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Am Anfang war Begeisterung

Bücher von Václav Havel in der Bibliothek des Goethe-Instituts in Prag
Bücher von Václav Havel in der Bibliothek des Goethe-Instituts in Prag | © Pavlína Jáchimová / Goethe-Institut

Welche Menschen waren es, die Einfluss genommen haben auf Ausrichtung und Ruf des Goethe-Instituts? Was ist das Interessante an der Arbeit, die die tschechische und die deutsche Kultur miteinander verbindet? Monika Loderová, langjährige engagierte Mitarbeiterin der Programmabteilung des tschechischen Goethe-Instituts, berichtet über die Euphorie der 1990er-Jahre, über den Besuch Václav Havels und darüber, wie ein Kontrabass transportiert wurde.

Liebe Monika, beginnen wir doch ganz persönlich: Was hat dich ins Goethe-Institut geführt und was hat dich dazu bewogen, hier viele Jahre zu arbeiten?
 
Ins Goethe-Institut hat mich eigentlich das Zusammenspiel mehrerer Zufälle geführt. Als frischgebackene Germanistik-Absolventin der Prager Universität habe ich im Mai 1991 ein Stipendium für einen einwöchigen Aufenthalt in Berlin bekommen, an dessen Organisation das Goethe-Institut beteiligt war. Begeistert von der Atmosphäre in West-Berlin traf ich mich nach meiner Rückkehr mit Herrn Jochen Bloss, dem ersten Direktor des Goethe-Instituts in Prag, und gleich am nächsten Tag hat er mir eine Stelle in der Programmabteilung angeboten. An meiner Arbeit schätze ich besonders die thematische Vielfalt, die hervorragenden Kolleg*innen, mit denen ich zusammenarbeite, sowie die ständige Herausforderung und die Möglichkeit, Neues zu lernen und neue Menschen kennenzulernen, sowie die Stabilität der Verhältnisse.  
 
Was waren deine ersten Eindrücke von der Arbeit im deutsch-tschechischen Milieu?
 
Ich war damals 23 Jahre alt und hatte gerade mein Hochschulstudium hinter mich gebracht. Ich kam in ein prächtiges Gebäude, das noch Ausstattung und Atmosphäre der ehemaligen Botschaft der DDR hatte. Aber es arbeiteten prima Kollegen und Kolleginnen dort, von denen ich viel gelernt habe und mit denen es auch viel Spaß gab. Verbunden hat uns die Begeisterung dafür, etwas Neues aufbauen zu wollen, und die mitreißende Atmosphäre der 90er-Jahre voller Hoffnung, Euphorie und dem Gefühl, dass jetzt alles möglich ist.
 
Welche Begegnungen im Goethe-Institut – sei es mit Gästen, Partnern oder Kolleg*innen – waren für dich persönlich oder für deine Arbeit besonders wichtig?
 
Von besonderer Bedeutung für mich war die Begegnung mit dem ersten Direktor des Goethe-Instituts, Herrn Jochen Bloss, und den anderen Kolleginnen und Kollegen der ersten Stunde. Ich denke, dass sich gerade diese Konstellation deutlich auf unsere Programmausrichtung, auf den Ruf des Instituts und auf die Atmosphäre insgesamt ausgewirkt hat.
 
Konntest du dir mit der Organisation einer Veranstaltung oder mit der Einladung eines Gastes einen Traum erfüllen? Welche Begegnung war für dich die interessanteste oder welche hat dich am meisten überrascht?
 
Es ist schwer, auf diese Frage eine konkrete Antwort zu geben, denn von diesen Begegnungen gab es unzählige. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich auch heute immer noch gern im Institut arbeite. Unvergesslich bleiben für mich auf jeden Fall die Begegnungen mit Günther Grass, Vilém Flusser, Werner Herzog, Lenka Reinerová und Eduard Goldstücker. Das emotional stärkste Erlebnis war für mich der Besuch von Václav Havel im Goethe-Institut, als wir den Dokumentarfilm von Walter Höllerer aus den 1960er-Jahren mit dem Titel Literaturprofil von Prag gezeigt haben.

  • Der erste Institutsleiter in Prag Jochen Bloss mit seiner Frau Carola (rechts), 1993 © Goethe-Institut
    Der erste Institutsleiter in Prag Jochen Bloss mit seiner Frau Carola (rechts), 1993
  • Professor Eduard Goldstücker (links) und Professor Kurt Krolop im Goethe-Institut, 1993 © Goethe-Institut
    Professor Eduard Goldstücker (links) und Professor Kurt Krolop im Goethe-Institut, 1993
  • Autorenlesung von Günther Grasss. Prag, 2007 © Goethe-Institut
    Autorenlesung von Günther Grasss. Prag, 2007
  • 92. Geburtstag von Lenka Reinerová. Prag, 2008 © Goethe-Institut
    92. Geburtstag von Lenka Reinerová. Prag, 2008
Welche Zwischenfälle können bei Veranstaltungen passieren?  Ein Gast kommt nicht, die Technik streikt, der Dolmetscher verschläft…. Erinnerst du dich an Momente, über die du heute lächelst, die dich aber seinerzeit ordentlich in Anspruch genommen haben?
 
