Claas Danielsen im Interview
„Das Attribut ‚Heldenstadt‘ bleibt mir dennoch fremd“

Claas Danielsen bei einer Pressekonferenz.
Claas Danielsen bei einer Pressekonferenz. | Foto (Ausschnitt): © DOK Leipzig 2013

Seit 2004 leitet Claas Danielsen das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, kurz: DOK Leipzig. Ein Gespräch über Leipzigs Image als Heldenstadt und die Bedeutung der friedlichen Revolution 1989 für DOK Leipzig.

Herr Danielsen, Sie sind kein gebürtiger Leipziger, sondern in Hamburg aufgewachsen. Sie leben und arbeiten jedoch schon seit über zehn Jahren hier. Was verbinden Sie mit der Stadt?

Leipzig ist eine Bürgerstadt, voller Kultur und Lebensqualität. Im Gegensatz zu den Residenzstädten München oder Dresden wird Leipzig von einem selbstbewussten Bürgertum getragen. Das ist sicher ein Grund dafür, dass die friedliche Revolution hier ihren Ausgangspunkt nahm.

Die Leipziger kämpfen für ihre Stadt

Während der friedlichen Revolution spielte Leipzig eine führende Rolle. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff „Heldenstadt“. Passt der Name zu Leipzig?

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der der Begriff „Held“ nicht hoch im Kurs stand. Für mich war die Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe des Nationalsozialismus bestimmend, eine Zeit in der der Begriff des Heldentums missbraucht wurde. Was 1989 in Leipzig passiert ist, hat mich unheimlich beeindruckt und Deutschland tiefgreifend verändert. Die Menschen, die damals ihr Leben riskiert haben, um für Veränderung und Freiheit zu demonstrieren, waren extrem mutig. Vielleicht war ihr Mut auch heldenhaft. Die Stadt mit dem Attribut „Heldenstadt“ zu verbinden, bleibt mir dennoch fremd.

Welche Bedeutung hat bürgerliches Engagement heute in der Stadt? 

Es ist faszinierend zu sehen, wie sich Leipzig in den letzten 25 Jahren verändert hat. Die alte Bausubstanz ist gerettet worden und Leipzig zeigt sich heute als sehr kompakte, wunderschöne Stadt mit einen reichhaltigen Kulturangebot. Dazu tragen die Leipziger Bürger entscheidend bei. Es gibt eine sehr lebendige freie Szene aus Malern, Theatermachern, Musikern, Galeristen, Designern, Medienschaffenden oder Kunsthandwerkern, die abseits der Hochkultur industrielle Brachen mit Leben erfüllen und der Stadt frische Energie einflößen. Die Leipziger sind wach, selbstbewusst und politisch engagiert und kämpfen für ihre Stadt.

Filme über Helden des Alltags

Das Leipziger Festival, das Sie seit 2004 leiten, hat selbst ein starkes politisches Profil. Inwiefern spielt dabei auch die Geschichte der Stadt in den Jahren 1989/90 eine Rolle?

DOK Leipzig, das internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, ist eine der wenigen Kulturinstitutionen der ehemaligen DDR, die nach 1989 weiter existiert hat. Auch wenn das Festival früher politisch instrumentalisiert wurde, bot es den Menschen immer einen Freiraum, weil es Filme zeigte, die man in der DDR sonst nicht zu sehen bekam. Für die Leipziger öffnete sich jedes Jahr im Herbst ein Fenster zur Welt. Manche Menschen sagen, dass diese Erfahrung und die Begegnungen mit internationalen Gästen in der Festivalwoche dazu beigetragen haben, dass sie sich 1989 aufgelehnt haben. Der Widerstand der Leipziger und die friedliche Revolution sind für unser Festival ein Vermächtnis, jeden Versuch von Einflussnahme oder Zensur abzuwehren.

In vielen Dokumentarfilmen, die bei DOK Leipzig gezeigt werden, geht es um Menschen, die besonders mutig sind, sich politisch engagieren oder in ihrem persönlichen Umfeld für ihre Ziele kämpfen müssen. Welche filmischen Helden sind Ihnen aus den letzten Festivaljahren besonders in Erinnerung geblieben?

Das Schöne an Dokumentarfilmen ist, dass die Protagonisten immer irgendwie auch Helden sind. Denn die Filmemacher widmen sich ihnen mit großer Geduld und Sympathie. In Dokumentarfilmen geht es selten um Helden, die Geschichte schreiben, sondern um Helden des Alltags. Sehr in mein Gedächtnis eingebrannt hat sich zum Beispiel die junge Polin aus dem Film Joanna, die schwer an Krebs erkrankt ist. Mit welcher Zartheit, Kraft und Liebe sie ihren Sohn auf das Leben nach ihrem Tod vorbereitet, ist zutiefst berührend.

Nach dem Festival im Herbst 2014 werden Sie Ihren Job als Festivaldirektor abgeben, um sich mit neuen Aufgaben zu beschäftigen. Was werden Sie an Leipzig am meisten vermissen?

Ich hoffe, dass ich in Leipzig bleiben kann. Dann werde ich die Stadt nicht vermissen, sondern hoffentlich endlich mehr Zeit haben, um sie tiefer erkunden und genießen zu können!