellt. „Die Amerikaner setzen mehr auf eine Förderung von Privatinitiative“, erläutert er, „das geschieht mit Geld, mit Technologieberatung oder der maßgeschneiderten Qualifizierung von Fachleuten.“ Die Hochschulen dort orientierten sich deutlich stärker an den Bedürfnissen der Wirtschaft. Pittsburgh ist es zum Beispiel gelungen, über eine gute Universität zu einem der großen Technologiezentren außerhalb des Silicon Valley zu werden. Aus dem „Rust Belt“ wurde hier der „Brain Belt“.
Für die deutschen Kohlereviere spricht sich der Forscher Klaus-Heiner Röhl vom unternehmensnahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Gutachten für die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen aus. Mit Steuererleichterungen, gezielter Förderung oder der Einrichtung von Technologiezentren sollen so wieder attraktive Standorte entstehen. Auf solche Sonderwirtschaftszonen setzt beispielsweise die Wirtschaftspolitik in Polen, Spanien und Süditalien.
Gar nicht so düstere Aussichten
Die Aussichten für die beiden deutschen Kohlereviere bewerten Expert*innen unterschiedlich. Röhl blickt auch aufgrund der Erfahrungen aus anderen Ländern kritisch auf die Pläne der Politik. „Die Bundesregierung setzt zu wenig auf gute Bedingungen für mittelständische Ansiedlungen“, kritisiert er. Per Kropp vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hingegen sieht trotz des Jobwegfalls in der Kohleförderung und -verstromung keinen Mangel an Arbeitsplätzen entstehen. Inzwischen seien allein rund um die Erneuerbaren Energien zwischen 40.000 und 60.000 neue Stellen geschaffen worden. „Die Energiewende schafft Arbeitsplätze ohne Ende“, glaubt der IAB-Experte. Schon seit einiger Zeit hat sich nicht weit entfernt von der Lausitz vor den Toren Berlins ein neues Industriezentrum rund um die Elektromobilität gebildet. Teslas Megafabrik ist das Aushängeschild. Aber auch mittelständische Produzenten, etwa von Batterien, haben sich im Umfeld angesiedelt. Dafür werden Fachkräfte gebraucht, womöglich auch die aus der Lausitz.