Kleinere Zwischenfälle gab es öfter mal. Zum Glück hat das Publikum sie meistens gar nicht bemerkt. Ich erinnere mich aber an eine Begebenheit, als sich wegen uns der Abflug eines Flugzeugs verspätet hat. Das war einen Tag nach dem Konzert des namhaften Orchesters Ensemble Modern. Für die Musiker war ein Minibus bestellt, der sie, samt ihren Instrumenten, zum Flughafen bringen sollte. Doch der Kontrabass passte nicht durch die Tür des Minibusses. Während alle Musiker mit ihren Instrumenten zum Flughafen fuhren, blieb ich mit dem Kontrabass vor dem Hotel stehen und suchte hektisch nach einer anderen Möglichkeit, den Kontrabass zum Flughafen zu transportieren – und das in einer Zeit, als Handys durchaus noch keine Selbstverständlichkeit waren. Schließlich traf ein Lieferwagen ein. Ich erläuterte dem Fahrer die Situation. Wir luden den Kontrabass ein, machten ihn ordentlich fest, und dann startete eine unvergessliche Fahrt von Karlín zum Flughafen, mit der wir selbst Belmondo keine Schande gemacht hätten. Trotz reichlicher Verkehrssünden kamen wir zu spät. Zum Glück hatte einer der Passagiere dieses Fluges seine Papiere nicht in Ordnung, und so kam es, dass sich der Start verspätete – zum Glück nicht durch unsere Schuld und damit auch ohne Sanktion für uns.
 
Die Organisation von Kulturveranstaltungen war in der Zeit, als es noch kein Internet gab, sicher wesentlich schwieriger als heute. Wie hat sich deine Arbeit in der Programmabteilung im Laufe der Zeit verändert?
 
Schwieriger war die Arbeit nicht, als es noch kein Internet gab. Sie erforderte nur langfristigere Planung und Disziplin, dass das, was abgemacht war, auch eingehalten wurde. Angefangen haben wir mit Schreibmaschine, Blaupapier und Fax-Geräten. Nach und nach kamen dann fortschrittlichere technische Errungenschaften. Die größte Veränderung hat sich aber im Laufe der Zeit in der Gesellschaft und in der Art und Weise der Kommunikation abgespielt. Der anfängliche Hunger nach Kunst und Informationen aus Westdeutschland, die für uns jahrzehntelang nicht zugänglich waren, wandelte sich im Laufe der Zeit in eine umfassende Kenntnis des deutschen kulturellen Milieus, und wir konnten gemeinsam mit den tschechischen Partnern beginnen, uns neben den klassischen Genres wie Literatur, bildende Kunst, Musik, Philosophie, Theater und Film, auch weiteren Themen wie Umweltschutz, Architektur, Gender studies u.a. zuzuwenden. Die anfängliche Begeisterung ist zwar im Laufe der Jahre verflogen, doch die Beziehungen, die damals aufgebaut worden sind, bestehen bis heute, und wir sind in Vielem professioneller geworden.
 
Ist in den Jahren, seitdem du im Goethe-Institut tätig bist, ein Kunstwerk entstanden, eine Veranstaltung durchgeführt, ein Buch geschrieben oder allgemein ein Projekt umgesetzt worden, auf das du ganz besonders stolz bist und das dich ganz besonders freut?
 
Es gibt viele Projekte, die mir Freude gebracht haben. Aus den Anfangsjahren möchte ich das tschechisch-polnisch-deutsche Symposium zur Vertreibung hervorheben, das in den 90-er Jahren in der Diskussion über die Vertreibung eine grundsätzliche Rolle gespielt hat. Aus den späteren Jahren seien dann die künstlerischen Interventionen erwähnt, die in unserem Gebäude in den Jahren 2010 – 2015 stattfanden, die Aufnahme der Literatur der Roma in das Angebot der Literaturnacht und der Sprache der Roma in den Europäischen Tag der Sprachen, ebenso das Projekt Why talk to animals, mit dem wir uns in die Initiative Plzeň – Europäische Kulturhauptstadt 2015 eingebracht haben.
 
Was hat deiner Meinung nach das Goethe-Institut seit seinem Bestehen in der tschechischen Kulturszene bewirkt?
 
Ich denke und hoffe zugleich, dass sich das Goethe-Institut in Prag und in der ganzen Tschechischen Republik den Ruf eines vertrauenswürdigen Partners erwerben konnte, eines offenen Forums für die unterschiedlichsten Meinungsströmungen und künstlerischen Richtungen, und eines Ortes, der nicht nur hervorragende Sprachkurse und eine wertvolle Bibliothek bietet, sondern auch eines Ortes der Inspiration. Das Goethe-Institut ist eine Einrichtung, die sich weder vor schwierigen Themen drückt, noch vor total verrückten Ideen zurückschreckt.  
 
Was sollte deiner Meinung nach das Institut in den nächsten 30 Jahren tun und wohin sollte sein Weg führen?
 
Ich halte es für wichtig, dass das Goethe-Institut seine stabile Position, seine Infrastruktur und sein internationales Netzwerk stets für dringliche Themen der Zeit nutzt und dass es sich nicht scheut, zu experimentieren, Menschen verschiedenster Ausrichtungen miteinander zu verbinden und für Inspiration zu sorgen. Es wäre schön, wenn es uns gemeinsam mit unseren Partnern auch weiterhin gelingen würde, rechtzeitig inspirative zeitgenössische Autoren aus Deutschland aufzuspüren, die uns etwas zu sagen haben, die auf die Entwicklung in der Gesellschaft reagieren, die uns aufrütteln und zum Nachdenken zwingen, und diese zu uns einzuladen.

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