Kritik in Deutschland und Italien
EU als Chance oder Bedrohung

Diskussion auf dem grünen Sofa
© Goethe-Institut Rom / Grafik: Eleonora Salerno

In Italien und Deutschland macht sich zunehmend Unzufriedenheit über die Europäische Union breit. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass der Traum von einem geeinten Europa zwar weiterhin von einer Mehrheit der Bürger in beiden Ländern geteilt wird, viele zeigen sich jedoch enttäuscht von grenzenloser Bürokratie und mangelnder Bürgernähe.

Von Bettina Gabbe

„Europa ist durch soziales Ressentiment vergiftet und durch die Überbetonung haushaltstechnischer Detailfragen verkümmert“, lautet das Fazit der Studie Deutschland/Italien. Das europäische Sentiment: Ein Blick in den Spiegel. Der Geist des europäischen Traums sei jedoch „noch nicht verflogen“.
 
Während sich zwei Drittel der Befragten in beiden Ländern gegen einen EU-Austritt ihres Landes aussprechen, sehen Deutsche demnach die EU weiterhin mehrheitlich als Chance. In Italien gilt sie dagegen zunehmend als Demütigung der eigenen Interessen und als Gefahr.

Geringes Vertrauen in politische Institutionen

Nur noch ein Drittel der Italiener hat ein positives Bild der EU, in Deutschland dagegen noch immer die Hälfte der Befragten. Mit 37 Prozent der Italiener und 60 Prozent der Deutschen fiel der Anteil derjenigen, die die Mitgliedschaft des eigenen Landes als Vorteil empfindet, allerdings höher aus.
 
Nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland herrscht geringes Vertrauen in Institutionen, von der lokalen bis hin zur EU-Ebene. Nur ein Viertel der Italiener vertraut demnach nationalen Institutionen, während der Wert in Deutschland mit 28 Prozent überraschend geringfügig höher ausfällt. Angesichts der massiven Kritik Roms an Brüssel erstaunte die Autoren der Studie, dass der Anteil der Befragten, die Vertrauen in EU-Institutionen haben, in beiden Ländern mit 22 Prozent gleich niedrig ausfiel.
 
Die Mitgliedschaft in der EU stärkt nach Auffassung von weniger als der Hälfte der Italiener das Wirtschaftswachstum ihres Landes. Für Deutschland beantworten dagegen noch immer 65 Prozent die Frage positiv.

Negative Urteile über den Euro

Der Euro als eines der Kernprojekte der EU stößt in Italien mittlerweile bei knapp der Hälfte der Befragten auf Ablehnung. Auch ein Drittel der Deutschen sieht die Gemeinschaftswährung nicht mehr positiv. Angesichts des traditionell hohen Vertrauens der Deutschen in den Euro überraschte es die Autoren der Studie, dass hierzulande nur 40 Prozent der Befragten die Gemeinschaftswährung als Stabilitätsanker bewerteten.
 
Negative Bewertungen des Euro in Italien werden in der Umfrage darauf zurückgeführt, dass dieser als Mittel der Einmischung aus Brüssel und als „Entwicklungsbremse“ gesehen werde, die anderen Ländern von Anfang an Vorteile gebracht habe.

Sorgen um Wirtschaftsentwicklung in beiden Ländern

Während Italiener mit 67 Prozent die Arbeitslosigkeit als die größte Schwierigkeit erleben, nannte die Hälfte der deutschen Befragten Einwanderung als das Hauptproblem ihres Landes. In Italien gelten die hohe Steuerlast und die anhaltende Wirtschaftskrise als weitere Herausforderungen. In Deutschland folgen auf der Liste der dringendsten Anliegen hingegen zu niedrige Renten und erst an dritter Stelle die Steuerlast.
 
Angesichts des Wachstums in Deutschland und der erneut in die Rezession gerutschten italienischen Wirtschaft unterscheiden sich die Wahrnehmungen über die jüngsten Entwicklungen des eigenen Wohlstands. Ein Drittel der Befragten in Deutschland erklärt, ihre persönliche Lage habe sich im vergangenen Jahr verbessert, während der Prozentsatz in Italien nur bei vier Prozent liegt. Nach den Wirtschaftsaussichten des eigenen Landes in den kommenden zwölf Monaten gefragt, zeigen dagegen Italiener überraschend ein größeres Vertrauen in die Entwicklung als die Deutschen. Während 23 Prozent der Italiener demnach überzeugt sind, dass es in diesem Jahr wirtschaftlich bergauf gehen werde, äußerten nur 19 Prozent der Deutschen diese Einschätzung.

Markante Mentalitätsunterschiede

In der Bewertung der Frage, ob die EU zur Schaffung von Arbeitsplätzen beigetragen habe, treten in der Studie wichtige Mentalitätsunterschiede zutage. Rund 40 Prozent der Deutschen, aber nur 30 Prozent der Italiener sind überzeugt, die EU habe die Beschäftigungsmöglichkeiten gestärkt. Der Unterschied lässt sich den Autoren zufolge dadurch begründen, dass Italiener vorrangig Arbeitsplätze im eigenen Land berücksichtigen und Arbeitssuche im Ausland im Unterschied zu Deutschen als reine Notlösung ansehen.
 
Anti-europäische Ressentiments in Italien erklärt die Studie vorrangig mit enttäuschten Hoffnungen auf Entwicklungschancen. Darüber hinaus werde die EU als Institution mit „überbordender Regulierung, Auflagen und Einschränkungen“ verstanden. Die bislang positive Wirtschaftslage in Deutschland rückt offenbar auch das Verhältnis der Bürger zur EU in ein weniger schlechtes Licht.

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