Árpád Kun, Ungarn
Georges Brassens: Don Juan

Árpád Kun hat sich das Lied Don Juan des französischen Liedermachers Georges Brassens ausgewählt, das für ihn für das Handeln entgegen der Norm, für Freiheit und Unabhängigkeit steht.

Von Árpád Kun

Meine Wahl fällt auf Don Juan, eines der Chansons von Georges Brassens, das in den 1970er-Jahren geschrieben wurde. Ich habe es zuerst in den 1990-ern in Paris gehört. Nicht im Radio und nicht auf der Straße, sondern von einer ausgeliehenen CD aus der Bibliothek. Es war nicht einfach nur Musik, nach der ich suchte, sondern diese sinnliche, vollblütige französische Poesie, die mit Apollinaire zu Ende gegangen schien, zusammen mit diesen Reimen in ihrer Sprache, von denen die Franzosen behaupten, jede mögliche Variation ausgeschöpft zu haben, und die bis dahin als kitschige Ausschmückungen galten. Was an französische Poesie erinnerte, war zunehmend trockene und abstrakte Wortmagie geworden. Sie ließ mich kalt. Dann entdeckte ich Brassens, der bewies, dass die Art von Poesie, die ich leidenschaftlich mochte, noch immer lebendig geblieben war.
 
Brassens war allergisch gegen jede Art von Pomp und Zeremonie, gegen patriotischen Pathos und Herdenmentalität. In einem seiner posthumen Chansons singt sein Freund Jean Bertola in seinem Namen, dass die Légion d'honneur (Ehrenlegion) unverzeihlich ist. Trotzdem ist Brassens’ Don Juan ein Loblied, aber eines, in dem er la gloire auf seine eigene Art walten lässt. Ein Held ist für ihn ist der Autofahrer, der seinen Wagen unter Kreischen zu einem lebensbedrohlichen Halt zwingt, um nicht einen Igel oder eine Kröte zu überfahren, der Polizist, der den Verkehr stoppt, damit die Katzen eines französischen Schriftstellers die Straße überqueren können, die Nonne, deren Mitleid so weit geht, dass sie den Penis eines armlosen Krüppels wärmt, der Priester, der seinen Feind in der Bartholomäusnacht rettet und so fort. Es sind alles Leute, die anders handeln als die Menge. Ihre guten Taten entspringen der Liebe zu ihren Mitmenschen; sie wagen es, unabhängig zu sein, von den Normen abzuweichen, die die Mehrheit von ihnen erwartet. Sie sind in der Lage, den Gruppenzwang zu überwinden, der ihre Menschlichkeit schmälern würde. Sie sind mutig und frei. Deswegen gehört ihnen la gloire.
 


 
Bei Brassens Don Juan hebt sich die wunderbar erdachte Titelfigur Don Juan von all diesen Helden ab, weil er nicht der herzlose Womanizer ist, als der er in jedem anderen Werk von Molière bis Mozart dargestellt wird. Im Gegenteil. Er ist besessen davon, Frauen zu verführen, die kein anderer verführen möchte: Er macht diejenigen zu Frauen, die ohne ihn als Jungfrauen sterben würden.
 
Der Refrain von Brassens’ Chanson lautet: „Dieses Mädchen ist zu hässlich, das will ich haben.” Dies ist ein Appell: Lasst uns wagen, anders zu handeln, als es die Norm ist.
 
Georges Brassens wurde 1921 geboren, ein Jahr später als mein Vater. Als das französische Vichy-Regime im Zweiten Weltkrieg Brassens als Zwangsarbeiter nach Deutschland schickte, steckten die Russen meinen Vater in ein Arbeitslager auf der Halbinsel Krim. Mein Vater heiratete dreimal; Brassens erklärte in einem Chanson seiner Lebenspartnerin (auch wenn sie nicht zusammen wohnten), warum er ihre Liebe nicht durch eine Heirat zerstören wollte. Mein Vater hatte drei Kinder, Brassons hatte keine. Er wurde auf die Art zum Vater, indem er seine Vermieterin Jeanne als Mutter bezeichnete: „Was nutzt es, Mutter von drei Kindern zu sein / wenn Jeanne eine universale Mutter ist / Wenn zu ihr alle Kinder der Erde, des Meeres und des Himmels gehören.”

Ich glaube fast, dass wir hier in Europa alle Kinder von Georges Brassens sind. Auf der Erde, im Meer und in der Luft. Unabhängig und frei.

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