Das Elitäre in den Künsten | Literatur
Poetischer Populismus in der deutschen Literatur

01Key Visual Eliten
Igor Miske © Unsplash

Das Schaubild spiegelt diese vielfachen Beziehungen zwischen Populismus und den Eliten in der Literatur wider: Während das „gute Volk“ anfangs populär war, auch bei der ästhetischen Elite, fand in der Nazizeit ein Wandel statt, bei dem ideologischer Populismus in den Vordergrund trat. Dies führte zu eher elitären Strukturen in der Literatur nach 1945.

Literatur steht sowohl mit „dem Volk“ als auch mit den Eliten in vielfältigen Beziehungen: Schriftsteller*innen neigen dazu, das Massenpublikum und die Eliten (einschließlich ihrer Kolleg*innen) zu kritisieren, um damit ihre künstlerische und reflektierte Distanz zur Außenwelt zu demonstrieren.

Inspiriert von einem idealisierten Bild des einfachen Volkes, das auf die Sozialkritik des 18. und 19. Jahrhunderts zurückging, stellten Schriftsteller*innen und Intellektuelle um 1900 das „gute Volk“ der „schlechten Elite“ gegenüber – den Bossen und Geschäftsmännern. Diese „schlechte Elite“ sollte von einer selbsternannten anti-bourgeoisen und ästhetischen Elite überwunden werden, die manchmal auch als „Avantgarde“ bezeichnet wird. Als ein sich bestens verkaufendes Genre diente der Roman – wie zum Beispiel Thomas Manns Buddenbrooks (1901) – als Medium, in dem die meisten dieser Konflikte offen dargestellt wurden und ihren politischen Einfluss ausüben konnten. Dies galt auch für Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), ein Roman über einen Arbeiter, der sowohl politisch rechte als auch linke Intellektuelle dazu brachte, sich mit dieser Art kritischer und doch populärer Literatur auseinanderzusetzen.
 
Während der Nazizeit dominierte ein ideologischer Populismus die deutsche politische Agenda, was sich zum Beispiel in den Romanen von Hans Friedrich Blunck und Erwin Guido Kolbenheyer widerspiegelt. Letzterer, ein ultrakonservativer und späterer Nazi-Schriftsteller, schuf beispielsweise eine seiner Ansicht nach ursprüngliche Mythologie des deutschen Volkes: Geplagt von religiöser Fragmentierung, suchen die Deutschen auf eigene Faust nach dem Sinn der Dinge und bekämpfen den elitären Intellektualismus, der im Mittelmeerraum seinen Ursprung hat. Durch ihre „faustische“ Seele geprägt, erkunden die Deutschen Neuland, um am Ende zu einer friedlichen Existenz zu finden. In seinem Roman Paracelsus entwickelt Kolbenheyer dieses Gedankengut und heiligt es durch fiktionale Konversationen zwischen dem nordischen Gott Wotan und Jesus Christus. Kolbenheyer beschränkte sich bei der Verkündung seiner Ansichten dabei nicht auf die Literatur; er unterstützte die Nazibewegung auch durch öffentliche Reden.

60 Jahre danach: Die Gruppe 47 - Günter Grass, Joachim Kaiser und Martin Walser - auf dem blauen Sofa im Berliner Ensemble. Literarisches Gipfeltreffen 2007: Gruppe 47 - Günter Grass, Joachim Kaiser und Martin Walser im Gespräch mit Wolfgang Herles | © Blaues Sofa, Flickr, bearbeitet, CC-BY-2.0 Schriftsteller*innen im Exil, von Jean Améry bis Stefan Zweig, kämpften gegen diese Art von Populismus an. Nach 1945 machte es sich die ostdeutsche Literatur zum Ziel, einen neuen ästhetischen Zustand zu schaffen, in dem Schriftsteller*innen und das Volk Hand in Hand voranschreiten sollten. In Westdeutschland konfrontierte die Gruppe 47, ein elitärer Autorenkreis (z.B. Heinrich Böll, Günter Grass), die Deutschen mit Fragen zur Kontinuität des nationalsozialistischen Populismus in der Bundesrepublik. Seither loben Schriftsteller*innen nur selten das „gute Volk“ und konzentrieren ihre kritische Betrachtung häufig auf elitäre Kreise jeglicher Art.

Zu diesen elitären Werken der Nachkriegszeit gehörte Zettels Traum von Arno Schmidt (1970), ein komplexes, geistreiches, aber auch nicht leicht zu verstehendes Opus in acht Bänden. Anspielend auf Shakespeares Ein Sommernachtstraum spielt Arno Schmidts Roman im Sommer 1968 und ist eine „Tour de Force“ der Literaturgeschichte in Verbindung mit der Psychoanalyse.  
 
Die Zukunft bleibt offen. Wie ein Streit zwischen den Schriftstellern Durs Grünbein und Uwe Tellkamp im Jahr 2018 deutlich gemacht hat, versuchen rechtsorientierte Verlage ihre Werke auf Buchmessen zu verkaufen – die ideologische Debatte über literarischen Populismus steht wieder auf der Tagesordnung.

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